034 ** Schrittchen für Schrittchen ** Fr. 30.8.2019

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Nachdem wir heute Morgen in der Nachhilfe die dritte Einheit mit diesen elenden Kurvendiskussionen verbracht haben, sehe ich doch allmählich Land und habe wenigstens eine Ahnung, worum es da eigentlich geht

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Nachdem wir heute Morgen in der Nachhilfe die dritte Einheit mit diesen elenden Kurvendiskussionen verbracht haben, sehe ich doch allmählich Land und habe wenigstens eine Ahnung, worum es da eigentlich geht. Frau Süß kann wirklich toll erklären und hat sehr viel Geduld, so dass ich wieder Hoffnung schöpfe. Am Ende verabschieden wir uns bis Morgen, denn da ist unser erster Survival-Tag.

Weiter geht's mit Englisch, dann Mensa mit den anderen. Milly sitzt jetzt sowieso immer bei uns, neuerdings auch Sebastian. Er sagt nicht viel, aber er wirkt, als ob er unsere Atmosphäre, unseren Humor und unser „Wohlwollen" in sich aufsaugt wie ein trockener Schwamm. Irgendwas ist mit ihm passiert, er ist wie ausgewechselt, auch im Sportunterricht. Seine Haltung, seine Stimme, alles an ihm signalisiert: ich will dazugehören, darf ich bitte? Aber auf eine ganz angenehme Weise. Und so fällt es uns überhaupt nicht schwer, ihn in unsere Runde zu integrieren. Vor allem mich scheint er regelrecht abzuscannen, reagiert auf alles, was ich sage und tue, nimmt fein meine Stimmungen auf, die ja zwangsweise zur Zeit echt Achterbahn fahren.

Im Moment wirkt er grade, als ob er Anlauf für einen Marathon nimmt. Also beschließe ich, den Stier bei den Hörnern zu packen.
„Sebastian, darf ich dich was fragen?"
Er schaut mich mit großen Augen an, nickt.
„Seit dem letzten Donnerstag, als ich getanzt habe, da bist du so ... anders. Es ist angenehm und schön, dich dabei zu haben. Vertraust du unserer Runde inzwischen genug, um uns zu erzählen, was sich da verändert hat?"
Stille.
Sebastian wird weiß wie die Wand und schluckt.
„Du musst nichts erzählen, wir haben dich auch so gern dabei. Ich wollte dich mit meiner Frage nicht abschrecken."
Langsam nimmt sein Gesicht wieder die natürliche Farbe an. Und dann gibt er sich einen Ruck.

„Ich ... ich finde es total schwer, über mich zu reden. Ich hatte nie Freunde, weil meine Eltern mich so überwacht und verplant haben. Aber ... wenn ich euch zusehe, dann sehne ich mich nach nichts mehr, als einfach für jemand ein Freund sein zu dürfen. Das klingt vielleicht verrückt, aber: ich sitze hier und kucke euch dabei zu, wie Freundsein eigentlich geht. Es ... ist fast wie Vokabeln lernen."
Paul macht große Augen.
„Cool!"
Moritz grinst.
„Na, dann herzlich willkommen in unserer Runde, schlag ein."
Er hält Sebastian die erhobene Hand hin, und der starrt irritiert darauf. Dann schaltet er und schlägt mit seiner Hand ein.

Ich muss kichern.
„Das hast du wohl noch nicht erlebt, was?"
Er schüttelt den Kopf.
„Gesehen oft. Erlebt? Noch nie. Und wenn ich an die Sportstunde am Anfang denke, wo du, Moritz, mir so eine Ansage gemacht hast – damals hätte ich geschworen, das sowas wie das hier niemals, niemals möglich sein wird."
Er zeigt mit beiden Händen auf unsere Runde.
„Ich war überhaupt nicht in der Lage, das Angebot, das du gleichzeitig gemacht hast, auch zu hören. Ich hab nur gehört: ich habs mal wieder verkackt."
Ich klopfe ihm auf die Schulter.
„Na, dann vergiss das alles jetzt und sei einfach dabei und glücklich."

Sebastian entspannt sich sichtlich, strahlt wie ein Honigkuchenpferd und isst zufrieden seinen Fisch mit Reis auf. Dann verabschiedet er sich.
„Danke, Leute, ihr macht mich echt glücklich. Ich muss noch kurz was klären, habt ein schönes Wochenende!"
Wir winken ihm nach. Seine Schritte sind leichter, und er hat offensichtlich ein schönes Ziel.
„Max, du solltest öfter so tanzen, dass andere das sehen! Warum und wie auch immer – dein Tanz hat offensichtlich in ihm das Unterste zu oberst gekehrt."
„Das dachte ich grad auch, Paul. Aber ich wollte ihn nicht sofort mit dieser Frage überfallen. Es fällt ihm so offensichtlich schwer, in Interaktion zu treten, dass wir ihm Zeit lassen sollten. Er ist ja angenehm, wenn er einfach dabei ist. Je weniger er drüber nachdenkt, desto leichter wird es für ihn. Irgendwann werde ich es schon erfahren."

Was sich neckt, das hasst sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt