Jenny hat mich einigermaßen für bekloppt erklärt, aber ich musste einfach nur weg. Wenn ich mal kurz abtauchen will, setze ich mich immer in den Bus und fahre zu meinen Eltern nach Heisingen. Dann sitze ich Sonntag Nachmittag mit ihnen am Kaffeetisch und bin wieder Kind. Die „böse" Welt kann mir dort nichts anhaben. Wir plaudern und lachen. Und meine Eltern wissen ganz genau, wie ich drauf bin, ich weiß aber auch, dass sie nie fragen werden. Ich muss von mir aus erzählen, und das respektieren sie.
Wann immer in meinem Leben ich mit etwas nicht klar kam oder Hilfe brauchte, meine Gedanken zu sortieren, bin ich alleine oder mit Mama oder Papa am Baldeneysee entlang spaziert. Wir haben geschwiegen und geredet, geweint und gelacht. Und ich kann mich an kein einziges Mal erinnern, wo ich hinterher nicht schlauer war als vorher. Oder wenigstens sehr gründlich abgelenkt und mit frei gepustetem Kopf. Und genau dafür ist es heute mal wieder Zeit. Mama und Papa sind zur Arbeit gefahren. Ich habe mir meine Wanderschuhe und regentaugliche Klamotten gegriffen, in meinem kleinen Rucksack Proviant und eine Thermoskanne mit Tee, um den Hals meine Kamera mit Tele, in der Jackentasche das gut geladene Handy, und so marschiere ich einfach los. Ich will mal wieder einmal rum um den See laufen. Das sind schlappe 30+ Kilometer, auf denen ich mir den Frust, die Verunsicherung und die Trauer von der Seele rennen will.
Ich werfe einen Blick zum Himmel und entscheide mich für Regenjacke ohne Regenhose, ziehe die Tür hinter mir zu und stapfe die Lelei runter. Unten wende ich mich nach rechts zum Ufer des Sees und steuere direkt auf die alte Eisenbahnbrücke zu. Laufen. Einfach laufen. Nur die Füße laufen lassen. Die Augen rechts und links am Wegrand, mittlerweile schon manche kahle Bäume, trockenes Laub, watschelnde Enten, leise schwappendes Wasser, Ruhe. Ich gehe auf die Mitte der Brücke und schaue runter.
Die Ruhr ist der sauberste Industriefluss Europas. Was heißt eigentlich „Industriefluss"???
Blablabla ... Selbstablenken hat auch schon mal besser funktioniert ...Auf der Kupferdreher Seite des Sees wende ich mich wieder nach rechts und greife kräftig aus. Aber der Teufel wandert scheinbar mit. Kribbelig warm und schön spüre ich Max Hand in meiner, sehe ihn vor meinem geistigen Auge neben mir her laufen, ertrinke in dem Braun seiner Augen. Schnell stecke ich die Hände in die Jackentaschen –
als ob das was helfen würde –
und zähle Enten auf dem See.Für wie blöd hältst du mich eigentlich?
Klappe, Stimme!
Nö. Ich bin nunmal da. Und solange du nur auf den Boden oder die Wellen starrst, geh ich auch nicht wieder. Wenn du dich schon ablenken willst, dann heb gefälligst deine Augen und lass neue Eindrücke an dich ran.
Gehorsam wider Willen hebe ich meine Augen, mustere das gegenüber liegende Ufer des Sees und die steilen, bewaldeten Hänge dahinter. Trotz des trüben Wetters lacht mir der bunt gemischte Herbstwald zu und erzählt mir was von den kleinen schönen Momenten im Leben. Erst will ich die gar nicht hören. Aber bis ich mich um die große Kurve bis zum Haus Scheppen vorgearbeitet habe, haben die Herbstfarben doch den Weg in mein Herz gefunden.
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...