Zwei Stunden Englisch. Vorm Wachwerden. Also – nicht vorm Aufstehen. Aaaaaber vorm Wachwerden. Doch mit Herrn Knörz haben wir immer sehr viel Spaß, weil er ein großer Fan vom typisch englischen schwarzen Humor ist. Nach der ersten Pause kommt dann Mathe.
Wir wissen ja schon, dass nicht Frau Hartmann sondern Frau Süß zur Tür reinkommen wird. Trotzdem kann ich mich mal wieder nicht zurückhalten. In dem Moment, wo die junge Lehrerin den Raum betritt und das Pult ansteuert, tue ich seeeeehr erstaunt.
„Ich glaub, ich bin im Märchenland. Kuckt mal, Leute. Der Mathedrachen ist weg, und dafür ist jetzt ein Mathezwerg da."
Alle Augen richten sich auf unsere Lehrerin, denn die Wortduelle zwischen mir und Frau Süß sind fast schon berühmt.Die setzt sich auf ihr Pult, schlägt die Beine übereinander und hat natürlich schon ihre Antwort parat.
„Solange Sie auch märchenhafte Leistungen abliefern, bin ich mit dem Setting durchaus einverstanden."
Das Witzige ist ja, dass einer von uns beiden zwangsläufig immer das letzte Wort haben muss. Aber ich habe nie das Gefühl, ich hätte „verloren", wenn sie die Nase vorn hat. Es geht überhaupt nicht ums Gewinnen oder stärker sein oder um Autorität. Es macht einfach nur Spaß.
„Kein Problem. Ich leih mir einfach den Zauberer von Oz, der hext dann meine Hausaufgaben und Arbeiten clean. Das wird schon."
Frau Süß grinst. Und ich kann sehen, dass sie sich heimlich über irgendwas freut.„So, meine Damen und Herren. Auch hier die Frage nach dem „Du" und „Sie", denn Lore Braun ist auch in Mathe zu uns gestoßen."
Lore läuft schon wieder rot an.
„Mir ist das egal. Ich find das 'Sie' komisch, Sie können gerne 'Du' sagen, wenn alle anderen das auch wollen."
Alle anderen atmen auf. Und auch ich denke mir meinen Teil. Kein Sebastian, kein „Sie". Das ist nämlich einfach nur bescheuert.Mich juckt es schon wieder.
„Ich bin gespannt, wie lange Sie das durchhalten, uns in Sport konsequent zu siezen und in Mathe dafür zu duzen. Was kriegt derjenige, bei dem Sie sich versprechen?"
Frau Süß hatte sich grade zur Tafel gedreht. Ihre Hand mit der Kreide schwebt einen Moment in der Luft. Dann dreht sie sich lächelnd zu mir um.
„Meine aufrichtige Hochachtung, wenn er oder sie es schafft, vollständig 'Mööp' zu brüllen, bevor ich das nächste Wort gesprochen habe."
Seelenruhig dreht sie sich wieder zur Tafel und schreibt das erste Thema dieses Halbjahres an. „Statistik". Sie dreht sich wieder zur Klasse.
„Wenn dieses Thema durch ist, Max, dann kannst du sicher problemlos berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich das ein ganzes Halbjahr lang fehlerfrei durchhalte."
Mir fällt die Kinnlade runter vor Entsetzen, während der restliche Kurs in schadenfrohes Gelächter ausbricht. Aber schließlich muss ich doch auch mitlachen und zwinkere Frau Süß zu, die mich breit angrinst.Ich weiß, dass ich meine Chance nutzen muss, und versuche darum, mich wirklich zu konzentrieren. Aber in meinen Ohren klingt alles, was ich höre, chinesisch, egal, wer da vorne steht.
Mensch, hoffentlich kriege ich wirklich Nachhilfe. Sonst wird das nix.Nach dem Unterricht bittet sie mich, noch einen Moment zu bleiben. Als alle anderen weg sind, fragt sie nach ihrem Brief.
„Wie hat dein Vater reagiert?"
„Ich weiß nicht, ob er es nicht kapiert hat, oder ob es ihm egal ist, vor wem er mich blamiert. Jedenfalls hat er es geschluckt. Im Grunde ist mir das auch egal. Ich weiß selbst, was ich in diesem Schuljahr tun und erreichen muss, damit ich das Abi und die Aufnahmeprüfungen an den Musikhochschulen bestehen kann."
„Und das wäre?"
"Viiiieeeeeeeel nachholen in Mathe. Ich hab heute schon wieder wie Ochs vorm Berg gestanden. Viiieeeel Tanzen. Und insgesamt viiiieeeeel klotzen. Ich bin bereit dazu. Mich machen nur die in der Regel völlig ungerechtfertigten Attacken von Frau Hartmann mürbe. Und mein Vater, der mir ständig sagt, dass ich ein Versager bin und nicht zur Familie gehöre und blablabla. Ich hab bald keine Kraft mehr, da gegenan zu halten."
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...