075 ** Schritte wagen ** Fr. 13.12.2019

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Tanja hat sich bei mir gemeldet, denn natürlich hat auch sie inzwischen erfahren, dass Papa bereit ist, den nächsten Schritt zu gehen

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Tanja hat sich bei mir gemeldet, denn natürlich hat auch sie inzwischen erfahren, dass Papa bereit ist, den nächsten Schritt zu gehen. Onkel Uwe ist schon seit ein paar Wochen nicht mehr täglich sondern immer mittwochs und samstags bei Papa. Und sonntags geht Papa zu ihm. Also beschließe ich, dass ich es wagen will, ihn heute zu besuchen. Dann hat er noch einen Abend mehr in dieser Woche, wo er nicht allein ist. Wenn der Nikolausstiefel so viel bewirkt hat, dann will ich für Papa das nächste Signal setzen. Wer weiß – vielleicht lässt er mich sogar rein, und wir können reden. Dass er jetzt für uns und unser Familienleben in die Klinik geht, macht mich jedenfalls unglaublich froh. Und wenn er nicht völlig mauert, wird er dort genauso Hilfe bekommen, wie ich von Onkel Uwe und wie
Antoine in Langenberg.

Also stehe ich nach dem Training nun vor seiner Haustür und versuche, meine Hand dazu zu überreden, auf den Klingelknopf zu drücken. Ich habe Onkel Uwe Bescheid gesagt. Er hat sich sehr gefreut und versprochen, sich bereit zu halten, falls er dabei spontan gebraucht wird. Ich hole noch einmal tief Luft und drücke auf den Knopf. Vom Innern des Hauses schallt mir dumpf das bekannte Geräusch der Glocke entgegen. Dann passiert einen Moment lang nichts.
Wer weiß, wo Papa sich grade aufhält ...

Ich kann das leise Klacken hören, als Papa drinnen die Türklinke runterdrückt. Die Tür geht auf - Papa starrt mich völlig entgeistert an.
„Max! Was ..."
Dann treten ihm Tränen in die Augen, die er schnell wegzuzwinkern versucht.
„Darf ich reinkommen, Papa?"
Er macht einen Schritt zur Seite, und ich berühre ihn an der Schulter, während ich an ihm vorbei gehe.
„Wollen wir einen Tee zusammen trinken und ein bisschen reden?"
Er nickt bloß und schlurft wie in Trance ins Wohnzimmer. Er hat deutlich abgenommen und wirkt irgendwie viel älter als vor drei Monaten. Das Erdgeschoss sieht kahl und leblos aus – wie er. Ich biege in die Küche ab und setze einen Tee auf. Ich hab einen Beutel von den Weihnachtstees für die Adventskalender mitgebracht.

Als wir mit Tassen bewaffnet gemeinsam auf dem Sofa sitzen, hat er sich ein bisschen gefasst.
„Warum bist du hier, Max? Ich ..."
Ich lächele ihn an mit meinem schönsten ich-hab-dich-lieb-Papa-Lächeln.
„Weil Onkel Uwe uns erzählt hat, wie sehr du dich über den Nikolausstiefel gefreut hast. Und dass du jetzt in eine Klinik gehen wirst. Ich möchte einfach, dass du weißt, dass du für mich nicht gestorben sondern immernoch mein Vater bist. Und auch Tanja hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass du wieder auf uns zugehst. Du sollst einfach wissen, dass du zwar im Moment alleine wohnst, dass du aber nicht alleine bist."

Mit seiner einen Hand greift er nach meiner, mit der anderen hält er sich die Augen zu. Ich habe ihn noch nie weinen sehen. Er muss erst lernen, dass das ab jetzt völlig in Ordnung ist. Also erwidere ich einfach seinen Händedruck und lasse ihm die Zeit, sich wieder zu fassen. Während ich meinen Blick wandern lasse über die sorgfältig gegossenen Blumen und das sonstige Chaos im Raum, merke ich, dass ich wirklich ganz ehrlich bin, dass es richtig ist auch für mich, nun auf Papa zuzugehen. Seine Tränen rühren mich. Und das macht mich unglaublich froh. Der geöffnete Karton mit Adventsschmuck und die achtlos drumrum liegenden Fröbelsterne, die es doch nicht bis an die Fenster geschafft haben, tun mir allerdings weh.
Es wird Zeit, dass es hier wieder Leben gibt!

Was sich neckt, das hasst sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt