Von wegen „damit du dich am Donnerstag sicher fühlst". Mir geht der Arsch auf Grundeis. Sowas von! Von dieser blöden Matheklausur hängt soooo viel ab.
Scheiß Druck.
Moritz und Paul haben mich vorhin in der Pause nochmal mit selbst erdachten Motivationstechniken animiert und mir ganz viel Mut gemacht. Jetzt sitzen wir in der Klasse, Klausuraufstellung, alle Tische hübsch einzeln. Vor mir sitzt mein „hässliches Entlein" und schaut neutral-grau aus seinem Plüschkleid. Frau Süß teilt die karierten Bögen und die Aufgabenzettel aus. Kurz tätschelt sie im Vorbeigehen die kleine Gans und sieht dabei etwas wehmütig aus.
Ach ja, richtig. Sie kennt ja die Bedeutung.
Als ich auf die Aufgaben draufkucke, kann ich grade noch einen seeeehr spontanen Hustenanfall vortäuschen, damit ich nicht in verräterisches Gelächter ausbreche. Sie hat nicht einfach Aufgaben aufgeschrieben. Sie hat Geschichten um die Aufgaben drumrum erzählt!
Danke, Anni. Äh ... Ach egal.Schnell entsteht konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Alle Köpfe sind über die Aufgaben gebeugt. Wie verabredet gehe ich erstmal alle Aufgaben im Kopf durch und schreibe mir alle nötigen Rechenschritte und -Arten an die Ränder. Das macht den Kopf frei fürs reine Durcharbeiten und zeigt mir gleich, wie viel ich tatsächlich kann. Da sind zwar ein paar Fragezeichen dabei, aber angesichts der Masse von Notizen wirft es mich nicht aus der Bahn. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich zumindest in der Schule, wenns drauf ankommt, die Nerven bewahren kann.
Als ich zwei Stunden später die Arbeit abgebe, atme ich tief durch. Frau Süß schaut mich fragend an. Ich nicke mit einem Grinsen. Um die anderen nicht zu stören, die tatsächlich noch länger schreiben als ich, flüstere ich nur. „Eigentlich hätten Sie das Doppelte kriegen müssen für das, was Sie in den drei Monaten bei mir bewirkt haben. Einfach mal danke! Ich denke echt, das Ding hier ist absolut im grünen Bereich." Sie lächelt und sieht auf einmal ganz glücklich aus.
Warum wohl. Ich Idiot!Die inzwischen ziemlich große Clique trifft sich wie immer in der Mensa, bevor wir alle außer Lasse und Antoine zur Sporthalle gehen. Gut, dass wir heute ein Mannschaftsspiel spielen. Da kann ich mich so richtig austoben. Angst und Zuversicht, Wut und Hoffnung, Einsamkeit und Sehnsucht, Schmerz und Liebe wollen mal wieder ein Ventil finden, und so flitze ich übers Mannschaftsfeld und pusche meine ganze Mannschaft mit. Ich muss richtig aufpassen, dass ich den Ball nicht zu hart werfe. Sonst können meine eigenen Leute ihn nicht halten. Und ich will ja auch niemand wehtun.
Völlig außer Atem und verausgabt schlurfen wir hinterher gemeinsam in die Umkleiden.
„Du, Moritz. Könnten wir sofort zu dir radeln und da alle duschen? Dann haben wir mehr Zeit für die Klausur in Geschichte morgen."
„Kein Problem. Paul? Kommst du auch gleich mit?"
Der nickt bloß und zieht sich das verschwitzte T-shirt wieder über den Kopf. Milly bekommt noch ein herzergreifendes Abschiedsküsschen, bei dem ich immer wegsehen muss, weil es so weh tut. Dann radeln wir los und zischen bei Moritz alle einmal durchs Bad.Wir gehen einfach nochmal alle Fakten für die Klausur durch und sprechen dann lange über ethische Fragen im Zusammenhang mit den Dritten Reich, weil das grade aktuell im Unterricht dran ist. Wir sind uns sicher, dass das morgen eine Rolle spielen wird. Vor allem die Frage, die Paul gestellt hatte und die dann sofort abgewürgt worden war.
„Hat das Deutsche Volk durch die Verbrechen der Nazis eine ewig dauernde Kollektivschuld?"
Es gibt ja so Verrückte, die das Geschehen komplett leugnen. Und das ist natürlich Quatsch. Die meisten Menschen stehen allerdings auf dem Standpunkt, dass das wohl alles passiert ist und auch ganz, ganz furchtbar und falsch war. Dass aber die Nachgeborenen nicht auf ewig dafür verantwortlich gemacht werden dürfen. Schluss mit Kollektiv-Schuld und ewiger Sühne!
Und die Hardliner bestehen darauf, dass wir für immer die Verantwortung haben, reuig zu sein, daran zu erinnern und mit allen Kräften eine Wiederholung zu verhindern. Wir befinden uns alle Drei irgendwo dazwischen und versuchen darum jetzt, auszuloten, was das für morgen bedeuten könnte.
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...