Ich bin heute so aufgeregt, wie Toni es vor einem Jahr war. Da war sie die Referendarin, die diese Schule mit dem völlig neuen Survival-Projekt auf den Kopf gestellt hat und von sämtlichen Kollegen ziemlich misstrauisch beäugt wurde dabei. Heute geht es wieder los, mit mir als Referendarin. Und ich habe das Privileg, dass ich mich in das gemachte Nest setzen darf, das sie mir gebaut hat. Wir haben gemütlich zusammen gefrühstückt und treffen uns gleich um 9.30 Uhr mit Lennart in der Sporthalle, wo die Blocktage stattfinden werden. Um 10.00 Uhr kommen dann die Schüler dazu. Sieben von den zwölf Teilnehmern sind aus Tonis Leistungskurs, und wir hoffen natürlich, dass sie gut mit den anderen fünf harmonieren werden.
Lennart kommt auf uns zu, und mein Herz schlägt schon wieder höher. Dass Toni das ganz schnell kapiert hat, war mir ja klar, auch wenn wir noch nicht drüber gesprochen haben. Ob Lennart schon kapiert hat, was er in mir auslöst, weiß ich nicht. Ich kann ihn noch nicht deuten. Aber vielleicht ist es auch besser so, denn solange wir nichts ausgesprochen haben, wird es leichter sein in der Schule, sachlich miteinander zu arbeiten. Ich habe jetzt ganz bestimmt keine Lust, an eine andere Schule geschickt zu werden, weil er auf einmal nicht mehr mein Mentor sein darf ...
Zu dritt richten wir die Sporthalle so ein, dass wir einen Sitzkreis für den 1.-Hilfe-Kurs und für Gespräche haben, dass wir aber auch praktische „Gelände"-Übungen simulieren können. Kurz darauf kommt der Mann vom Roten Kreuz, stellt sich als Herr Lilienthal vor, und wir besprechen noch nähere Einzelheiten. Er packt alle möglichen Schautafeln und Gerätschaften aus, damit er nachher gleich durchstarten kann. Kurz vor 10.00 Uhr trudeln langsam die Schüler ein, schauen sich neugierig um und setzen sich automatisch in den Kreis aus kleinen Kästen und einer Bank.
Ein paar kenne ich schon, und wenn nur aus den Erzählungen von Toni oder Lennart. Aber die meisten sind mir fremd. Also machen wir gleich am Anfang eine Vorstellungsrunde, bei der die Schüler auch sagen sollen, warum sie sich für dieses Projekt entschieden haben. Aus dem Sport-LK sind natürlich das Tänzer-Trio Max, Moritz und Paul, außerdem die beiden Langstreckenläuferinnen Annika und Lore, die Akrobatin Milly und Kolja, der in seiner Freizeit Bouldern macht. Sie alle sind gespannt auf ihre eigenen Kraftgrenzen und herausfordernde Grenzerfahrungen.
Aus dem Mathe-LK hat sich zum Erstaunen aller der total unsportliche „Philosoph" Bernd Becker angemeldet, dazu Can, der mit Kolja bouldert, und Swantje, die einfach wandern liebt und austesten will, wie weit sie zu gehen bereit ist. Lennart zwinkert Bernd zu und witzelt.
„Na, da können wir beiden uns ja schonmal um den Posten als Schlusslicht bewerben."
Bernd grinst und schlägt mit Lennart ein.
Angenehm! Ein Philosoph mit Humor und beiden Beinen fest auf dem Boden.Zum Schluss stellt sich noch Alexander Lovski aus dem Bio-LK vor, ein Russlanddeutscher, der nicht besonders helle, aber sehr loyal und freundlich ist, wenn man ihn geknackt hat. Er ist einfach hier, weil er alle anderen Projekte doof fand. Und er ist mit Kolja und dessen Zwillingsschwester Olga befreundet.
Ach ja – und Antoine. Antoine Leclerc ist Franzose, hat in Frankreich bereits sein Baccalauréat gemacht, vergleichbar mit unserem Abitur, und will Deutsch auf Lehramt studieren. Dazu hat er beschlossen, hier auch noch mit Sonderkonditionen und einem Europa-Stipendium das deutsche Abitur zu machen. Antoine macht in seiner Heimat Wildwasser-Kajak und ist deshalb ein Kerl von einem Mann mit einem Oberkörper wie ein Preisboxer. Viel zum Sprechen kommt er an der Schule allerdings nicht, weil er seine Arroganz und sein Ego aus allen Poren quetscht. Im Gegensatz zu Tonis Sebastian hat er überhaupt keine Lust, sich zu integrieren. Er ist unnahbar, undurchschaubar und könnte das einzige Problem werden, wenn es darum geht, im Gelände als ein verlässliches Team zu handeln.
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...