Ich weiß nicht, ob ich beruhigt oder beunruhigt sein soll nach Annis Geständnis gestern Abend. Es ist schlimm, dass sie das Bedürfnis hatte, Abstand zu mir zu bekommen. Es ist toll, dass sie den Wechsel auf sich nehmen wollte, um uns beide zu schützen. Es ist sehr schlimm, dass sie so eine Angst hatte, mir das zu sagen – wer weiß, was sie an Reaktion von mir erwartet hat??? Es fühlt sich gut an, dass sie mir jetzt wohl doch wieder vertraut. Ich habe so Angst, dass da doch bleibende Schäden sind und sie in Zukunft vielleicht nicht mehr klettern und wandern kann, weil ihre Füße das nicht mehr mitmachen. Es ist ein Geschenk des Himmels, dass wir wieder ein Paar sind und an einem Strang ziehen. Es ist ganz schwer auszuhalten, dass ich nicht weiß, was die alte Last auf ihrer Seele ist. Und es ist – ganz weit hinten im Kopf und im Herzen – die Vorfreude auf den Tag, an dem wir uns nicht mehr verstecken müssen.
Auf dem Weg zum Huyssenstift kaufe ich Anni einen kleinen bunten Blumenstrauß – OHNE rote Rosen, die kann ich mir grade noch verkneifen. Vormittags ist hier auf den Fluren deutlich mehr los als nachts, aber der große Silvester-Ansturm scheint abgearbeitet zu sein. Ich nehme das Personal deutlich gelassener wahr. Und ich frage mich langsam, ob dieser Arzt auch irgendwann mal Pause macht, denn Dr. Wenzel kommt mir schon wieder grinsend entgegen.
„Guten Morgen! Die Physiotherapeutin ist grade bei ihr und übt mit ihr Laufen."
„Hei, cool. Soll ich draußen warten, oder meinen Sie, dass ich zusehen darf?"
„Das müssen Sie Frau Süß fragen."
Kein Problem!Ich klopfe an Annis Tür und höre ein „Nein." und ein „Ja." Dann eine kurze Diskussion. Dann noch ein „Ja."
Hihi, Anni hat sich durchgesetzt.
Ich öffne die Tür und schaue direkt einer etwas älteren Frau in das genervte Gesicht.
„Machen Sie's bitte kurz, damit wir weiterarbeiten können. Mein Terminplan ist nicht aus Gummi."Anni sieht total angestrengt und sauer aus.
„Jetzt passen Sie mal auf. ICH bin es, die wieder laufen lernen will. Also werde ich mich schon darauf konzentrieren. Und ein Bekannter, der mich später an die Übungen erinnern kann, weil er zugesehen hat, wird dabei Ihren Dienstplan schon nicht sprengen. Ich erbitte mir etwas mehr Höflichkeit gegenüber meinen Gästen."
Die Schnepfe kneift den Mund zusammen und dreht sich beleidigt um.
„Ach – und das ist übrigens mein Lebensretter."Ich setze mich einfach auf den nächsten Stuhl und schaue zu, was für Übungen Anni machen muss, um bald wieder laufen zu können. Dann geht sie tatsächlich ein paar Schritte am Arm der Physiotherapeutin, aber ich sehe ihrem Gesicht an, dass ihr das höllisch weh tut. Nach einer halben Stunde krabbelt Anni total erschöpft zurück in ihr Bett, und die Physio packt ihre Unterlagen zusammen.
„Sie sollten in Zukunft etwas mehr Sport machen. Dann passiert sowas nicht so schnell."
Anni und ich schauen uns an – und brechen in schallendes Gelächter aus. Die Schnepfe flüchtet aus dem Raum.
„Ich fress'n Besen, wenn da beim nächsten Mal nicht jemand anderes in meiner Zimmertür steht. Die seh ich hoffentlich nie wieder. Himmel, was ein sauertöpfisches Weib!"
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Was sich neckt, das hasst sich
قصص عامةÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...