Fieberhaft überlege ich, was ich jetzt tun soll.
Ganz ehrlich? Die Krankenwagen sind wahrscheinlich jetzt schon alle im Einsatz, auf dem Weg zu irgendwelchen Wohnungsbränden und abgerissenen Händen. Also? Taxi!
Ich rufe sofort in der Taxizentrale an, mache klar, dass das hier ein Notfall ist, und kümmere mich wieder um Anni.
„Mach dir keine Sorgen, Liebes. Ich bin da."
Ich gebe ihr einen Kuss auf die eiskalte Stirn, leuchte den Boden ab und finde zum Glück sofort den Holzengel, den ich ihr geschenkt habe.
„Hier, ich hab ihn gefunden. Kannst du laufen?"
Sie schüttelt den Kopf. Die Hand ist so steif, dass sie auch den Engel nicht greifen kann, also stecke ich ihn ein.
„Gut. Oder nicht gut. Aber dann trage ich dich."Erst gebe ich ihr ein paar Schlucke von dem immernoch warmen Tee. Dann setze ich meinen Rucksack auf, hebe sie hoch und laufe aus der Ruine. Das Taxi kommt uns kurz vor der Hauptstraße entgegen. Ich setze Anni auf die Rückbank und rutsche daneben.
„Bitte so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Ich kann nicht beurteilen, wie schwerwiegend die Erfrierungen sind."
Der Taxifahrer fragt nicht lang. Er schmeißt seine Warnblinkanlage an und gibt Gas.
„Das nächste von hier aus dürfte das Huyssen-Stift sein. Ich fahre sie da hin."
Er rast Richtung Stadtwaldplatz und dann runter Richtung Rüttenscheid. Auf der Müller-Breslau-Straße gibt er nochmal so richtig Gas und fährt einfach direkt bei der Notaufnahme vor. Ich habe derweil die zitternde, weinende Anni im Arm und rede beruhigend auf sie ein.„Ich will kein Geld, Hautsache, dem Mädel geht's gut. Aber hier ist meine Karte. Bitte melden Sie sich bei mir. Ich bin über ein paar rote Ampeln geschossen und brauche Sie als Zeugen."
„1000 Dank! Ja, mach ich."
Ich ziehe Anni zu mir ran und nehme sie wieder auf die Arme. Ich renne an mehreren Krankenwagen, die offensichtlich schon im Einsatz waren, vorbei, ins Gebäude rein und auf den nächstbesten weißen Kittel zu.„Ich habe diese Frau im Wald gefunden. Sie hat offensichtlich Erfrierungen, denn sie konnte nicht mehr stehen und auch nicht ihr Handy halten."
Der weiße Kittel setzt sich ruckartig in Bewegung, ich einfach hinterher. Unter kaltem Neonlicht, durch kahle Flure, vorbei an vielen geschlossenen Türen, in ein Behandlungszimmer.
„Legen Sie sie da hin. Hat sie getrunken?"
„Mit Sicherheit nicht!"
Der Arzt riecht trotzdem, ob Anni eine Fahne hat, und schält sie dann aus dem Schlafsack.
„Helfen Sie mir bei den Schuhen? Wir müssen sehr vorsichtig sein, falls das Erfrierungen dritten Grades sind."
Die Boots haben zum Glück tiefe Schnürungen. So können wir sie ganz weit aufmachen und Annis Füße vorsichtig rausdrehen. Der Arzt zieht ihr auch die Socken aus und seufzt erleichtert auf.
„Gott sei Dank. Da beginnen sich Bläschen und Ödeme zu bilden, aber die Füße sind nicht verfärbt, und ich kann einen schwachen Puls fühlen. Also ist noch nichts verloren."Irgendjemand reißt die Tür auf, registriert, dass der Raum belegt ist, und rennt mit einem anderen Notfall weiter. Ich schließe die Tür wieder. Wir kontrollieren gemeinsam auch die Hände und den Kopf. Es scheint so, als wäre alles noch zu retten.
„Wie gut, dass sie rechtzeitig reagiert haben und sofort hierher gekommen sind. Es scheint, dass Sie die Frau kennen?"
„Ja. Sie ist ..."
Halt die Klappe!
„... eine Bekannte. Aber ich wusste nicht, dass sie auch zur Isenburg wollte heute Nacht. Ich hab mich ja ausgerüstet mit Schlafsack und so. Und so eine Unvorsichtigkeit sieht ihr auch gar nicht ähnlich. Wahrscheinlich war das eine spontane Entscheidung, und sie hat die Gefahr einfach nicht gespürt."
„Können Sie abschätzen, wie lange sie in der Kälte war?"
„Ich war etwa um 23.25 dort, und sie muss schon da gewesen sein, denn sonst hätte sie an mir vorbeigehen müssen."
„Das ist eine sehr lange Zeit. Hoffentlich gibt es nicht noch in den nächsten Tagen Komplikationen. Wir behalten sie auf jeden Fall hier."
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...