Das Leben ist ein hinterlistiges Miststück. Da haben wir uns grade dran gewöhnt, dass das Schuljahr so richtig läuft, und wollen es uns darin gemütlich machen. Aber in zwei Wochen beginnt die erste Klausurenphase. Hat sich was mit zurücklehnen. Der Mathe-Grundkurs in der Zwölften ist zum Glück nicht gleich am Anfang dran. Aber wir haben mit heute noch zehn Nachhilfe-Termine bis zur Statistik-Klausur. Und Max ist noch nicht mal in Sichtweite des Unterrichtsstoffes. Ich muss heute also das Tempo etwas anziehen. Er macht es mir ja leicht, weil er eigentlich alles so schnell kapiert. Es scheint wirklich nur darum zu gehen, die alten Blockaden zu lösen und die Zusammenhänge herzustellen.
Ich habe Aufsicht im alten Hof. Und wie immer halten sich die Tänzer in meiner Nähe auf. Unser „CSI Essen"-Team ist immer noch mit Feuereifer dabei, die „liebe" Kollegin zu beschatten. Im Moment freue ich mich immer, wenn ich Aufsicht habe, denn nach den zwei Vorfällen letzte Woche ist es im Lehrerzimmer einigermaßen ungemütlich geworden. Keiner sagt das laut, aber es bilden sich Lager – ein kleines verbohrtes und ein großes resigniertes Lager. Und Frau Hartmann selbst stolziert wie die Eiskönigin kommentarlos zwischen allen durch und strahlt Siegesgewissheit aus. Warum auch immer. Ich erzähle Max nichts davon, es würde ihn zusätzlich verunsichern. Aber eigentlich ist klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die nächste Bombe platzt. Und bei allen Versteckspielchen – es ist völlig unkalkulierbar, wann, wo und wie sie das nächste Mal „zuschlagen" wird. Bisher hat sie nämlich einfach geschickt Gelegenheiten genutzt. Es wird aber nicht „keine Gelegenheiten" mehr geben.
Sie wird ihre Lücken finden ...Am Ende der Pause kommt Max direkt zu mir, und gemeinsam steuern wir unseren kleinen Raum an. Ganz kurz rekapitulieren wir den Stoff der Siebten. Dann macht er sich über eine Probearbeit der achten Klasse her. Zum Teil ist das die Kombination von Brüchen und Dezimalzahlen mit Wurzelnziehen. Max schlägt sich tapfer, weil das meiste noch so frisch ist. Aber dann kommt Geometrie, Satz des Pythagoras – und es tun sich Abgründe auf. Ich male Bildchen, ich erzähle Geschichten, Max gibt sich redlich Mühe, aber da werden wir sicherlich noch zwei Termine verbraten müssen. Und dann wird's langsam eng.
Als ich merke, dass seine Konzentration nachlässt, mache ich Schluss für heute und spreche das Zeitproblem noch an.
„Ich finde es klasse, wie viel Mühe du dir gibst und wie schnell du das meiste begreifst. Wir haben nur ein Problem. Wir haben ab Montag noch neun Termine bis zur ersten Klausur. Und das reicht nicht, um weiter so gründlich zu arbeiten. Obwohl du das eigentlich brauchst. In der achten, neunten und zehnten Klasse kommen Geometrie, Funktionsgleichungen und Stochastik. Und das letzte brauchst du für Statistik auf jeden Fall."
Max schluckt.
„Können wir die Geometrie nach hinten schieben? Würde das helfen?"
„Ja, das würde uns Zeit verschaffen. Dann schaue ich mir jetzt genauer an, was du für Statistik wissen musst und wähle gezielter aus."Max packt seinen Kram zusammen.
„Dir ging es diese Woche nicht so gut, oder?"
Max hält kurz inne. Dann packt er weiter.
„Nö. Es gab viel Streit zu Hause. Ich ... hab nach der Kiste am letzten Freitag begriffen, dass ich aufhören muss, mich hinter anderen zu verstecken, weil es Tanja mit all dem immer schlechter geht. Also habe ich am Dienstag Abend das direkte Gespräch mit Papa gesucht."
„Und?"
„Es war ein Fiasko. Er hört überhaupt nicht zu. Schließlich hat er mich aus dem Wohnzimmer rausgeschmissen, und dann haben Papa und Tanja bis morgens um wasweißich gestritten. Laut. Am nächsten Morgen war Tanja total verheult und ..."
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...