Wie ein geprügelter Hund stolpere ich durchs Freitags-Tanztraining, bin mit dem Kopf in den Wolken bei der samstäglichen Lerngruppe, kriege meine Hausaufgaben nicht unter die Füße, schleiche durchs Wochenende – bin nicht ich selbst. Irgendwann hab ich aufgehört, mich abzulenken, weil mich das nicht weitergebracht hat. Also grübele ich die ganze Zeit, was ich jetzt tun könnte, um Anni zu helfen, was sie aufheitern oder stabilisieren oder ihr einfach gut tun würde. Ich habe weder das Geld, sie mit Geschenken zu überhäufen noch ... eigentlich kann ich gar nichts tun. Denn wie soll ich ihr was Gutes tun, wenn ich sie gleichzeitig in Ruhe lassen soll??
Es ist zum Auswachsen! Wo bleibt deine Phantasie, Max???Der einzige Lichtblick ist die Antwort von Onkel Uwe, der sich gleich am Sonntag Morgen Zeit nimmt für mich. Wir verabreden, dass ich ihm so viel wie möglich Andeutungen und Wissensschnipsel über Anni erzähle, damit er sich vielleicht einen Reim darauf machen kann. Er wird mir dann nicht sagen, zu welchen Schlüssen er gekommen ist, sondern mir nur Tipps geben, was ich jetzt am besten tun kann. Und eben mit mir MEIN Verhalten reflektieren. Es tut saugut, so einen Coach zu haben. Mein schlechtes Gewissen ist zwar nur unwesentlich kleiner geworden, aber irgendwie fühle ich mich jetzt wieder klarer und sortierter und habe eine kleine Ahnung, was ich machen will.
Das Spannende ist: allmählich erkennen wir ein Muster in meinen Reaktionen auf Überforderung – blind um mich schlagen und dann wegrennen. Es ist ÜÜÜÜÜberhaupt nicht lustig zu erkennen, wie sehr ich darin meinem Vater ähnele. Also nehmen wir uns vor, in der nächsten Zeit genau daran zu arbeiten. Ich muss zulassen, dass ich auch Papas Sohn bin, damit ich zulassen kann, dass ich oft genauso bin wie er. Und damit ich verstehen kann, wie ich es anders hinkriegen kann.
Nach dem Sonntagstraining kommen Moritz und Paul noch mit zu Lasse und mir. Wir hocken zusammen auf Lasses Bett, hören Musik und gammeln. Moritz hat schon seit zwei Tagen rumgedruckst, und jetzt rückt er endlich mit der Sprache raus.
„Jungs, ich brauch mal eure Hilfe. Ich ... - wehe, ihr lacht! - ich will ... für Milly einen Adventskalender basteln. Ich hab auch schon einige Ideen, was ich da reintue. Aber die reichen nicht für 24 Tage, und ich hab noch überhaupt keine Ahnung, wie ich das adventskalendermäßig verpacken soll."
Ich weiß ja nicht, wie es Paul und Lasse bei dieser gestammelten Frage geht. Aber ich muss mich echt gewaltig zusammenreißen, nicht vor Lachen vom Bett zu rollen.
„Tja, Moritz. Wo die Liebe hinfällt ... Bist du schonmal auf die Idee gekommen, danach zu googeln? Ich wette, dass es im Netz tausend und fünf Ideen und Bastelanleitungen gibt."Moritz schaut verblüfft aus der Wäsche, zückt sein Handy und fängt an zu googeln. Paul ist sogar noch schneller und landet zügig bei Pinterest. Uns fallen bald die Augen aus den Köpfen bei all den tollen und noch tolleren Ideen. Vieles davon ist von uns nicht umsetzbar oder passt einfach nicht zu Milly. Aber bald schon sprudeln unsere Vorschläge nur so. Und mitten drin patsche ich mir vor die Stirn.
DAS ist die Antwort!
In einer Woche fängt der Advent an, und ich könnte Anni auch einen Kalender basteln. Den gebe ich dann Jenny, die Anni nicht verrät, von wem der ist. Aber vielleicht tut es ihr gut zu spüren, dass jemand an sie denkt.Die anderen kucken mich irritiert an, als ich aus der allgemeinen Runde ausschere. Ich flitze nach nebenan, hole mir Block und Stift und fange an, Ideen aufzuschreiben. Gesehen habe ich ja jetzt genug. Irgendwann stoße ich beim Googeln auf Adventskalender-Bücher. Und dann kommt DIE Entdeckung. Ich hab ja schon oft erlebt, dass sich Anni und Frau Tucher gegenseitig Pettersson und Findus nennen. Und es gibt tatsächlich eine Geschichte über die beiden, die in siebzehn langen Kapiteln gestaltet ist. Pettersson baut irgendwas für Findus zu Weihnachten. Wenn ich ein paar Kapitel teile ...
Schnell zücke ich mein Handy.
„Liebe Frau Tucher! Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich mir am Freitag Ihre Nummer eingespeichert habe. Ich würde Anni gerne anonym einen Adventskalender schenken und bin dabei auf ein Pettersson-und-Findus-Advents-Buch gestoßen. Haben Sie oder Anni das schon? Wenn nicht, würde ich das kaufen, etwas aufhübschen, und Sie schmuggeln das dann bei Ihnen rein?"
Ich muss zum Glück nicht lange auf die Antwort warten.
„Sowas gibt's? Cool! Kein Problem mit der Nummer. Nein, das haben wir nicht, kennen es auch nicht. Und, Max? Das ist eine TOLLE Idee! Meld Dich, wenn du noch Fragen hast."
„Hab ich. Welche Teesorten mögen Sie beide besonders gerne? Und was für Süßigkeiten/Kekse?"
„DUUU stellst Fragen. Ich sehe, Du hast schon eine Idee. Also – Tee. Wir lieben beide eine Mischung aus allem, wir mögen es stimmungsvoll, Du kannst also nix falsch machen. Toni mag kein Anis, ich keine scharfen Lebkuchen. Ansonsten: tob Dich aus! Du bist ein Goldstück!"
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich war.
Ich kann Anni was Gutes tun!

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Was sich neckt, das hasst sich
Fiction généraleÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...