Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich war. Ich bin SOOO bis über beide Ohren verliebt in Anni und stolz und glücklich mit Anni. Vier Wochen noch! Dann bin ich 18 Jahre jung, und Anni ist wenigstens aus EINER Gefahrenzone raus. Der Abend gestern war so wunderschön. Wir haben so viel gelacht. Und die Stimmung in dem Schuppen war einfach mega. Ich hab wahrscheinlich den Altersdurchschnitt eklatant nach unten gefälscht. Diese Art kleiner Kneipenkonzerte gab es bestimmt schon immer. Nur habe ich sowas noch nie mitgekriegt.
Aber der absolute Knaller war unsere Kuschelecke. Da hat der einfach wegen uns seinen Laden umgeräumt! Und dieser bombastische Eisbecher. Dieser Wirt war cool drauf. Wir haben uns gleich einen Flyer geschnappt, wann die nächsten Konzerte sind. Ich habe keinen dieser Namen jemals zuvor gehört. Aber deshalb kriegt man die dann auch zum Anfassen nah in einer Kneipe und nicht mit dem Opernglas in einem Fußballstadion.
Der Heimweg war zäh. Ich wollte gar nicht raus aus dem Auto. Aber wir haben uns fest vorgenommen, diese Abstandsregel zu unserer Sicherheit strikt durchzuziehen. Also habe ich mich in den letzten Bummelzug gehockt, bin nach Essen gezockelt, hab mein Fahrrad an der U-Bahnstation eingesammelt und mich schließlich gegen Mitternacht ins Haus geschlichen.
Ich hatte ja von der Klinik aus getextet, dass ich mich noch ein bisschen in Wuppertal verlustieren will, um meinen Kopf zu lüften und nachzudenken. Aber erklären werde ich das vermutlich morgen doch müssen. Und ich hab mich entschieden, dass ich einfach zufällig über diese Kneipe gestolpert bin und dann ganz spontan dieses Konzert genossen habe. Hoffentlich kaufen die mir das ab, wenn ich demonstrativ mit der CD winke. Aber immerhin muss ich mir dann nicht auch noch Zeiten und Orte und Erlebnisse zusammenlügen. Diese Lügerei gegenüber Tante Jana und Onkel Thorsten geht mir schon gewaltig gegen den Strich.
Getreu nach dem Motto „wer spät feiern kann, kann auch früh aufstehen" quäle ich mich also aus meinen schönen Träumen, schnappe mir in der Küche im Vorbeigehen einen Apfel, trabe wieder hoch und setze mich an den Schreibtisch. Weil ich ja bei Papa war, hab ich gestern die Sprach-Lerngruppe bei Paul verpasst und hole die Inhalte als erstes nach. Netterweise haben die beiden mir dazu eine ausführliche Mail geschickt. Dann kommen die üblichen Arbeitsberge – letzte Hausaufgaben der vergangenen Woche machen, Lerngruppen und Mathe-Nachhilfe nachbereiten, die eigene Lerngruppe für Montag Morgen vorbereiten.
Mittendrin höre ich plötzlich ein Räuspern von meiner Zimmertür her und zucke etwas zusammen, weil ich mich grade so konzentriert habe. Dann kommt Tante Jana ganz ins Zimmer, schließt sorgfältig die Tür und hockt sich auf mein Bett. Ich habe keine Ahnung, was jetzt kommt – jedenfalls kein Smalltalk, soviel ist mal sicher. Also lege ich meinen Stift weg, hole tief Luft und drehe mich zu ihr um, um mich ganz auf sie zu konzentrieren. Irgendwas lauert hinter ihrer Stirn, das ich noch überhaupt nicht greifen kann.
Jetzt bloß die Nerven bewahren!„Max?"
„Hm?"
„Wer ist Anni?"
„Wie bitte???"
Ach, du Scheiße! Woher ...
„Entschuldige bitte, ich komme mir völlig bescheuert vor. Du schlitterst grade mit einem ungeheuren emotionalen Energieaufwand durch dieses ganz wichtige Jahr. Wir halten dir den Rücken frei, weil wir alle wollen, dass du heil da durchkommst und dir deine Träume erfüllen kannst. Wir bewundern dich für dein Durchhaltevermögen, bejubeln jede deiner guten Noten, verstehen jeden Tränenausbruch und jeden Wunsch nach Alleinesein. Du bist uns unglaublich wichtig."
„Aber?"
Woher kennt sie diesen Namen!?!
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Was sich neckt, das hasst sich
General FictionÄhhh - heißt das nicht eigentlich: "... das liebt sich" ??? Eigentlich ... Aber nicht, wenn ein notorischer Mathemuffel mit Hang zum verbalen Kahlschlag kurz vorm Abitur auf eine Lehrerin trifft, die mit Liebe zur Mathematik und einer ausgesprochen...