Sofy
Am nächsten Tag gab ich meinem Chef Bescheid, der zum Glück sehr entspannt war bei kurzfristigen Urlaubsanträgen. Ich erzählte, dass ich aus privaten Gründen die Woche zu meinen Eltern fahren musste und schon stellte er keine weiteren Fragen. Nun ging es daran, meine Tasche zu packen. Dabei drehten sich meine Gedanken wie im Kreis. Von Nina und Timo bis hin zu Wincent. Es war mir einfach alles zu viel, eine zu große Last. Inzwischen wuchsen in mir die Zweifel, diese Last nicht lange tragen zu können und irgendwann komplett daran zu zerbrechen. Wenn ich denn nicht bereits endgültig zerbrochen war. Keine Ahnung. Ich wusste ja nicht, wie es sich anfühlte, wenn alles in einem der pure Scherbenhaufen war. Fühlte es sich so an, wie ich mich momentan fühlte?
Ich schulterte meine Tasche und verließ die Wohnung, um wenig später in mein Auto zu steigen. Meine Familie lebte etwa drei Stunden weit entfernt, sehr dörflich. Zugverbindung war da definitiv ein Fremdwort und so blieb nur das Auto. Ich schaltete mein Hörbuch an und fuhr los, allerdings war es schon schwierig, sich auf das Fahren zu konzentrieren. Ich musste mehrere Pausen einlegen, weil nichts mehr ging. Es war nicht einmal so, dass ich dann immer anfing zu weinen. Manchmal musste ich auch einfach nur einen Moment dasitzen und durchatmen. So benötigte ich für eine eigentlich dreistündige Fahrt fast fünf Stunden. Als ich endlich auf den Hof meiner Eltern fuhr, war ich einfach nur erleichtert, angekommen zu sein. Ehe ich ausstieg, rief ich Melina an, damit sie wusste, dass ich heile angekommen war. „Sofy? Ich hab mir schon Sorgen gemacht. Du hattest was von circa drei Stunden gesagt!" „Tut mir leid. Ich musste zwischendurch Pause machen", antwortete ich und machte einen kurzen Moment Pause, „Danke für gestern." „Man Sofy. Du bist mir echt wichtig geworden. Für mich bist du eine Freundin. Ich mache mir Sorgen um dich. Aber ... was ich dich noch Fragen wollte. Was war das gestern mit diesem Wincent? Ich check das nicht? Du und er?" „Melina. Ich kenne ihn kaum. Wir waren verabredet zum Kaffee, weil wir uns davor zwei Mal zufällig begegnet sind. Da ist nichts. Hab ich keinen Kopf für und außerdem würde so jemand wie er nie etwas von mir wollen. Aber vielleicht ... kann sich eine Freundschaft entwickeln. Keine Ahnung. Ich weiß momentan nicht, wo mir der Kopf steht. Ich habe Angst vor allem." „Hey. Nach Regen kommt immer die Sonne oder sogar ein Regenbogen! Es wird alles wieder. Du brauchst jetzt Zeit, um das alles zu verarbeiten." „Hm", antwortete ich nur, „ich muss dann mal aufhören und reingehen." Mit diesen Worten legte ich auf, atmete einmal tief durch und stieg aus dem Wagen. Ich nahm meine Tasche und schlurfte zur Haustür, um zu klingeln. Wenig später öffnete meine Mutter die Tür, die mich auch gleich ganz euphorisch in den Arm nahm. „Es ist so schön, dass du da bist! Aber ... Wo hast du Timo gelassen?", verwundert sah sie sich um und versetzte mit den Worten einen erneuten Stich. „Ich habe doch gesagt, dass es vorbei ist", sagte ich nur kühl. „Ach quatsch. Das sagst du nur so. Das wird alles wieder werden, vertraue mir. Komm erstmal rein, deine Geschwister sind auch schon da." Sie schob mich gleich weiter ins Wohnzimmer. Dort saßen mein Vater, mein Bruder Mike mit seinem Partner Noel, meine Schwester Ina mit ihrem Mann Boris und ihren Kindern Malin und Emil. Das volle Familienprogramm. Mein Bruder nahm mich gleich ganz fest in den Arm. Die restliche Begrüßung fiel distanzierter aus. Zu meiner Schwester hatte ich schon lange kein gutes Verhältnis mehr gehabt, sie trug es mir noch immer nach, dass ich mich gegen das Jurastudium entschieden hatte und somit keine Anwältin geworden war wie sie. Allgemein hielt sie mir vor, dass sie in meinem Alter schon verlobt und schwanger war und dass ich ja eine Enttäuschung war. Schließlich war ja bekannt, dass meine Mutter viele Enkelkinder haben wollte. „Wo hast du Timo gelassen?", hakte meine Schwester auch gleich nach, auch sie fand Timo super, weshalb ich bei ihr auch auf kein Verständnis hoffen brauchte. „Ich habe mich getrennt", entgegnete ich kühl.
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Vielleicht irgendwann (1)
FanfictionWie ist es mit einem Menschen zusammenzuleben, der einem nicht gut tut? Zerstörend. Aber wieso schafft man es trotzdem nicht, sich von dieser Person zu trennen, sie aus dem Leben zu streichen? Ganz einfach, weil man diese Person immerhin mal geliebt...