SofyEs fühlte sich an, als würde ich vor einem riesigen Scherbenhaufen stehen. Mein ganzes Leben war also eine einzige Lüge? Aber es ergab jetzt vieles einen Sinn. Vielleicht … wusste mein Unterbewusstsein ja schon länger, dass irgendwas nicht stimmen konnte. Ich wusste es nicht. Das einzige, was ich wusste … Wenn ich Wincent nicht hätte, dann hätte ich keine Ahnung, was noch passiert wäre. „Wincent?“ „Hm?“ „Kannst du meinem … Kannst du Mike sagen, dass ich nicht zu diesem scheiß Brunch komme … Ich kann das nicht. Ich kann die nicht sehen.“ „Das habe ich ihm bereits gesagt. Mir war vorhin schon klar, dass wir da nicht hingehen. Wir packen morgen früh unsere Sachen, schnappen uns die Kinder und fahren einfach einen Tag früher los. Damit wir einfach runterkommen. Nur wir vier. Keine Handys. Gar nichts.“ „Okay“, murmelte ich nur, ehe ich mich wieder unter die Bettdecke verkroch. Und während mir irgendwann Wincents gleichmäßige Atmung verriet, dass er wohl eingeschlafen war, konnte ich absolut nicht einschlafen. Ich war hellwach. Meine Gedanken kreisten und wollten einfach keine Ruhe geben, die Tränen liefen lautlos meine Wangen hinunter. Deshalb war ich schon fast dankbar, als Elina sich irgendwann bemerkbar machte. Ich befreite mich also aus Wincents Armen und schlurfte ins Kinderzimmer. Da Elina immer etwas brauchte, bis sie sich beruhigte und wieder einschlief, beschloss ich, nach unten zu gehen und es mir mit ihr auf der Couch bequem zu machen. Auf dem Weg dorthin kam mir Wincents Mutter entgegen, die wohl auch gerade hochschauen wollte. „Ihr seid ja schon wieder da“, gab sie etwas überrascht von sich und folgte mir ins Wohnzimmer, „Wann ward ihr denn zu Hause?“ „Keine Ahnung. Vor zwei oder drei Stunden? Ich weiß nicht“, antwortete ich und setzte mich auf die Couch. „Du wirkst aber nicht so, als hättest du geschlafen. Hast du geweint? Was ist passiert? Hat mein Sohn scheiße gebaut?“ „In eurer Familie kann man auch niemandem irgendwas vormachen … Aber Wincent hat nichts gemacht. Falls dich das beruhigt.“ „Ein bisschen. Was ist denn passiert?“ Eins stand fest, ihr konnte ich genauso wenig vormachen wie Wincent. Das lag wohl ganz eindeutig in der Familie. Und weil ja alles nichts brachte, erzählte ich ihr also von der ganzen Scheiße, die auf der Hochzeit passiert war. „Okay. Ähm … Da erstmal die richtigen Worte finden ... finde ich echt schwer“, entgegnete sie seufzend, „Aber vielleicht als kleiner Trost. Du hast trotzdem eine Familie. Und auch dein Bruder ist doch weiterhin dein Bruder. Es geht nicht immer um die Blutsverwandtschaft. Das Herz und das, was einen verbindet, ist das, was zählt.“ „Ich glaube ich will da erstmal keinen Kontakt“, murmelte ich und stand seufzend auf, weil ich hoffte, dass ein bisschen auf und ab gehen dafür sorgte, dass Elina sich beruhigte, „Normalerweise braucht sie immer nur so eine viertel Stunde und sie beruhigt sich wieder ... Wieso jetzt nicht?“ „Weil sie spürt, dass es ihrer Mama nicht gut geht. Du bist logischerweise völlig unentspannt und da kann sie sich auch nicht entspannen.“ „Und was mach ich jetzt? Wincent schläft …“ „Komm. Ich übernehme und du legst dich hin“, versicherte sie mir und nahm mir Elina auch gleich ab. Aber an Schlafen war für mich einfach nicht zu denken. Trotzdem nickte ich. „Danke“, murmelte ich und lächelte sie dankbar an. „Da nicht für. Und ich bin ja eh hier, dann kann ich dir das auch mal abnehmen. Du hast dir in den letzten Wochen ja die Nächte allein mit den Zwillingen um die Ohren geschlagen“, erwiderte sie schmunzelnd.
Ich ging also wieder ins Schlafzimmer. Aber statt mich ins Bett zu legen, griff ich mir eine Taschenlampe und fing einfach an, die Koffer zu packen. Wenn ich eh nicht schlafen konnte, dann könnte ich das auch jetzt schon machen und wir hatten in der Früh nicht mehr so viel zu tun. Und so hatte ich eine Beschäftigung. Vielleicht brauchte ich das gerade einfach. Beschäftigung.
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Vielleicht irgendwann (1)
FanfictionWie ist es mit einem Menschen zusammenzuleben, der einem nicht gut tut? Zerstörend. Aber wieso schafft man es trotzdem nicht, sich von dieser Person zu trennen, sie aus dem Leben zu streichen? Ganz einfach, weil man diese Person immerhin mal geliebt...