Teil 79

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Sofy


Etwa eine Stunde später saßen wir in seinem Auto und waren unterwegs. Ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr in einem Freizeitpark gewesen. Eigentlich konnte ich mich gar nicht mehr wirklich daran erinnern. Eventuell war es sogar noch in Amerika gewesen und da war ich noch so klein, dass ich die meisten Sachen gar nicht mitfahren durfte. Und Wincent sollte Recht behalten, es war wirklich sehr leer. „Siehst du? Kaum jemand unterwegs", entgegnete er grinsend, als wir ausstiegen und direkt griff er meine Hand und zog mich mit sich. „Du hast wirklich ein Egoproblem, dass du immer betonen musst, wenn du mal Recht hattest", antwortete ich und runzelte die Stirn. „Okay. Der war fies", schmollte er, „Mir war gar nicht bewusst, wie gemein du sein kannst." „Wir können das super gern nachher ausdiskutieren, aber jetzt will ich irgendwas fahren." Ich achtete nicht weiter auf ihn und ging schnurstracks Richtung erster Achterbahn, um mich in die kurze Warteschlange zu stellen. Wincent stellte sich zu mir, verschränkte seine Arme und schüttelte nur den Kopf. „Was ist?", fragte ich grinsend, „Beleidigt? Eitelkeit verletzt?" „Du bist so böse!" „Nö. Nur ehrlich. Und jetzt komm", sagte ich nur und zog ihn mit mir, da wir inzwischen an der Reihe waren. Langsam breitete sich in mir ein Gefühl von Aufregung aus, war ich doch noch nie mit einer Achterbahn gefahren. Auch aus diesem Grund ließ ich Wincents Hand nicht los, er gab mir dann einfach die nötige Sicherheit, damit ich auch wirklich keinen Rückzieher machte. „Bist du überhaupt schon einmal mit einer Achterbahn gefahren?", fragte er mich, kurz bevor es losging. Ich konnte nichts sagen, also schüttelte ich nur den Kopf. Nun war es aber auch zu spät für einen Rückzieher, denn langsam setzte ich der Wagen in Bewegung, weshalb ich einmal scharf einatmete. „Alles wird gut. Du wirst es lieben", sprach Wincent, wobei er schon fast schreien musste, und festigte den Griff um meine Hand. Und wieder hatte er Recht, denn es machte unfassbar viel Spaß. Auch, wenn ich ihm vermutlich das linke Ohr abschrie, es lohnte sich. „Das war der Wahnsinn", rief ich freudig, als wir bereits wieder draußen standen. „Wie kommt es eigentlich, dass du vorher noch nie Achterbahn gefahren bist?", erkundigte sich Wincent neugierig, während wir uns bereits nach dem nächsten Fahrgeschäft umsahen. „Ich war das letzte mal in Amerika in einem Freizeitpark, aber damals war ich noch viel zu klein. Ich kann mich auch kaum daran erinnern. Ich war vielleicht fünf und ein Jahr später ging es nach Deutschland, seitdem habe ich nie mehr einen solchen Freizeitpark betreten", erklärte ich schulterzuckend, „Meine Eltern mögen das alles nicht wirklich. Und allein ist man halt auch nie hingekommen. Mit der Zeit hat sich das auch nicht mehr gewünscht, weil klar war, dass sie eh nicht mit mir fahren würden. Das war schon okay" „Dann holen wir das wohl jetzt nach. Aber du hast nie erzählt, dass du ja doch noch einige Jahre in Amerika gelebt hast. Hast du dir nie gewünscht, zurückzukehren?" „Nein. Ich liebe es hier. In Amerika habe ich nichts. Also ja meine Großeltern, aber ansonsten habe ich dort nichts. Außer mein Nachname ist auch nichts an mir, das irgendwie an Amerika erinnern könnte. Ich habe ja nicht einmal einen Akzent, im Gegensatz zu meinen Eltern. Besonders mein Vater hat noch einen sehr starken Akzent."

„Stimmt. Einen Akzent hast du so gar nicht", entgegnete er schmunzelnd, „Und deine Geschwister?" „Einen leichten, aber auch nicht mehr. Meine Schwester noch etwas mehr als mein Bruder, aber sie ist ja auch sechs Jahre älter als ich und drei Jahre älter als mein Bruder und hat demnach am meisten mitbekommen von dem Ganzen." „Soso. Da bin ich ja gespannt, wenn ich deine Familie mal kennenlerne", antwortete er lächelnd. „Ja ... da fangen wir mit meinem Bruder an. Der ist mir am wichtigsten und die Meinung zählt", erklärte ich schmunzelnd. Ich wollte ihm nicht direkt meinen Eltern und meiner Schwester aussetzen. Wincent war dabei keineswegs das Problem, ich machte mir eher Sorgen wegen meiner Familie. „Also sollte ich eher vor deinem Bruder Angst haben als vor deinem Vater?" „Angst ist übertrieben", lachte ich, „Aber mein Dad hält sich aus allem raus und da ist mein Verhältnis zu Mike viel enger. Aber da musst du dir keine Gedanken machen. Du bist nicht Timo, also wird er dich mögen. Der ist nur darauf aus, dass ich glücklich bin." „Und? Bist du glücklich?" „Definitiv", bestätigte ich lächelnd. „Also muss ich mir keine Gedanken machen, wenn ich deinen Bruder kennenlerne, dass du mich danach in den Wind schießt?" „Natürlich nicht. Da musst du dir gar keinen Kopf machen", antwortete ich schmunzelnd. „Na ja. Wenn dein Bruder für dich der wichtigste Mensch ist, wäre es schon schön und gut, wenn er mich auch mögen würde", etwas verlegen kratzte er sich am Kopf, „Außerdem mache ich mir nach deinen Erzählungen eh viel mehr Gedanken, was deine Familie betrifft. Meine Mutter, meine Schwester und mein bester Freund nehmen dich gleich mit offenen Armen auf, das weiß ich. Aber da deine Familie ja der totale Timofan war ... ob ich da mithalten kann?" Ich nahm seine Hände in meine: „Erstens. Was macht dich bei deiner Familie so sicher? Die wissen doch sicher nicht einmal von mir. Und zweitens. Mein Bruder hat Timo nie gemocht, dich wird er aber mögen. Und der Rest wird damit leben, deren Meinung spielt keine Rolle. Meine Schwester zum Beispiel schaut nur auf das Geld. Das ist ja auch so ein Grund, wieso wir Zwei nicht so ein gutes Verhältnis haben. Geld ist wichtig, das steht außer Frage, aber es ist nicht alles und glücklich macht es auch nicht." „Na ja. Die wissen, dass es jemanden gibt, und liegen mir schon ganz lange damit in den Ohren, dass sie dich kennenlernen wollen. Aber als ich zuletzt dort war, waren wir Zwei ja noch gar nicht zusammen. Ich kann halt keinem von ihnen wirklich was vormachen, haben mir das sofort angemerkt. Ist das bei deiner Familie nicht so?" „Ich ... habe seit dem Unfall keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Also abgesehen von Mike natürlich. Weihnachten bin ich einfach nicht hingefahren und Silvester auch nicht, ich habe die Tage lieber alleine verbracht." Ich ließ es mir nicht anmerken, war aber doch überrascht, dass seine Familie und sogar sein bester Freund bereits indirekt von mir wussten. Wie lang waren ihm seine Gefühle dann bitte schon bewusst gewesen? „Weihnachten? Allein? Na, wenn ich das gewusst hätte ..." „Ja. Es gibt schon Gründe, wieso du das nicht wusstest. Ich kannte dich da ja schon ...", ich wollte eigentlich noch etwas sagen, aber da ertönte aus dem Hintergrund ein aufgeregtes Schreien. „Oh mein Gott. Da ist Wincent!" Schnell zog ich meine Hände zurück und ging etwas abseits, zückte zur Sicherheit mein Handy, um beschäftigt zu wirken. Ich ging zur Sicherheit noch ein Stück weiter und setzte mich auf eine Bank, um dem Geschehen aus dem Augenwinkel beobachten zu können. Gleichzeitig nutzte ich die Gelegenheit, um die Nachricht meines Bruders zu lesen.

>> Hey Mäuschen. Noel und ich möchten am Sonntag gerne grillen. Magst du vorbeikommen? ♥ <<

Vielleicht irgendwann (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt