59|Frau Beerchen

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M I R A

Diskret versuche ich hinter meiner Hand zu gähnen und verstecke mein Gesicht, damit es niemand aus dem Meeting bemerkt. Genauso verstecke ich auch meine Mappe, in der ich seit einer Weile male.
Neben einer simplen Blume habe ich begonnen eine Frau in einem Erdbeerkleid mit einem Rock, das wie ein Tutu aussieht, zu malen.
Leider habe ich keine Buntstifte zur Hand und kann die schulterfreien Ärmel, die gezackt wie der Stengel einer Erdbeere sind, nicht grün ausmalen.

Auch, wenn ich vielleicht nicht so wirke, als würde ich an dem Meeting teilnehmen, höre ich dennoch zu. Nur bin ich viel zu müde, um aktiv mitzumachen und habe mich dem Malen hingegeben, um mich zu beschäftigen.

„Und dann kann Frau Beerchen die Kinder während der Probe begleiten.", fährt Herr Sezin fort und ich skizziere Schatten zwischen die einzelnen Lagen des Tutus.
Frau Beerchen. Wer heißt denn bitte so? Es ist zwar süß, doch auch merkwürdig so einen Namen zu haben. Wer könnte so jemanden denn jemals ernst nehmen? Ich könnte es nicht.

Flüchtig schaue ich auf und mein Blick kreuzt Jimins, der mich anstarrt. Genauso Nova neben ihm, die eine Braue hochzieht, als erwarte sie eine Antwort von mir für etwas. Was will sie jetzt schon wieder? Ich male hier nur!
Jemand tritt mich unter dem Tisch und es kommt von links, dass ich sofort herum sehe. Levi und Leo sehen mich beide genauso abwartend an und Levi deutet sogar mit den Brauen auf Herr Sezin. Was ist nur los mit ihnen?

Ich drehe den Kopf nach rechts und Herr Sezin sitzt zurückgelehnt mit verschränkten Armen und einem freundlichen Lächeln da.
„Langweilen wir Sie?", fragt er und sieht mich an.
„Wie kommen Sie darauf?", entgegne ich und schließe allmählich meine Mappe, doch seine Augen fixieren es dennoch wie ein Adler seine Beute.
„Weil Sie die halbe Sitzung über malen und nicht zuhören." Erwischt.
„Mit einem Ohr habe ich zugehört!", verteidige ich mich und lege auch meinen Kugelschreiber hin.

Er lehnt sich wieder vor und stützt die Unterarme am Tisch ab. Die Ärmel seines Hemdes sind hochgekrempelt, dass wir seine Tätowierungen sehen können. An seinem rechten Arm der Strauß Vergissmeinnicht und am linken Arm ein Schwarm Vögel, umgeben von schattierten Wolken und Rosen.

Ich würde gerne wissen welche Tattoos er sich noch stechen lassen hat und wo sie alle sind. Würde sie alle mit meinen Fingern nachfahren, genauso mit meiner Zunge und seine Haut schmecken.
Stopp!
Das geht zu weit!

„Legen Sie das jetzt weg und hören Sie zu. Wir sind sowieso am Ende angekommen.", ermahnt er mich, dass ich die Mappe etwas weiter in die Mitte des Tisches schiebe und mich zum zuhören zwinge.

„Wie gesagt. Ich würde dann Frau Acar und Herr Jonsen damit beauftragen die Kinder während der Probe zu begleiten und zu sehen, wie es mit denen so läuft.", wiederholt Herr Sezin, dass ich zu Levi schaue, der zustimmend nickt, als wäre das schon lange so vereinbart gewesen, doch ich höre davon zum ersten Mal. Ich soll das tun? Er hat doch aber vorhin noch Frau Beerchen gesagt.

„Moment mal, bin ich etwa Frau Beerchen?", platze ich dazwischen und Herr Sezin zieht eine dunkle Braue hoch.
„Wer denn sonst?" Wieso sagt er das, als wäre es selbstverständlich, dass ich diesen Namen bekomme? Gibt es Mobbing auf der Arbeit und wenn ja, wem melde ich das, wenn mein Chef derjenige ist, der mich ärgert?
„Wieso ich? Ich heiße so nicht."
„Sie sind die einzige hier im Raum, die Erdbeerkleider malt.", argumentiert er, dass ich wieder verstumme.

„Werden Sie nun mit Herr Jonsen zu den Proben gehen oder nicht? Sonst werde ich Frau Metaj schicken.", schlägt er vor, dass ich zu Nova schaue, dessen Augen bereits glänzen. Sofort schüttle ich den Kopf.
„Nein, ich mache das.", antworte ich und klopft auf Levis Schulter,„Wir machen das. Aber wann machen wir das?"
„Nächste Woche Freitag und darauf die Woche Mittwoch. Es wird keine große Sache sein, sondern nur, damit die Kinder wissen, was auf sie zukommt und von ihnen erwartet wird. Sie beide werden dort sein, um alles zu kontrollieren und mir Bericht zu erstatten."
„Das wird ein Kinderspiel.", scherze ich daraufhin, doch keiner lacht, dass ich nur breit über meinen Einfall grinse.

Der Arbeitstag zieht sich gewaltig in die Länge, dass ich völlig erledigt bin, als ich im Café ankomme und mich auf eine Bank fallen lasse.
Ich freue mich auf das Wochenende und die zwei Tage Entspannung, bevor alles mit Vollgas am Montag weitergeht.
Aras legt mir meinen geliebten Karamell Frappuccino vor die Nase, dass ich mich aufsetze und einen kräfteschenkenden Schluck nehme, während er sich links von mir hinsetzt. Yaz sitzt rechts und isst Avocadobrote, während sie durch ihr Handy scrollt.

„Gibt es wieder Dates für uns?", fragt Aras und schnappt sich Yaz' zweites Brot, dass sie ihn wütend über ihr Handy ansieht.
Ich nippe an meinem Strohhalm und schüttle leicht den Kopf.
Frau Nowak bin ich nicht einmal begegnet seit wir auf dem Date am Dienstag waren und es wundert mich, dass sie mich nicht nach mehr oder weniger bittet. Ich habe angenommen, dass sie wieder drastische Änderungen wollen würde, wie, dass ich wieder mit Herr Sezin ausgehe, doch ich scheine mich geirrt zu haben.

Herr Sezin ist ohnehin ein Fall für sich.
Wieso nennt er mich Frau Beerchen?! Die anderen haben alle auch keine albernen Namen von ihm, soweit ich weiß!
Nur, weil ich Erdbeeren mag und er das ständig gesehen hat, als ich sie in meinem Büro genascht habe.

Er hat es ständig gesehen, als ich Erdbeeren in meinem Büro genascht habe.

Herr Sezin weiß, dass ich Erdbeeren liebe, anders als der nette Herr Sezin und Frau Nowak. Das muss bedeuten...

„Er hat mir die Geschenke gemacht.", beende ich meinen Gedankenzug laut, dass Aras und Yaz beide aufhören ihre Brote zu essen und mich ansehen.
„Wer?", fragen sie, dass ich mich aus meinen Gedanken rüttle und sie beide anschaue.
„Herr Sezin. Ich habe doch diese süße Plüschbeere an meinem Geburtstag bekommen. Das muss von ihm gewesen sein.", erkläre ich und je länger ich es mir vorstelle, desto mehr Sinn ergibt es. Niemand anderes aus dem Atelier weiß von meiner Vorliebe. Natürlich war er es!

Yaz legt ihr Avocadobrot genervt auf ihren Teller und sieht Aras schmollend über den Tisch hinweg an.
„Das ist nicht fair, dass ich nichts mehr sagen kann!", beschwert sie sich.
„Selber Schuld, wenn du es versprichst.", meine ich schulterzuckend, denn ich habe nicht vor ihr Versprechen in nächster Zeit aufzulösen.

„Dein Chef hat dir also all diese Geschenke gemacht?", wiederholt Aras und sieht mich an, als müsse ich zwischen den Zeilen lesen. Doch da ist nichts.
„Nein, nicht alles. Schokolade kriegt wohl jeder am Geburtstag.", gebe ich wieder, was Jimin mir verraten hat.
Das bedeutet, dass die roten Rosen, der Korb frischer Erdbeeren und Beeri, der jetzt in meinem Bett liegt und mit dem ich jeden Abend beim Schlafen kuschle, alle von Herr Sezin sind?

Ich nehme wieder den metallischen Strohhalm in Mund und trinke mehrere Schlücke von meinem Frappuccino, während Aras und Yaz sich lange in die Augen sehen.
„Ich sage es jetzt, weil Yaz nicht darf.", beginnt Aras, dass Yaz beleidigt den Kopf an der Hand abstützt,„Denkst du nicht, dass dein Chef auf dich stehen könnte?" Schon wieder das?

Das klingt wie der schlechteste Witz des Jahres!
Herr Sezin steht nicht auf mich. So etwas kann gar nicht sein. Es ist gerade mal zwei Wochen her, seit er seinen Gips abbekommen hat, für den er mir nach wie vor die Schuld gibt. Der selbe Mann kann mich nun nicht anziehend finden.
Er hat das sicher als Entschädigung getan, weil er meinen Geburtstag mit einer unnötigen Suche verschwendet hat.

Und ich denke auch nicht, dass ich sein Typ bin.
Er steht sicher auf Frauen mit dunklen Haaren und einer dunklen Aura, die genauso viele Tattoos haben, wie er.
Ich bin sein totaler Gegensatz! Wir sehen aus wie die Personifikation von Yin und Yang.

Schwarz und weiß.
Tag und Nacht.

Außerdem schimpft er die meiste Zeit über mit mir, so wie heute auch.
Er müsste für einen Flirtversuch doch eine Karte oder irgendeinen kleinen Hinweis hinterlegt haben, damit ich auch weiß, mit wem ich da flirten soll, doch da war nichts, also wollte er es geheim halten.

„Bei jedem anderen hätte ich es möglicherweise angenommen, aber nicht er. Er mag mich zur Hälfte der Zeit nicht mal.", lehne ich wie gestern mit Leo ab und hoffe auf einen Themenwechsel.




Ich kann nicht glauben, dass Miras Spitzname von Demir erst jetzt fällt. Ich dachte ich würde das viel früher einbauen, aber hier sind wir -fast bei 60 Kapitel. 🤣
Ob Mira auch einen Spitznamen neben Blödmann Boss für ihn haben wird?
Alle scheinen Demirs Interesse an Mira zu merken, bis auf sie selbst. Da hat jeglicher scharfer Sinn sie verlassen. Wie lange das wohl noch so weitergeht?

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