82|krisenreiche Fahrt

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M I R A

Der Parkplatz des schicken Restaurants ist noch voll, als wir um zweiundzwanzig Uhr die dunklen Marmorstufen des zweistöckigen Gebäudes zu den Autos heruntergehen. Herr Sezin hat glücklicherweise recht nah am Eingang geparkt, dass ich nicht länger in den tödlich dünnen Absätzen laufen muss, die ich mir für heute Abend ausgesucht habe. Diese beigefarbenen Heels sind zwar wunderschön mit den Schnüren, die sich meine Waden drehen, aber ich fühle mich mittlerweile, als würde ich auf Messern laufen.

Seren hat sich bei Kenan eingehakt, während sie die Stufen gehen und ich zähle die sechs Stufen erst, bis ich mich dazu entscheide, dass ich das nicht ohne eine Stütze schaffe. Herr Sezin ist näher als das metallische Geländer, dass ich nach seiner Schulter greife, bevor er vorgehen und mich hier oben verzweifeln lassen kann.
Ich ziehe ihn an seinem Jackett zurück und statt einen seiner üblichen genervten Blicke zu bekommen, kommt er die Stufe nur kommentarlos wieder hoch und legt mir seinen Arm um die Hüfte.

„Wieso ziehen Sie auch immer so hohe Schuhe an? Das muss doch wehtun." Ich war wohl zu voreilig, was die Kommentare angeht...
Er sieht kritisierend zu meinen schönen Schuhen herunter.
„Soll ich etwa noch kleiner neben Ihnen aussehen?", entgegne ich, als wir unten ankommen und erwarte, dass er mich wieder loslässt, aber er behält seine Hand nach wie vor an meiner Taille. Ich spüre den Druck seiner Finger selbst durch den Mantel, den ich trage, als er mich ein wenig enger an sich zieht, doch ich sage nichts dazu und lasse mich von ihm berühren, als wäre es das Natürlichste überhaupt. Es ist jedenfalls schön.

„So klein sind Sie gar nicht.", meint er, dass ich eine Braue hochziehe.
So klein?" Seine Mundwinkel zucken und er lächelt langsam, dass ich nicht anders kann, als auf seinen Mund zu sehen. So schöne Lippen und so schöne weiße Zähne...

Wieso ist es nur so schwer für mich einen Kuss von diesem Mund zu stehlen? Da würde ich es wohl eher schaffen den Welthunger zu beenden.

„Das war ein schöner Abend. Trotz der Überraschung, die Miras Anwesenheit war.", sagt Seren und erinnert mich daran, dass sie ja auch noch hier sind. Ich lächle sie fälschlich an.
„Ich hätte zwar mit jedem anderen Menschen lieber gegessen, als mit dir, aber ja. Es war ein nettes Essen.", kontere ich, dass sie ein Lächeln genauso vorspielt.

„Wir sollten besser losfahren, bevor Serens Eltern die Krise kriegen und mir die Polizei auf den Hals hetzen, weil ich ihre Tochter entführt habe.", scherzt Kenan und Seren knufft ihn dafür in die Seite, doch er macht sich nichts draus und verflechtet seine Finger mit ihren.
„Gute Nacht. Den Rest können wir übers Telefon klären.", sagt Herr Sezin. Sein Daumen beginnt Kreise an meinem Mantel zu malen und ich könnte schreien, weil dieser blöde Stoff zwischen mir und seiner Berührung liegt. Wäre es sehr verrückt, wenn ich seine Hand unter meinen Mantel lege?
„Sicher. Schick mir einfach noch den Bauvertrag per Mail."

Wir gehen in entgegengesetzte Richtungen und Herr Sezin lenkt mich zu seinem Auto, seine Finger noch immer am kraulen, was ich nur federleicht spüren kann.
„Hey, Demira!", ruft Seren plötzlich und ich schaue mir über die Schulter, genau wie Herr Sezin. Hat sie gerade Demira gesagt oder habe ich mich verhört? Hat sie unsere Namen miteinander gemixt?!

Sie und Kenan stehen beide an einem schwarzen Sportwagen, in den Kenan bereits steigt, als sie vor der offenen Wagentür mit ihren Händen einen Trichter vor ihrem Mund formt.
„Ich hoffe auf eine Einladung für die Hochzeit!"

Wieso, wieso, wieso? Ist der heutige Abend verflucht?

Ich suche den Boden ab und finde einen kleinen Kiesstein, den ich aufhebe und noch in der selben Sekunde nach ihr werfe, bevor Herr Sezin mich zurückziehen kann. Seren lacht nur und steigt in das Auto, das Kenan mit erstaunlicher Schnelle vom Parkplatz fährt. Wieso tut sie mir das an!

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