3|Träume sind nicht ohne Grund nur Träume

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D E M I R

„Ich fasse es nicht!", ruft Kerem aus und fährt sich durch die Haare, um sein Entsetzen dramatischer wirken zu lassen.
Ich fasse auch nicht, aber das ändert nichts an der Tatsache.
Ein verdammter Mittelhandbruch.
Ich schaue meine eingegipste Hand an und bewege meinen Daumen, der herausschaut. Bevor ich den Gips bekam war meine Hand lila und grün, total angeschwollen und ich wollte mir die Hand abhaken, um den Schmerzen zu entkommen.

Was soll ich jetzt tun?
Der Arzt hat gesagt ich kann nicht zeichnen und sollte meine Hand auch nicht belasten, indem ich es probiere. Für die nächsten vier bis sechs Wochen, wie diese Klugscheißer Kellnerin gesagt hat.

„Ich auch nicht, Mann.", seufze ich und sinke tiefer in das Sofa.
„Und was willst du jetzt machen?" Er stemmt die Hände in die Hüften und sieht auf mich herab.
„Däumchen drehen.", sage ich und verziehe grimmig das Gesicht,„Ach ne, warte. Das kann ich ja auch nicht mal mehr."
„Gut, dass du noch zum Scherzen aufgelegt bist."
Rosa springt auf meinen Schoß und ich kraule den zwei Monate alten Welpen, dass sie sich mehr an mein Oberschenkel schmiegt und ihr kleines Schwänzchen freudig wedelt.
Kerem steht weiterhin mit einer Hand in der Hüfte und einer am Kinn vor mir und starrt meine gebrochene Hand an, als würde es verschwinden, wenn er es nur lange genug ansieht.
„Was willst du jetzt von mir hören?", frage ich, als er nicht aufhört.
„Eine Lösung, Demo." Ich verziehe das Gesicht bei dem Spitznamen.
„Ich habe keine, Kero." Er sieht mich warnend an, doch, wenn er mich mit diesem Namen anredet, dann nenne ich ihn nun mal einen Esel. Sein Pech, dass sein Name dazu passt.

„Dann muss das Team alles machen."
Diese Idee gefällt mir nicht.
Wir haben zwar keine Idioten als Designer eingestellt, doch ich will meine Aufgaben selbst erledigen können, ohne mich großartig auf andere verlassen zu müssen. Ich mag es nicht anderen die Arbeit zu überlassen, wenn ich es selbst erledigen kann.
Wobei ich es jetzt nicht mehr kann.
Womöglich habe ich keine Wahl.

„Ich bleibe für heute zuhause und schaue mal, was ich so alles hiermit machen kann.", seufze ich und hebe meine eingegipste Hand etwas an.
„Okay. Ich fahre zur Firma. Soll ich dir etwas mitbringen?", fragt er und klopft seine Hosentaschen nach Handy und Portemonnaie ab.
„Eine heile Hand."
„Ich probiere es.", sagt er zum Abschied, streichelt Rosa kurz und verlässt dann das Wohnzimmer, gleich daraufhin das Haus.

Ich hebe Rosa von meinem Schoß, dass sie kurz strampelt und halte sie so weit hoch, dass wir auf Augenhöhe sind. Ihre dunklen Augen blicken neugierig herum, während sie den Kopf hin- und herdreht.
„Was soll ich jetzt den ganzen Tag tun?"

M I R A

Ich streiche meinen khakigrünen Rock glatt und hole tief Luft. Ich bin immer noch überzeugt davon, dass das alles nur ein schöner Traum ist.
Oder doch ein Albtraum?
Was, wenn ich die Stelle nicht bekomme?
Wenn ich völlig umsonst keinen Schlaf vor Aufregung bekam? Die ganze Nacht an den drei Beispielzeichnungen gesessen habe und mir all die Mühe mit meinem jetzigen Aussehen gegeben habe, nur, um jetzt abgelehnt zu werden?

Dann bin ich all den Weg zu dem modernen, dreistöckigen Modehaus völlig umsonst gekommen. Die Außenwand ist aus braunem Backstein und dunkler Fassade mit simplen, hauchdünnen Säulen, die viel mehr zur Ausschmückung, als zur Stütze dienen.
Dieses Gebäude sieht so viel teurer und wichtiger aus, als all die anderen in dieser Straße.
Vergessen ist die süße Bäckerei und der verglaste Schuhladen einige Gebäude weiter.
Dieses besondere Architektenwerk mit den vielen Terrassen und den großen Grünflächen nimmt alles in dieser Straße für sich ein.

Zwei Männer in Anzügen gehen, in ein Gespräch vertieft, an mir vorbei und auf das Gebäude zu, als wäre es das Natürlichste dieser Welt hier ein- und auszugehen.
Langsam muss ich auch hineingehen, sonst kriege ich die Stelle so oder so nicht. Nochmal atme ich tief durch, strecke die Schultern zurück, halte meine schwarze Mappe fester und nehme all meinen Mut zusammen, um einen Schritt nach den anderen zu tätigen.
Augen zu und durch. Keine Panik oder Aufregung.
Vielleicht hilft es, wenn ich mir einrede, dass ich die Stelle schon habe. Ja, das ist eine gute Idee.
Ich habe die Stelle schon.

Drinnen ist es hell aufgrund der großen schwarzen Sprossenfenster, die sich über zwei Stockwerke strecken.
Rechts vom Raum ist eine lange Anmeldung, an der eine Frau mit einer weißen Bluse sitzt und ihre roten Haare zu einem strengen Zopf zurückgebunden hat. 
Entschlossen gehe ich auf sie zu.
„Hallo. Mira Acar, ich hatte ein Bewerbungsgespräch um elf bei Herrn Sezin.", rattere ich nervös herunter und lächle sie an.
Sie begrüßt mich und schaut in ihrem Computer nach, bevor sie mich nach oben in das dritte Stockwerk schickt, wo ich mich rechts auf eine Bank setzen und warten soll.

„Herr Sezin wird jeden Moment für Sie da sein.", sagt sie noch zum Schluss und lächelt aufmunternd, was ich erwidere, bevor ich an ihr vorbei und zum runden Glas-Aufzug, der von einer schwarzen Wendeltreppe umrandet wird, gehe.
„Der Aufzug ist momentan leider defekt, Frau Acar!", ruft sie noch und ich halte inne.
„Oh. Okay, danke."
Dann bleibt mir keine andere Wahl, als die Wendeltreppe zu nehmen. Das ist kein Leichtes mit meinen High Heel Sandaletten, aber ich musste diese zehn Zentimeter Absätze einfach tragen. Ich fühle mich mit Absätzen immer so selbstbewusst und sexy.
Wobei sexy nicht unbedingt bei einem Jobinterview gefragt ist, doch Selbstbewusstsein ist gut, also vergessen wir das Sexy mal.
Doch im zweiten Stockwerk angekommen, wünschte ich, ich hätte irgendwelche Sneaker angezogen.

Endlich ganz oben, blendet mich die Sonne, denn hier ist eine Glaskuppe über dem breiten Flur und erhellt alles noch mehr.
Während ich dem Flur rechts folge, kann ich nicht aufhören zu staunen. Während meines Praxissemesters war ich nie hier oben.
Am Ende steht eine längliche Bank mit einem Blumentopf dahinter und ich nehme Platz, betrachte die Mitarbeiter und ihre Outfits, die mir entgegenkommen. Manche nicken mir zu, Andere scheinen so im Stress zu sein, dass sie nichts in ihrem Umfeld bemerken.
Irgendwann wird mir langweilig, sodass ich mich dem Blumentopf zuwende und die gelben und pinken Blumen untersuche.

Ich versuche mir vorzustellen wie es wäre hier zu arbeiten und jeden Tag entlangzugehen.
Das wäre wundervoll. Es gefällt mir jetzt schon.
Doch ich sollte mir keine großen Hoffnungen machen, denn Träume sind nicht ohnehin nur Träume und Hoffnungen sind letztlich da, um zu enttäuschen.
Yaz meint ich sei zu pessimistisch, aber das denke ich nicht.
Wenn man von dem Schlimmsten ausgeht, kann man nicht mehr enttäuscht, sondern nur noch in der Vermutung bestätigt werden oder womöglich sogar positiv überrascht, wenn es doch anders kommt. Aber niemals enttäuscht.

Es dauert ganze fünfzehn Minuten, bis mich jemand bei meiner Blumenanalyse unterbricht und anspricht.

„Frau Acar?"




Schon ein zweites Wiedersehen in so kurzer Zeit?
Mein Kopf ist manchmal echt doof. Fast einen Monat lang war ich wie besessen von Mira und Demir und jetzt habe ich wieder Lust auf „the Chance". Das ist schlimmer, als, wenn ich jeden Tag entscheiden muss, was ich essen soll.
Aber ich will keine zwei Bücher gleichzeitig schreiben. So ein Käse.

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