102|versteckte Pausen und stressige Shootings

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M I R A

„Feierst du Weihnachten?", frage ich und zeige mit der Pommes auf ihn, bevor ich sie in meinen Mund werfe. Demir schaut von seinem Handy auf, das er auf den kleinen Tisch gelegt hat, um die E-Mails darauf zu lesen. Ich will gar nicht erst meinen Mailordner öffnen. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht stundenlang nur damit beschäftigt bin, seine Mails abzuchecken.

Zur Pause sind wir aus dem Atelier geflüchtet und haben dieses kleine Imbiss, versteckt hinter dem Reichen-Viertel der Altstadt, gefunden. Hier sollte uns niemand finden können, sodass es kein Problem werden sollte, wenn wir miteinander lachen und uns gegenseitig Soßen vom Mundwinkel wischen.

Wir sitzen in der hintersten Ecke auf den Hockern und sind versteckt durch die wenigen anderen Kunden. Bisher erkennt uns niemand, auch, wenn uns immer wieder Blicke zugeworfen werden, was vermutlich aber daran liegt, dass Demir in einem für ihn angepassten Anzug in einem Imbiss sitzt. Auch ich passe nicht sonderlich zu den fettigen Tischen und dem Geruch von Gewürzen und Öl mit meinem Designer-Pullover und dem ledernen Midi-Rock, aber im Gegensatz zu ihm, ist meine Seele nicht reich, ganz gleich wie sehr ich es nach außen hin zeigen versuche.
Mein Mantel und die Tasche liegen verteilt auf den anderen Hockern und ich esse von allem etwas, während er probiert so wenig wie möglich anzufassen und nach der Reihe isst, dass er schon mit seinem Burger fertig ist, während meiner halb aufgegessen vor mir liegt.

Trotz dessen, dass wir wie zwei gelbe Punkte auf schwarzem Papier auffallen, bezweifle ich, dass wir hier entdeckt werden und ausgerechnet jetzt jemand in genau diesen Laden spaziert, der uns an die Presse verpfeift.

„Meine Mom war Christin, also wurden alle dazu gezwungen.", antwortet er und tunkt eine Pommes in Mayonnaise,„Sie hat jedes Jahr zu Weihnachten eine riesen Show gemacht, die ganze Familie eingeladen und Haufenweise Geld aus dem Fenster geschmissen."
„Wenn sich jemand leisten kann Geld aus dem Fenster zu werfen, dann ihr."
„Deswegen hat sie auch niemand davon abgehalten es zu tun." Seine Mundwinkel zucken.

Ich war mir fast sicher, dass er nicht gerne über seine Mutter sprechen wollen würde, aus dem einfachen Grund, dass er es nicht ertragen könnte, aber stattdessen kommen ihm die Worte leicht über die Lippen. Mir fällt auf, dass er noch nie lange gezögert hat von ihr zu sprechen. Sicher, es hat ihn traurig gemacht, jedes Mal sogar, aber er hat sich nicht davor verschlossen. Ganz so, als müsste er über sie sprechen, um sie nicht zu vergessen.

Ich greife über den Tisch und lege meine Hand über seine. Mit einem kleinen Lächeln drücke ich sanft und seine Gesichtszüge erweichen etwas.
Ich hätte seine Mutter unfassbar gerne kennengelernt.

„Feierst du Weihnachten?", fragt er zurück. Ich schüttle den Kopf.
„Im Heim hat uns immer ein dicker Mann mit weißem Bart besucht und wir haben immer ein kleines Geschenk bekommen, aber seit ich mit Yaz wohne ist kein fremder Mann mehr in meinem Zimmer aufgetaucht.", erkläre ich und beiße von meinem Burger ab, in dem Versuch nicht schon wieder meine gesamte Soße auf die Serviette gekleckert zu bekommen.
„Gott sei Dank.", entgegnet er und ich zucke mit den Schultern. Es wäre jedenfalls ein Erlebnis, wenn der Weihnachtsmann aus dem Nichts in meinem Schlafzimmer stehen würde.

„Wenn ihr möchtet, könntet ihr zwei zu uns kommen. Wir werden auch kein traditionelles Weihnachtsfest mit allen haben, gegeben den Umständen, dass meine gesamte Familie mittlerweile um den Globus verteilt wohnt.", bietet er an und sagt es so locker, doch ich verschlucke mich fast an meinem Burger.
Mein Ersticken und Zögern ist ihm Antwort genug, dass er die Augen verdreht.

„Wir können doch wohl Weihnachten zusammen verbringen, ohne, dass alle sofort annehmen, dass etwas zwischen uns ist."
„Verbringst du die Feiertage öfters mit deinen weiblichen Angestellten? Denn wenn ja, dann hast du recht. Niemand wird etwas hinterfragen.", kontere ich. Er grinst mich keck an.
„Für jeden Feiertag suche ich mir eine andere Abteilung aus. Für Ostern habe ich die Buchhaltung schon im Auge." Ich strecke ihm den Mittelfinger hin und rau lachend nimmt er seine Sprite zur Hand.

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