75|Der Beginn eines langen Abends

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M I R A

Die Fahrt nach Hause war die anstrengendste Busfahrt in meinem Leben. Jeder hat mich mit einem Seitenblick kritisch beäugt und eine ältere Dame hat sogar begonnen mich auszulachen, als ich gegenüber von ihr Platz nahm, doch das ist nichts im Gegensatz zu dem Kopfschütteln, den der Busfahrer loswerden musste, als ich eingestiegen bin. Ist es etwa so verkehrt morgens in einem Abendkleid Bus zu fahren?

Ich bin froh aus dem Bus zu sein, doch auch die Fußgänger auf den Straßen drehen sich alle nach mir um. Sie sollten sich stattdessen lieber um ihr eigenes Leben kümmern! Es könnte zig Gründe haben, wieso ich um diese Uhrzeit in einer Abendgarderobe durch die Straßen gehe und kein einziges davon rechtfertigt all diese Naseweis, die mich schamlos anschauen.
Mein Weg führt geradewegs nach oben in die Wohnung, statt nochmal bei Aras im Café vorbeizuschauen, weil ich mich jetzt nicht auch noch mit den Blicken seiner Kunden befassen möchte. Je schneller ich aus den Augen der Öffentlichkeit bin, desto besser.

Sobald ich die Haustür aufschließe, werfe ich meinen Schlüsselbund in die Schüssel an der Garderobe und schleppe mich durch den Flur und in mein Zimmer, wo ich mich bäuchlings auf das Bett werfe und tief durchatme.
Endlich.
Jetzt brauche ich nur noch diese Kopfschmerzen loswerden und mir wird es ein klein wenig besser gehen.

„Mira?" Yaz' Schritte knarzen auf dem Holzboden, als sie in mein Zimmer kommt und beginnt mein Bein zu rütteln. Ich brumme in das Kissen hinein.
„Hey, du darfst jetzt nicht sterben, bevor du mir nicht erklärst was das gestern eigentlich sollte!", fragt sie und zieht an meinem Kleid.

Wovon redet sie denn? Ich habe keinerlei Erinnerungen an gestern und was noch im Saal passiert sein könnte!
Sie kann aber doch nicht den Kuss meinen, oder? Oh man, woher weiß sie das? Wurden wir erwischt?
Haben wir denn etwas getan, um erwischt zu werden?! Das ist so verwirrend!

Ich drehe mich schnell um, um auf dem Rücken zu liegen und sie ansehen zu können.
„Wovon redest du?" Ich starre sie an und Yaz schmunzelt mit verschränkten Armen.

„Denkst du ich weiß nicht wo du die Nacht verbracht hast? Du hast an Demir geklebt wie Sekundenkleber, Mirachen. Du bist mit ihm nach Hause gefahren, weil wir dich nicht von ihm losbekommen haben."
Oh. Mein. Gott.
Das wird alles immer schlimmer.
Ich hasse Alkohol! Wieso habe ich das nur getan?

„Was?", kreische ich und setze mich auf, um Yaz am Arm zu schlagen,„Wieso hast du das zugelassen?"
„Probier du doch mal gegen dein betrunkenes Selbst zu kämpfen! Du hast mir beinahe die Augen ausgekratzt, weil ich dich von ihm lösen wollte!"
Ich habe Herr Sezin nicht losgelassen. Was ist nur in mich gefahren?

Meine Wangen glühen und ich schlage mir die Hände vors Gesicht, während ich mich wieder nach hinten fallen lasse.
„Was ist gestern noch passiert?", fragt Yaz neugierig und zieht wieder an meinem Kleid.
„Ich weiß es nicht!", nuschle ich in meine Hände und spiele ein Schluchzen vor,„Ich kann mich nicht mehr erinnern!"
Yaz lacht leise.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht so viel trinken sollst. Das hast du jetzt davon." Vielen Dank auch. Genau das habe ich noch gebraucht. Ein „Ich hab's dir doch gesagt" löscht all diese Peinlichkeiten von gestern natürlich aus und gibt mir genug Rückgrat um nächste Woche zur Arbeit zu erscheinen.
Du bist so eine Idiotin, Mira!

Nach einer ausgiebigen Dusche geht es mir bereits etwas besser und Yaz hat mir sogar den berühmten Katereintopf ihrer Mutter gemacht, von dem ich gleich zwei Schüsseln auf einmal hinunterbringe. Vor dem Fernseher kriege ich sogar eine Massage von ihr und spüre erst wie angespannt meine Schultern sind, als ich mich auf ihren Schoß lege.
Yaz mag mich zwar die ganze Zeit mit Klette-Witzen ärgern, weil ich so an Herr Sezin gehangen habe, dass sie keine andere Lösung gesehen haben, als mich mit ihm gehen zu lassen, doch immerhin kümmert sie sich gut um mich.

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