51|Blockaden, Tee und Beschwerden

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M I R A

Ich habe eine Malblockade.
Ich wusste doch, dass ich hätte aufhören sollen, als es am schönsten war, denn jetzt ist nichts mehr ansatzweise schön. Ich hätte glücklich sterben können, aber nun sitze ich an meinem Schreibtisch und bin kurz davor eine Krise zu bekommen.

Das Papier, auf das ich noch vor einer Sekunde gemalt habe, zerknülle ich und schmeiße es über meinen Schreibtisch, dass es an der Wand abprallt und auf mich fällt. Jetzt schlägt mich meine eigene Zeichnung bereits! Ich flippe gleich aus!
Fluchend werfe ich es auf den Schreibtisch.

Heute habe ich auf der Arbeit auch kaum etwas geschafft. Nichts hat gepasst, nichts hat mir wirklich gefallen.
Der Tisch im Teamraum ist zu glatt und nicht so leicht gewölbt, wie mein alter Holztisch, es fällt zu viel Licht auf meinen Platz, dass ich die meiste Zeit über meinen Computerbildschirm gar nicht erkenne und mit vier Leuten mehr, die alle Ideen haben und laut äußern, ist es deutlich lauter in einem Raum. Ich vermisse meine Privatsphäre und Ruhe aus meinem alten Büro jetzt schon und es sind erst zwei Tage gewesen.

Und außerdem sehe ich Herr Sezin nicht mehr durch ein kleines Fenster und kann ihn für Dinge, die er tut, nicht länger bewerten und abschätzen, was -wie ich jetzt merke- eine routinierte Beschäftigung von mir gewesen war.

Wenn er Kaffee oder Tee getrunken hat, hat er die Tasse immer ganz festgehalten, statt den Halter zu umfassen und es ergibt für mich keinen Sinn, wieso er so etwas tun sollte, wenn es doch extra Halter dafür gibt, damit man nicht eine heiße Tasse umfassen muss. Alle zwei Stunden hat er auch die Balkontür geöffnet und frische Luft in sein Büro kommen lassen. Er dreht sich gerne auf seinem Stuhl herum, wenn er telefoniert und sitzt die meiste Zeit über wie ein Psychopath ganz gerade und oft sogar ohne sich einmal anzulehnen.

Aber jetzt sehe ich das alles gar nicht mehr.
Wie soll ich Spaß an der Arbeit haben, wenn ich nichts mehr an ihm zu kritisieren sehe?

Was zum Teufel ist überhaupt süß und rebellisch? Was tragen Kinder? Ich habe früher immer jeden Blödsinn getragen, den ich finden konnte, aber das hier soll schließlich kein Blödsinn werden.
Ich raufe mir durch die Haare, die ich zu einem Dutt hochgebunden habe und einige Strähnen fallen mir vor die Augen.

Ich habe nicht einen einzigen Entwurf geschafft. Nicht einmal eine Skizze, weil jede, die ich mache, mir nur fünf Sekunden später, nicht länger gefällt oder es gar nicht erst in das Konzept passt.

So funktioniert das nicht. Wenn ich es schlecht rede, dann wird es nicht besser.

Augenschließend lehne ich mich zurück und atme tief durch.
„Herbst, Cord, warm, Fell, khakigrün, dicke Baumwolle, Utility-Look, beige-"
„Bist du von den Modedämonen besessen?", spricht Yaz plötzlich mitten in meine Aufzählung, die mich motivieren soll, dass ich zur Tür schaue und sie mit einer Teetasse in der Hand am Türrahmen angelehnt sehe.

„Ich wünschte. Mir fällt nichts ein." Ihre Brauen wandern hoch.
„Dir? Dir fällt immer etwas ein, Mirachen. Schalt nur dein hübschen Köpfchen ein. Dahinter ist ein Gehirn, das du benutzen kannst, weißt du.", zieht sie mich auf, dass ich ihr die Zunge ausstrecke.
„Mein hübsches Köpfchen ist heute leer."
Sie kommt zu mir und schaut über die verknüllten Zettel und durchgekritzelten Zeichnungen, die mir nicht gefallen.
„Was ist das Thema? Vielleicht kann ich ja helfen.", bietet sie an und trinkt einen Schluck Tee.

„Ein Mix aus dem Utility-Look und komfortabler Kleidung, geeignet fürs Spielen mit einem Hauch Y2K-Style. Es soll feste und warme Kleidung sein, nicht leicht reißen können und in natürlichen Farben gehalten werden.", rattere ich runter und drehe den Kopf nach oben rechts, um sie anzusehen. Yaz blinzelt.
„Mir fällt nichts ein." Verdammt!

Ich nehme ihr die Tasse aus der Hand und trinke gleich mehrere Schlücke hintereinander und viel zu schnell, dass ich erst nach dem dritten Schluck merke, dass meine Zunge verbrennt. Scheiße, ist das heiß!

„Yaz, was soll die Scheiße! Wieso warnst du mich nicht?", rufe ich aus und knalle die Tasse auf den Tisch, während ich meine Zunge rausstrecke und mir Luft zuwedle. Indem ich die Hand hochreiße, stoße ich auch die Tasse um und dessen restlicher Inhalt kippt über meinen ganzen Schreibtisch.
„Mira!", ruft Yaz aus und schnappt sich sofort meinen Laptop, auf dem ich zur Inspiration verschiedene Kollektionen geöffnet habe, vom Tisch, damit es nicht nass wird, während ich vom Stuhl springe, um nicht auch noch meinen Schoß zu verbrennen.

Das kann doch nicht wahr sein!
Ist diese Malblockade denn nicht Strafe genug für mich? Womit habe ich diesen Kamillentee-Unfall jetzt verdient?

Ich gebe auf. Hiermit ist es offiziell.
Das Designen von Mode soll wohl für immer nur ein schöner Traum von mir bleiben.
Mit hundert Flüchen, die mir in den Sinn kommen, gehe ich zu meinem Nachttisch und nehme mein Handy in die Hände. 

„Was tust du?", fragt Yaz und legt meinen Laptop auf dem Bett ab, um das ganze nasse Papier in den Mülleimer unter meinen Schreibtisch zu schieben.
„Ich schreibe eine Beschwerde.", antworte ich und tippe rasend schnell auf die Buchstaben auf meinem Bildschirm.
Seine Antwort kommt fast sofort.

Mira: Hallo. Sie wollten fünf Entwürfe von mir, richtig?
Blödmann Boss: Ja.
Mira: Das können Sie vergessen. Ich kriege nicht einmal einen Entwurf hin.
Blödmann Boss: Dann gehen Sie spazieren und lassen sich inspirieren oder so.
Blödmann Boss: Oder ist die Aufgabe eines Modedesigners bereits zu schwer für Sie und Sie haben das Ganze nur romantisiert?

Dieser Mistkerl.
Er ist nicht einmal vor mir und dennoch macht mich dieses spöttische Grinsen, das er jetzt sicher trägt, wütend.
Einen Moment lang starre ich die Nachricht an, bevor ich mich zu Yaz umdrehe, die noch immer meinen Schreibtisch aufräumt.

„Sei froh, dass du die Sezins nicht täglich siehst.", sage ich, dass sie schnaubend auflacht.
„Oh, glaub mir, das bin ich."
Mein Handy vibriert in meiner Handy, dass ich wieder darauf sehe.

Blödmann Boss: Kommen Sie hierher.
Mira: ...Wohin??
Blödmann Boss: Zu mir. Sie müssen bis Freitag fertig sein.
Mira: Okay. Sind Sie im Unternehmen?
Blödmann Boss: Nein. Ich bin zuhause.
Mira: Was soll ich denn bei Ihnen zuhause machen???? Wenn Sie dort keinen Trank zur Inspiration brauen, dann brauche ich gar nicht den weiten Weg auf mich nehmen.
Blödmann Boss: Ich würde Ihnen helfen, aber gut. Wenn Sie nicht wollen, dann versagen Sie doch und werden unter einer Woche Arbeitszeit schon gekündigt. :)

Das würde er nicht machen. So herzlos kann nicht einmal er sein und mich auf die offene Straße setzen, wie einen hilflosen Welpen.
Kurz stelle ich es mir vor und es ist eine erschreckend realistische Vorstellung.
Was denke ich denn da?
Natürlich würde er das tun.
Er hat ein Multi-Millionen Euro schweres Unternehmen, das weltweit bekannt ist und verkauft. Er würde ohne mit der Wimper zu zucken jeden kündigen, der keine Hilfe für dessen Vergrößerung ist.
Und gerade bin ich alles andere als eine Hilfe. Muss ich jetzt etwa zu ihm nach Hause und Nachhilfeunterricht in Mode bekommen?




Miras erster Auftrag und schon ist es zu viel.
Jetzt geht's erstmal ab zu Demir
Wie wird er sie wohl motivieren wollen?
Ich dachte eigentlich, dass das und das nächste Kapitel zusammen sein würden, aber ich bin jetzt müde und fand den Cut jetzt ganz passend.
Kann ich auch mal erwähnen: Wir sind beim 51 Kapitel?? Das ist mir beim letzten ja gar nicht aufgefallen.
Wenn das so weitergeht, werden wir hier sicher auf 100 Kapitel kommen und das war eigentlich nicht so gedacht von mir. 🧍🏻‍♀️

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