94|„Weil ich Sie mag."

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M I R A

Mit einem Lächeln auf den Lippen, rolle ich die kleine Kugel durch den Schnee, um sie immer größer zu bekommen. Es ist der gefundene Job für mich Schneeengel zu machen und Schneemänner zu bauen.
Wer braucht auch schon extremen Wintersport? Dabei kann man sich die Hüfte brechen.

„Frau Acar!" Mittlerweile ist es so vertraut meinen Namen aus Herr Sezins Mund zu hören, dass ich allmählich das Gefühl habe, nur er nennt mich so. Ich schaue mich nach ihm um und finde ihn vorerst nicht, aber dann sehe ich die riesige Truppe, die meine Arbeitskollegen bilden und Herr Sezin davor, der mich zu sich winkt.

Ich schaue meinen kopflosen Schneemann an und dann die Ausrüstung, in die alle anderen eingepackt sind. Ich kann doch wirklich nicht die einzige sein, die das nicht kann.
Mit gezwungenem Lächeln schüttle ich überdeutlich den Kopf.
„Fangt ohne mich an!", rufe ich ihnen zu und winke dankend ab. Nach gestern brauche ich keine Aktionen mehr in meinem Leben.

Wie sich herausgestellt hat, ist das Wisent gestern Nacht aus einem Wisent-Park in der Nähe ausgebrochen, aber niemand hat uns als Entschädigung etwas angeboten. Nur Leo hat mir eine heiße Wanne eingelassen, damit meine brennenden Muskeln zur Ruhe kommen, doch es hat wohl mehr als nur ein schönes Bad gebraucht, denn meine Beine geben mir nach nur Sekunden nach und meine Arme können etwas kaum länger als für zwei Minuten halten. Pure Entspannung ist mein Ziel für heute und das werde ich im Wellnesscenter finden, nicht auf der Piste.

Herr Sezin gibt nicht nach, sondern winkt mich nochmal, dass ich wieder mit einem dankenden Lächeln den Kopf schüttle.
Wieso bin ich nur mitgekommen?
Das hier ist schließlich keine Pflichtveranstaltung und eine Handvoll Leute sind nicht mitgekommen. Aber das hier ist bezahlter Urlaub und ich gebe nicht einen Cent aus meiner Tasche, also war die Entscheidung dann auch wiederum gefallen, ohne, darüber nachgedacht zu haben.

Gerade als ich mich wieder zum Schneemann hocke und seinen Kopf durch den Schnee rollen will, spüre ich plötzlich etwas hartes am Rücken.
Japsend fange ich mich auf, bevor ich auf den Bauch meines Schneemanns falle und schaue mir über die Schulter, um Schnee an meiner Jacke zu sehen.
Hat er mich etwa abgeworfen?
Ich weiß nicht, ob ich von seiner Zielgenauigkeit beeindruckt oder beleidigt sein sollte.

Ich stehe wieder auf und wedle mit den Armen um mich.
„Was zur Hölle?"
„Herkommen. Jetzt.", ruft er, als hielte er ein Megafon in der Hand.
Einige aus der Gruppe drehen sich bereits in unsere Richtung und die Aufmerksamkeit lenkt sich langsam auf uns. Wie unangenehm.

Widerwillig trotte ich los und stelle mich zu ihnen, während Herr Sezin eine Einleitung über den Tagesablauf gibt und erklärt wann wir abfahren werden, um zurück in unseren Alltag in Köln zu finden. Heute ist unsere letzte Nacht und gleich morgen früh fahren wir.
Doch für jetzt wollen sie weiterhin den Berg erkunden und scheinen eine Art Wettbewerb aus dem Erlebnis zu machen. Worum es bei dem Wettbewerb geht, weiß ich nicht, weil ich irgendwann abgeschaltet habe, denn ich werde ohnehin nicht teilnehmen, wozu dann also die Regeln kennen.

„Noch Fragen?" Als niemand antwortet, begeben sich alle mit Herr Sezins Einverständnis in Richtung des Bergs, das ich die entgegengesetzte Richtung -also zurück zu meinem unfertigen Schneemann- einschlagen will, doch ich habe mich zu früh gefreut.

„Frau Acar." So langsam kann ich meinen eigenen Nachnamen nicht mehr hören. Augenrollend drehe ich mich wieder zu ihm um.
„Was denn?", frage ich, kurz davor bissig zu werden.
„Falsche Richtung. Der Berg ist da.", meint er und deutet auf den hundert Meter hohen Berg, der fast die Hälfte des Geländes ausmacht.
„Schon klar, ich sehe das alles auch. Aber ich gehe nicht dorthin.", stelle ich klar und verschränke die Arme vor der Brust.

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