117|Annäherung im Abschied

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D E M I R

Es ist lange her, seit ich etwas mit Mert allein unternommen habe. Wir beide sind ständig beschäftigt mit unseren Berufen und dem Leben im Gesamten, um uns wie früher während der Universitätszeiten zum Trinken zu treffen. In letzter Zeit vermisse ich die Momente als verantwortungsloser Student, der zur Hälfte der Zeit nur an Partys und unbekannte Orte, die er zu entdecken hatte, dachte.

Am Dienstag nach der Arbeit finde ich mich aber in einer Bar wieder und Mert kündigt sich mit einem Klopfen auf meine Schulter an, bevor er sich auf den Barhocker neben mich setzt. Es hat mich nur vier Textnachrichten und eine passiv aggressive Sprachnachricht gekostet, um ihn hierher zu bekommen.

Wir waren erst am Wochenende in Budapest und dennoch habe ich das Gefühl meinen besten Freund seit Ewigkeiten nicht gesehen zu haben.
Ohne ein Wort zu sagen, greift er nach meinem halben Glas Whiskey und kippt es sich in den Hals, ohne mich zu fragen, ob ich mein Getränk noch trinken wollte. Mit dem Knie stoße ich seines an, doch er grinst nur.

„Um siebzehn Uhr trinken? Es muss ernst sein.", sagt er, nachdem er das Glas abstellt und dem Barkeeper winkt, dass er uns noch zwei einschenken soll.
„Dieses Jahr beginnt schon scheiße.", meine ich schulterzuckend und lehne mich über die Bar. Selbstbemitleidend klingen? Check.

„Nicht, dass es am Alter liegt." Ich schaue ihn an, doch Mert sieht ehrlich besorgt aus mit der tiefen Furche auf der Stirn. Sein dunkelgrauer Anzug unterzeichnet die Ernsthaftigkeit in seinen Augen nur.
„Du bist älter als ich, Arschloch."
„Nur vier Monate.", merkt er an.

Der Barkeeper schiebt uns zwei Gläser mit bernsteinfarbener Flüssigkeit herüber und ich umgreife sofort eines davon, bevor Mert auf die Idee kommt gleich beide Gläser vor meiner Nase wegzukippen. Dafür, dass er mich für einen armseligen Filmabend alleine sitzen lassen wollte, ist er nun allzu bereit seine Leber zu vergiften.

„Stress mit Mira?"
Ich schüttle den Kopf. Es ist nicht ganz so, wie ich es will, aber auch nicht wirklich schlecht. Immerhin hat sie zugelassen, dass ich sie heute nach dem Meeting küsse. Sie hat mich bereits gefragt was mit mir los sei, was mir verrät, dass ich an meiner Maske, die ich jahrelang getragen habe, arbeiten sollte, weil sie zu bröckeln beginnt. Ich habe Mira nichts von meinem Streit mit Selin erzählt, weil sie sich schuldig fühlen könnte und das werde ich nicht zulassen.
Mein Verhalten gegenüber Selin hat bereits unsere Beziehung vergiftet und ich brauche das selbe nicht auch noch für meine mit Mira. Ich habe ihr bereits die Schuld für meine Situation mit meinem Vater gegeben und definitiv daraus gelernt.

Der Whiskey brennt in meinem Hals, als ich einen großen Schluck nehme und es wärmt meinen Magen, doch das Ziehen in meiner Brust macht es nicht besser. Seit gestern verlässt Selins mit Tränen überströmtes Gesicht meine Gedanken nicht. Ich war zu hart zu ihr und es hat mich zu lange gekostet es zu verstehen.

Meine Eltern wären enttäuscht von mir, dass ich mich wie der letzte Arsch verhalten habe. Meine Mutter hätte mich ohne Ende dafür getadelt, dass ich Selin zum weinen gebracht habe und mein Vater hätte mich dazu gezwungen mich bei ihr zu entschuldigen, selbst wenn es dir ganze Nacht gekostet hätte.
Ich wünschte sie wären hier um das zu tun. Nicht, weil ich es brauche, um mich mit meiner Schwester über den Streit zu unterhalten, sondern, weil ich es will.  Ich will die beiden wieder bei uns haben. Ganz gleich wie alt ich sein werde, ich kann mir nicht vorstellen jemals darüber hinwegzukommen, dass ich meine Eltern niemals wieder hören und sehen werde.

„Hat deine Schwester wieder etwas getan?", fragt er beiläufig und lässt sein Glas in seiner Hand kreisen. „Du wirst mich alleine lassen und ich-ich... ich habe Angst davor alleine zu sein, aber das siehst du nicht!"
Seufzend reibe ich mir die Stirn. Scheiße.
„Vielmehr ich."

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