- Kapitel 24 -

350 26 14
                                    

Lukes Sicht

Im Unterricht hörte ich dem Lehrer nur halb zu. Meine Konzentration litt unter der Müdigkeit, die sich eingeschlichen hatte, nachdem ich mich beruhigt hatte. Außerdem kam mir immer wieder Marius in den Sinn.
War er mir böse, dass ich ihn plötzlich alleine gelassen hatte in der Situation?

Mir war danach, mich bei ihm zu entschuldigen.
Leider konnte ich das nicht.

Das Problem war, dass er ins Krankenhaus gebracht wurde. Aufgrund meiner Angst konnte ich nicht mal eben dort hin. Außerdem hatte ich keine Ahnung, in welches Krankenhaus er gebracht worden ist.

Die Zeit ging schleichend voran.

Ewigkeiten später klingelte es und es war endlich Schulschluss. Wir konnten zum Bus und nach Hause.

Im Bus stupste Nick mich an. »Ist bei dir alles okay? Du bist noch stiller als sonst seit der Sache in der Pause«, fragte er und machte sich offensichtlich Sorgen. »Alles gut. Ich denke noch etwas über den Jungen nach, dem ich geholfen habe«, erklärte ich mein Verhalten ohne meine Angst zu erwähnen, die dabei eine gewisse Rolle spielte. Er nahm es so hin, ohne weiter nachzufragen.

Zuhause war noch nicht viel los. Wir waren wieder mal als erstes Zuhause und mussten uns selbst ums Essen kümmern. Warmes Essen gab es an diesen Tagen, wo niemand Vormittags Zuhause ist, am Abend.

Akira und ich aßen Toast mit Aufschnitt und drehten die Mahlzeiten quasi um. Das typische Abendessen gab es zu Mittag und das, was eigentlich das Mittagessen war, gab es später zu Abend.

Akira war so nett und half mir dabei, die Margarine aufs Toast zu schmieren.

Ich freute mich schon auf den Zeitpunkt, an dem ich die Kunstoffgipschiene endlich ablegen durfte. Leider war die OP gerade einmal etwas über eine Woche her. Ein Drittel von der Zeit, die diese Schiene dranbleiben sollte.

Mit meinen fertig belegten Toasts setzte ich mich an den Tisch auf meinen Platz und begann zu essen.

»Du wirkst etwas geknickt«, sprach Akira mich an. Ich schaute zu ihr. »Ich bin frustriert«, grummelte ich und nahm einen weiteren Bissen von dem Salamitoast.
»Wieso?«, hakte sie nach.
»Grund Nummer eins: Ich muss noch mindestens zwei Wochen diese Schiene tragen und ich fühle mich bereits jetzt wie eine Dauerbelastung.
Grund zwei: aus irgendeinem Grund werde ich die letzten Wochen ständig mit meiner Angst konfrontiert, was extrem kräftezehrend ist.
Und Grund drei: Der Junge, der vom Rettungsdienst vorhin versorgt wurde, wollte, dass ich bei ihm bleibe und ihn nicht alleine mit den Rettungskräften lasse, allerdings hat meine Angst das verhindert und ich hab ihn alleine gelassen. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen«, zählte ich einmal alles auf, was mir in diesem Moment auf die Laune schlug.

»Hm. Ich finde nicht, dass du eine Belastung bist aufgrund deiner Verletzung. Wenn du Hilfe brauchst, brauchst du Hilfe und das mache ich gerne.
Das mit der häufigen Konfrontation stimmt, aber denk an deinen Fortschritt, den du gegenüber Jules bereits gemacht hast.
Zu der Sache mit dem jungen kann ich leider nichts sagen, außer, dass du mit Sicherheit dein Bestes gegeben hast die Angst in Schach zu halten«, war es ihr Versuch mit ein wenig die Sorgen zu nehmen, die ich hatte.

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte und aß grübelnd weiter.

»Immer und immer wieder ist es die Angst, die mir aktuell das Leben schwer macht. Wie oft hab ich darüber in letzter Zeit nachgedacht? Auch darüber, wie ich es anstellen soll, dass es sich bessert. Zu oft. Leider ist da noch das Problem mit der fehlenden Erinnerung an einen Teil des Tages der Operation. Irgendwas muss ich tun. Aber was? Wie kann ich meinen Kopf dazu bringen, sich an den fehlenden Teil zu erinnern? Ist dieser Teil überhaupt irgendwo da sein vorhanden oder ist die Mühe umsonst?«

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt