- Kapitel 114 -

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Lukes Sicht

Die Stille im Büro hielt noch einige Minuten an.
Mein Blick hatte in der Zwischenzeit meine Hände ins Visier genommen.
Das Verlangen an den Fingernägeln zu kribbeln war groß. Jedoch hatte ich die, die letzten Tage bereits ordentlich leiden lassen, weshalb ich versuchte eine andere Strategie zum Regulieren meiner inneren Unruhe zu nutzen. Mit Beinwippen zum Beispiel.
Damien wusste eh schon, dass bei mir was nicht stimmte. Deshalb brauchte ich mir nicht mehr die Mühe machen mir nichts anmerken zu lassen.

Innerlich wägte ich immer noch ab, ob ich mit ihm über das reden wollte, was mir durch den Kopf ging.
Die wieder aufkeimenden Schuldgefühle, als ich Chris über den Weg gelaufen bin.

»Glaubst du …«, ich brach wieder ab.
Damien wartete geduldig. Ließ mir die Zeit, die ich brauchte.
»Glaubst du, dass Chris mir die Schuld gibt?«, schaffte ich es im zweiten Versuch die Frage auszusprechen, die mir im Kopf herumschwirrte.
»Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund dir die Schuld zu geben. Du hast ihn ja nicht böswillig angesteckt. Ob Chris das genauso sieht, weiß ich nicht. Dem geht sicher im Moment viel durch den Kopf. Was verständlich ist. Schließlich hat er seinen Sohn verloren«, gab Damien mir seine Einschätzung von der Situation.
»Hm«, kam darauf nur von mir und ich schaute wieder den Boden an.
»Gib ihm Zeit. Er muss das ganze verarbeiten. Und in der Zeit denkt man gerne Mal irrational«
Leicht nickte ich.

»Hast dir schon Gedanken darüber gemacht, ob du zu Marius Beerdigung gehen möchtest?«, wechselte er das Thema.
Darauf zuckte ich nur mit den Schultern.
»Ich hab immer noch das Gefühl dort nicht erwünscht zu sein. Und Chris Reaktion vorhin hat das nochmal Verschärft.«
»Du hast die Erlaubnis dort hinzugehen. Aylin sieht es wie ich. Es könnte dir helfen den Verlust deines besten Freundes besser zu verarbeiten. Du bist vierzehn Luke. Das ist das erste Mal, dass du mit diesem Thema konfrontiert bist. Und das in einem jungen Alter«, erinnerte Damien mich.
»Aber Chris …«, begann ich, wurde aber von Damien unterbrochen.
»Wie gesagt, Chris braucht selbst Zeit, das ganze zu verarbeiten.«

Wieder schaute ich den Boden an. Sagte nichts. Dachte einfach über seine Worte nach. Man konnte die Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln hören.

»Ich gehe uns mal kurz was zu trinken holen. Denk du in der Zeit über meine Worte nach. Okay?« Er erhob sich aus dem Stuhl.
Bestätigend nickte ich und er verließ das Büro.

Ich nutzte die Zeit, die er weg war, stand auf, ging ans Fenster und schaute raus. Von dort hatte ich Sicht auf das Gebäude gegenüber. Die Psychiatrie. Wenn ich nach links rüber sah, konnte ich einen Teil des Hauptgebäudes sehen.

»Vielleicht sollte ich hingehen. Das ist sicher auch das, was Marius wollen würde«

Mein Blick wanderte vom Hauptgebäude hoch in den wolkenverhangenen Himmel.

»Ich hoffe, du hast es da oben gut.«

Noch eine Weile schaute ich einfach in den Himmel und lauschte dem Regen, wie er gegen die Scheibe prasselte.
Dadurch, dass ich so vertieft war in meinen Gedanken, hatte ich nicht mitbekommen, wie Damien zurückgekommen war.
Erst als ich im Augenwinkel wahrnahm, wie sich jemand neben mich gestellt hatte und ich rüberschaute, bemerkte ich ihn.

»Ich glaube, ich werde hingehen. Denn das ist sicher das, was Marius möchte«, teilte ich ihm meine Entscheidung mit.
»Das glaube ich auch. Ich schreibe dir den Termin, wenn ich ihn weiß«
»Danke«
»Nichts zu danken«
Während ich wieder nach draußen sah, hielt Damien mir ein Glas Wasser vor die Nase.
Dieses nahm ich dankend an und trank direkt Mal einen Schluck.

»Gibt es noch was, was du gerne besprechen möchtest?«, kam die Frage von dem Weißkittel neben mir.
»Im Moment nicht«, verneinte ich nach einem Moment nachdenken.
»Okay. Dann schlage ich vor, dass wir uns am Samstag wieder sehen.«
Zustimmend nickte ich.
»Trink dein Glas noch leer. Danach bist du entlassen.« Er deutete auf das noch halb volle Glas in meiner Hand.
Schnell trank ich es leer und stellte es zu der Wasserflasche auf den Schreibtisch.

»Komm. Ich begleite dich noch eben raus«, meinte Damien und verließ als erster das Büro. Ich folgte ihm und wir verließen die Wache.

Vor der Tür zog ich meine Hoodiekapuze und die meiner Jacke über meinen Kopf.
»Komm gut nach Hause. Pass auf dich auf und bis Samstag«, waren seine Worte zur Verabschiedung.
»Bis Samstag«, erwiderte ich das und machte mich auf den Weg zum Bus.

Zum Glück befindet sich an der Haltestelle ein Bushäuschen, was mich von dem vom Himmel kommenden nass schützen konnte.
Mit dem Bus ging es nach Hause.
Im Haus angekommen rief ich ein »Bin wieder da!«, Richtung Wohnzimmer, damit Dad bescheid wusste, dass ich heile Zuhause angekommen war.
Danach ging ich auf mein Zimmer und setzte mich meinen Schreibtisch. Dort begrüßte mich mein aufgeschlagener Collageblock mit den halbherzig aufgeschrieben Hausaufgaben, dessen Rest ich noch erledigen musste.

Lust meinem Kopf das nach dem Termin noch anzutun hatte ich nicht, aber auf Stress mit den Lehrern konnte ich verzichten.
Deshalb setzte ich mich unmotiviert und müde an die übrigen Aufgaben.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt