- Kapitel 106 -

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Lukes Sicht

Während ich wartete, vertiefte ich mich wieder einmal in die Welt meiner Gedanken.

Erst durch eine Hand, die vor meinem Gesicht herumwedelte, kam ich aus meinen Gedanken wieder ins hier und jetzt.

»Wo warst du denn mit deinen Gedanken?«, wurde ich von der Person zu meiner rechten gefragt. Bei dieser handelte es sich um niemanden anderen als Damien.
»Nicht so wichtig«, winkte ich ab.
»Wie geht’s dir denn?«, fragte er als Nächstes.
»Besser. Bin noch nicht wieder ganz fit. Der Husten ist noch nicht weg, aber immerhin kein Fieber mehr und meine Nase ist auch nicht mehr arg verstopft«, beantwortete ich ihm die Frage.
»Gut siehst du trotzdem nicht aus.« Er spielte wohl auf meine Augenringe an, die auf zu wenig Schlaf schließen ließen. Dabei hatte ich einige Stunden geschlafen. Nur war es kein ruhiger erholsamer Schlaf, durch die ganzen blöden Träume.
»Wieder schlecht geschlafen?«
Zustimmend nickte ich. »Schlecht geträumt …«
»Magst du drüber reden? Das Problem mit dem schlechten Träumen scheinst du ja öfter zu haben«, machte er mir das Angebot.

Noch immer hatte ich mich nicht entscheiden können, ob ich ihm von Marius Tod erzählen sollte.
Vielleicht wusste er es auch schon, schließlich arbeitet er auf der Wache.

Ich bemerkte, wie sich schon wieder Tränen in meinen Augen bildeten.
Damit Damien nicht direkt sehen konnte, dass ich kurz davor war zu weinen, schaute ich auf den Boden.

»Magst du nicht drüber reden oder kannst du nicht?«

Unter welche der beiden Kategorien fällt die Unsicherheit darüber, ob man es ansprechen soll?
Da ich mir diese Frage nicht beantworten konnte, zuckte ich nur mit den Schultern.

»Mach’s doch einfach, was ist das Problem?
Wieso mache ich mir so viele Gedanken darüber?
Damien ist die Person, mit der ich da am besten drüber reden kann!«

Mit einem Ärmel meiner Jacke wischte ihr mir die Tränen aus den Augen, atmete einmal durch und versuchte es auszusprechen.
Versuchte die Barriere in meinem Kopf einzureisen, die mich versuchte davon abzuhalten die Worte über die Lippen zu bringen.

»M-Marius … ist … tot«, brachte ich leise hervor. Bezweifelte, dass es laut genug war, damit Damien es verstehen konnte.
Erst kam von ihm darauf nichts und ich befürchte bereits, dass er es nicht verstanden hatte.
Statt was zu sagen, legte er mir eine Hand auf die Schulter.

Das war der Moment wo wieder einmal die Dämme brachen.
Die Trauer um den Verlust meines besten Freundes und die Schuldgefühle überrannten mich ein weiteres Mal.

»Und i-ich … h-ab sicher eine M-itschuld«, stotterte ich.

»Wieso glaubst du das?«, hakte der studierte neben mir nach.
»Er hat … sich sicher bei m-mir angesteckt … Und das hat sein K-örper nicht mehr mitgemacht. Ich hä-tte ihn wegschicken m-müssen«, sprudelte es förmlich aus mit heraus.

»Du hattest sicher nicht die Absicht, dass er sich ansteckt und das so ausgeht.«

»Egal ob Absicht oder nicht. Ich hatte es verhindern können und hab es nicht getan!«
Die Wut gesellte sich dazu.
»Du warst zu dem Zeitpunkt krank. Du hattest ganz andere Probleme als daran zu denken, was das Handeln von Marius für Konsequenzen hat«
»Ich war der Ältere und hatte damit die Verantwortung!«
»Ich weiß, was du mir sagen willst, aber schau mal. Dein Kopf versucht gerade einen Sündenbock zu finden. Und egal wie irrational der Grund auch sein mag, für den ergibt das Sinn. Ja. Es ist seltsam. Das Unterbewusstsein trifft eigene Entscheidungen. Und das kann manchmal echt anstrengend sein, weil man seinen eigenen Kopf nicht umstimmen kann.«

»Das ist doch scheiße …«, grummelte ich.
»Verständlich. Deswegen ist es wichtig, dass man drüber spricht, um die Gedanken besser einordnen zu können. Ansonsten würden dich die Schuldgefühle irgendwann auffressen«
Ich nickte darauf nur.
»Lass die Trauer zu. Das Schlimmste, was du tun kannst, ist, es wegzuschieben und zu leugnen. Ja. Verlust schmerzt, aber es wird der Zeit besser. Du musst ihn ja nicht vergessen. Das will ich damit nicht sagen. Versuch dich irgendwie von ihm zu verabschieden. Über einen Brief oder vielleicht hilft es dir zu seiner Beerdigung zu gehen«, schlug er vor.
»Beerdigung ist doch nur was für die Familie von ihm«, meinte ich.
»Auch Freunde der verstorbenen dürfen dort erscheinen.«

Ob das so eine gute Idee war?
Und wie sollte ich rausfinden, wann die Beerdigung stattfand?
Chris Fragen?
Der hatte sicher auch genug mit dem Tod von Marius zu kämpfen.
Da wollte ich ihn nicht nach dem Termin der Beerdigung fragen.

»Ich schau mal«, sagte ich nach kurzem Überlegen.
»Das ist gut«
Wieder einmal wischte ich mir mit meinem Jackenärmel die Tränen aus dem Gesicht.

Danach war für einen Moment Stille zwischen uns.
Zumindest bis Damien das nächste Thema aufgriff.
»Meinst du, du fühlst dich fit genug am Samstag wieder auf die Wache zu kommen?«, wollte er wissen.
»Weiß nicht. Ist ja nur noch der Husten, der mir auf die Nerven geht.«
»Du schaust einfach mal. Meine Nummer hast du ja. Und je nachdem, wie es dir Freitag geht kannst, du mir Bescheid geben, ob du kommst oder nicht. Okay?«, machte er mir den Vorschlag.
»Mache ich«, stimmte ich zu.
War wohl die beste Lösung für den Fall das mein Körper auf den Stress reagiert und die Krankheitswelle normal stärker werden ließ.

»Möchtest du noch über irgendwas reden?«, fragte Damien mich.
Kurz überlegte ich. Schüttelte aber verneinend den Kopf.
»Gut. Ich würde dich dann entlassen. Melde dich wegen Samstag.«
Ich nickte und stand auf.
»Pass auf dich auf!«, waren Damiens Worte zur Verabschiedung, wonach er den Klinikpark verließ.

Auch ich verließ die klinikeigene Parkanlage und ging zurück zu Jules Auto. Er schien noch bei seinen Kollegen zu sein.

»Ich sollte mich ja melden, wenn ich fertig bin«, erinnerte ich mich, holte mein Handy aus der Jackentasche und schrieb Jules, dass ich fertig war.

Nun hieß es warten.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt