Lukes Sicht
Damien war der erste, der das Gebäude betrat. Ich folgte ihm.
Unser Ziel war der wacheneigene Behandlungsraum. Der Raum, den ich für meinen Geschmack zu häufig von innen gesehen hatte die letzten Wochen.Während Damien sich den Schlüssel holte, wartete ich vor der Tür des besagten Raumes auf ihn. Er brauchte keine fünf Minuten, bis er wieder da war, die Tür aufschloss und wir reingehen konnten.
Ich lief direkt auf die Liege zu und setzte mich auf diese. Wie immer, wenn ich diesen Raum betrat.
In der Zwischenzeit sammelte Damien sich Verbandmaterial für den Verbandswechsel an meinen Händen zusammen.
Das zusammengesammelte Zeug legte er neben mich auf die Liege und er trat vor mich.»Mit welcher Hand darf ich anfangen?«, fragte er mich. Zögernd und zitternd reichte ich ihm die rechte Hand. Er nahm sie entgegen und begann den Verband abzuwickeln.
»Verbände anlegen kann er auf jeden Fall. Das hat er ordentlich gemacht«, lobte der Psychiater, Fynns Arbeit.
Sobald der Verband ab war, schaute er sich die Wunden an.
»Hast du noch Schmerzen?«, wollte er wissen.
»Ein bisschen, aber nicht mehr so schlimm wie gestern, nachdem es passiert ist«, meinte ich.
»Kannst du die Finger alle normal bewegen?«
Vorsichtig bewegte ich die Finger meiner rechten Hand. Das ging ohne Probleme.
»Spüren tust du da alles?« Er strich mir über die Fingerkuppen.
Bestätigend nickte ich.
»Okay gut. Nicht erschrecken, wird kurz kalt. Ich desinfiziere das eben«, warnte er mich vor und desinfizierte die Wunden. Brennen tat es zum Glück nicht.
Zuletzt kam ein neuer Verband um die Hand.
Dasselbe passierte mit der anderen Hand.»Und fertig. Hast du gut gemacht«, lobte er mich und räumte den Müll weg.
Darauf nickte ich nur.»Ich hab einen Vorschlag. Du kannst entscheiden, ob du das heute schaffst oder nicht. Und zwar, meinst du, wir schaffen es heute den Teil des Schemas abzuarbeiten, den du schon kennst?« Er schaute mich an. Wartete auf meine Antwort.
Stirnrunzelnd überlegte ich.
Hatte ich den Kopf dafür? Das gestern war ziemlich viel Stress. Was, wenn meine Selbstbeherrschung noch Zeit braucht, bis sie wieder dazu bereit ist eine Konfrontation mit diesem Thema einzugehen? Nicht, dass daraus die zweite Panikattacke der Woche entstand.»Falls es dir zu viel wird, brechen wir ab!«
Zögernd nickte ich.
Wenn ich die Chancen nicht nutzte, konnte es nicht besser werden.
Ja, ich hatte Angst, dass ich mich nicht beherrschen konnte, aber dadurch, dass ich jederzeit stoppen durfte, konnte ich mich dazu durchringen es wenigstens zu versuchen.»Wir fangen an mit der Überprüfung der Atemwege. Du musst nichts machen, außer den Mund öffnen«, erklärte Damien, was er als Erstes vorhatte.
Nickend bestätigte ich ihm, dass ich verstanden hatte, was er gesagt hatte und öffnete den Mund. Er schaute kurz, wonach ich den Mund wieder schießen durfte.
»Sehr gut. Weißt du was danach kam?«, stellte er mir die Frage während er aus dem Schrank Blutdruckmanschette und Stethoskop holte.
Blutdruckmessen war zwar Teil des Schemas, aber war es an zweiter Stelle?
Oder kam zuerst abhören?»Abhören oder Blutdruckmessen. Eins von beiden«, war meine Antwort.
»Abhören stimmt.« Er legte die Blutdruckmanschette neben mich auf die Liege.
»Womit fangen wir an? Herz oder Lunge?«, überließ er mir die Wahl.
»Herz«, entschied ich mich. Und schob Hoodie sowie T-Shirt soweit hoch, dass der Herr Notarzt seiner Arbeit nachkommen konnte.
Die erste Berührung des Stethoskops mit meiner Haut bescherte mir eine Gänsehaut.
Nach und nach ließ Damien das Stethoskop über verschiedene Punkte meines Brustkorbs wandern.Im Gegensatz zum ersten Mal, als wir das gemacht hatten, war ich viel entspannter. Beim ersten Mal war es für mich kaum auszuhalten und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis Damien fertig war, in diesem Moment war ich deutlich ruhiger. Nicht komplett entspannt, aber das konnte man auch noch nicht erwarten.
»Das war's schon. Jetzt ist deine Lunge dran«
Ich zog den Hoodie wieder zurecht, drehte mich ein Stück um und zog den Hoodie am Rücken hoch.
Nach einer kurzen Vorwarnung begann Damien damit meine Lunge anzuhören.
Keine Minute später war das ebenfalls geschafft und ich konnte mich wieder vernünftig anziehen.
»Jetzt kommt Puls und Blutdruckmessen.«
Ohne, dass er fragen musste, hielt ich ihm mein linkes Handgelenk hin.
Dieses nahm er entgegen, legte zwei Finger auf die Stelle, wo er messen wollte und schaute auf die Uhr. Aus Neugier, wie lange er maß, schaute ich mit drauf. Vielleicht diente das auch dazu meinen Kopf abzulenken.Er maß fünfzehn Sekunden. Danach ließ er mein Handgelenk los.
»Wieso eigentlich fünfzehn Sekunden?«, fragte ich nach.
Damien nahm die Blutdruckmanschette von der Liege.
»Man zählt wie oft das Herz in fünfzehn Sekunden schlägt, dann nimmt man den Wert und rechnet ihn mal vier. So hat man einen ungefähren Pulswert. Genauer wäre es, wenn man eine ganze Minute misst. Das kommt vor, wenn man bemerkt, das der Puls zum Beispiel arrhythmisch ist, also unregelmäßig schlägt«, erklärte er und legte mir dabei die Blutdruckmanschette um meinen linken Arm.
»Verstehe«, sagte ich darauf.
Damien legte wieder zwei Finger auf mein Handgelenk und er begann Luft in die Manschette zu pumpen. Nachdem sich genug Luft in der Manschette war, nahm er die Finger weg, nahm das Stethoskop und legte das Ende davon an meine Ellenbeuge. Dann ließ er langsam die Luft aus der Manschette und schaute die Anzeige an.»Ob ich das während der Ausbildung zum Schulsanitäter lerne?«
»Fertig« er nahm mir die Manschette vom Arm. Diesen schüttelte ich einmal leicht durch.
»Jetzt noch Recap Zeit und wir sind durch«, kam er auf den letzten Teil zu sprechen, der noch vor mir lag.
Ein einfacher.»Das schaffst du. Danach hast du es geachafft!«, redete ich mir gedanklich selbst ein und gab Damien erneut meine linke Hand.
Er nahm sich den Daumen vor, drückte auf den Nagel und schaute, wie schnell die rosa Färbung zurückkam.
»Damit wäre es geschafft. Gut gemacht!«
Leicht lächelte ich.
Ich hatte es wieder geschafft.
Auch wenn es nicht viel war.
Es war Fortschritt.
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WKM - Angst vor ihnen
RandomDas Buch gehört zu der WKM (Westfalen Klinikum Münster) Serie und beinhaltet die Geschichte der Charaktere Luke und Akira Zellner. !Triggerwarnung! (mehr dazu im Vorwort) Phobien, Angststörungen, Panikattacken. Für viele Realität und Alltag. Auch f...