- Kapitel 79 -

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Lukes Sicht

Es verging einige Zeit des Schweigens, in denen wir einfach zusammen auf dem Sofa saßen und nichts taten.

Damit die Stille im Wohnzimmer nicht auf Dauer anhielt, beschlossen wir den Fernseher anzumachen und uns gemeinsam mit YouTube Videos abzulenken.

Jules hatte sich irgendwann in die Küche zurückgezogen, um sich ums Abendessen zu kümmern, weil Mom bei Dad im Krankenhaus war.

Zur gewohnten Essenszeit hab es Abendessen, wo Akira und ich weniger als unsere normalen Portionen aßen.
Mehr wollte einfach nicht runtergehen.

Nach dem Essen wollten wir nach oben gehen und uns in unsere Zimmer zurückziehen.
An diesem Tag war wirklich genug passiert und ich brauchte meine Ruhe.
Bevor wir jedoch die Küche verlassen könnten, wurden wir von Jules aufgehalten.

»Er ist übrigens aus’m OP raus. Und es geht ihm so weit gut«, gab er uns, wie versprochen, weitere Informationen über Dad und wie es ihm ging.

»Wollt ihr auf eure Zimmer?«, durchschaute unser Onkel unser Vorhaben. Akira bejahte das.
Sein Blick fixierte mich und er schien zu überlegen.
»Luke, ich vertraue dir, dass du zu mir kommst, wenn sich was an deinem Zustand ändert. Damit meine ich, wenn Schmerzen, Übelkeit oder Schwindel auftreten.«
Nickend stimmte ich dem zu, obwohl ich mir unsicher war, ob ich mich dazu überwinden könnte. Doch was tut man nicht alles, um seine Ruhe haben zu dürfen?
»Gut. Dann dürft ihr hoch.«

Gesagt, getan.
Wir verließen die Küche, liefen die Treppe nach oben und verschwanden auf unsere Zimmer.
Dort ließ ich mich mit geräuschvollem Ausatmen auf mein Bett fallen und schloss die Augen.

Niemals hätte ich gedacht, dass dieser Tag eine so drastische Wendung nehmen würde.
Okay. So was lässt sich auch schlecht voraussagen. Manche Dinge passieren einfach und plötzlich ist alles anders.

Plötzlich war Dad im Krankenhaus und Jules unser Hauptansprechpartner, damit Mom entlastet wurde.

So ganz wusste ich immer noch nichts, was ich von der Idee halten sollte, dass Jules in dieser Zeit ein Auge auf uns hatte.

Einerseits war mir nicht wohl bei diesem Gedanken, weil ich nicht wusste, wie gut ich damit klarkam, den Arzt aus unserer Familie über einen längeren Zeitraum, als gewöhnlich in meiner Nähe zu haben. Andererseits war er die beste Wahl, da er uns Zwillinge kennt.

Ich schüttelte den Kopf, wollte nicht länger dieses Thema zerdenken und vielleicht wieder Kopfschmerzen provozieren. Deshalb griff ich nach meinen Kopfhörern, schaute, ob die noch mit meinem Handy gekoppelt waren, setzte sie mir auf und begann mich abzulenken.

Zeit verging und die Müdigkeit des Nachmittags begann mich nach und nach wieder einzuholen.
Das merkte ich vor allem daran, dass meine Konzentration nachließ und ich nur noch ungefähr die Hälfte von dem Video wirklich mitbekam. Die andere Hälfte war ich mit meiner Aufmerksamkeit ganz woanders.
Das war mein Zeichen dafür, mit bettfertig zu machen. Das bedeutete ab ins Bad, nochmal aufs Klo und Zähneputzen.
Dass tat ich auch.

Im Bad fiel mein Blick auf meine linke Hand. In dieser verweilte nach wie vor der Zugang.

»Soll ich mir den ziehen? Zwar habe ich wieder leichte Schmerzen am Brustkorb, aber mein Kopf scheint sich beruhigt zu haben«, überlegte ich.

Das Ding loszuwerden reizte mich schon sehr, aber die Angst davor, dass mich in der Nacht oder am nächsten Tag noch einmal diese mörderischen Kopfschmerzen heimsuchen war zu groß.
Das wollte ich nicht nochmal länger als nötig durchstehen und wenn ich dazu den Zugang behalten musste, um nicht nochmal gestochen werden zu müssen, war es mir Recht den an Ort und Stelle zu lassen.

Fertig mit Zähneputzen, ging es wieder ins Zimmer.
Besser gesagt ich wollte, denn neben meiner Zimmertür lehnte Jules an der Wand und schien auf mich zu warten.

»Was will er denn jetzt noch von mir?«

Obwohl ich müde war und auf ein Gespräch mit Jules keine Lust hatte, musste ich an ihm vorbei, um in mein Zimmer zu kommen.

Er bemerkte mich, als ich auf ihn zukam.

»Hey. Wie geht’s dir?«, fragte er mich.
»Gut«, antwortete ich kurz.
»Gehst du jetzt schlafen?«
Mit einem nicken bejahte ich diese Frage.
»Ist es ein Problem für dich, wenn ich ab und an nach dir sehen komme, ob bei dir alles in Ordnung ist?«. Er schaute mich eindringlich an, während ich den Blick abwandte und die Stirn runzelte.

Bereits in der Vergangenheit hatte ich ihn in mein Zimmer gelassen. Wohl dabei war mir trotzdem nicht. Schließlich ist mein Zimmer mein Safeplace.

»Ich weiß, du vertraust mir noch nicht ganz und das verstehe ich auch. Mir ist nur nicht ganz wohl bei der Sache mit dem Sturz auf den Kopf und den Kopfschmerzen, die du heute Nachmittag hattest. Da möchte ich einfach auf Nummer sicher gehen und das im Auge behalten«, erläuterte er mir, wieso das für ihn so wichtig war.

Still und unschlüssig darüber, ob ich zustimmen sollte oder nicht stand ich vor ihm.

»Ich komme nur rein, wecke dich kurz, ich überprüfe einmal deine Pupillen und lasse dich dann weiterschlafen«, erklärte er, was genau er mit „nach mir sehen“ meinte.

Verneinend schüttelte ich den Kopf.
Das ließ die Angst nicht zu.

Es war zwar äußert unwahrscheinlich, dass er nachts in mein Zimmer kam und irgendwas anstellte, aber das war die Befürchtung der Angst. Und egal, wie sehr ich versuchte mir das auszureden, dieser Gedanke verschwand nicht.
Und das tat mir leid. Es tat mir leid so über meinen Onkel zu denken.

Ich hörte Jules leise Seufzen, was die Schuldgefühle nochmal verstärkte.
Das Verlangen, mich einfach in mein Zimmer zurückzuziehen und in mein Bett zu verkriechen, war groß.

»Was, wenn ich einfach einmal in dein Zimmer schaue, mir vergewissere, dass du noch lebst und dann wieder rausgehe?«, machte er mir einen alternativen Vorschlag.

Dieser beinhaltete zwar immer noch, dass er in mein Zimmer kam und ich schlief, aber mir schien es unmöglich ihm es ganz auszureden nach mir zu sehen. Deshalb nickte ich einfach, auch wenn meine Angst mich innerlich anschrie dafür.

»Okay. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Ich bin im Gästezimmer, wenn du was brauchen solltest«.
»Gute Nacht«, erwiderte ich das und ging in mein Zimmer.
Hinter mir schloss ich die Tür.

Einmal atmete ich durch, dann ging ich zu meinem Bett, legte mich hin, kuschelte mich in die Bettdecke und schaute an die Wand links von mir.

»Ob ich jemals dazu in der Lage sein werde Jules voll und ganz zu vertrauen? Oder werde ich für immer ein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn mein Kopf irrational schlecht über ihn denkt und ich nichts dagegen tun kann?«

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt