- Kapitel 39 -

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Lukes Sicht

Seufzend ließ ich mich bäuchlings auf mein Bett fallen. Den Kopf hatte ich aufs Kissen gelegt.

Meine Angst hatte wohl noch nicht begriffen, dass wir das Angebot von Damien angenommen hatten. Von einem Arzt. Einer der Personen, die meine Angst am einfachsten Auslösen könnten.

Denn die Angst hat noch keine Welle der Panik losgeschickt. Stattdessen verkroch sie sich, kaum hatten wir das Klinikgelände verlassen und ließ mich vorerst in Frieden.

»Freitag ist der erste richtige Termin mit Damien. Was da wohl auf uns zukommt? Er meinte, wir würden erstmal nur reden. Ich hoffe wirklich, dass wir das mit seiner Hilfe schaffen …«, ging es mir durch den Kopf.

Dass Akira und ich zeitgleich die ersten Termine wahrnehmen durften und dass wir uns im Park treffen, kam mir sehr gelegen. So konnte ich mich mit der Situation anfreunden, ohne mich direkt überwinden zu müssen jedes Mal in eines der Gebäude gehen zu müssen.

Um nicht weiter darüber nachzudenken, nahm ich mein Handy aus in die Hand und schaute, ob es da was Neues gab.

Marius hatte mir geschrieben. Er hatte mir erst Montag seine Nummer gegeben. Sein Vater hatte endlich das okay dafür gegeben.

»Waren du und Akira heute beim WKM? Ich meine euch eben gesehen zu haben«, schrieb er.

»Ja. Akira wurde heute entlassen und ich bin mitgefahren, um sie abzuholen«, schrieb ich zurück.

»Gut, dass es ihr wieder besser geht. Ich muss jetzt Hausaufgaben machen. Hab mich da jetzt lange genug vor gedrückt, indem ich Papas Kollegen auf die Nerven gegangen bin. Wir sehen uns morgen in der Schule«, beendete er die schriftliche Unterhaltung.

Hausaufgaben. Die musste ich auch noch machen. Meine Motivation dafür hielt sich in Grenzen. Besser gesagt war sie längst ausgewandert.
Gemacht werden mussten sie trotzdem, weshalb ich mich aus meinem Bett quälte und an meinen Schreibtisch setzte.

In meinem Schuldplaner für die Spalte Mittwoch und Englisch lächelte mich die wunderbare Schreibaufgabe an eine Argumentation zu schreiben. Auf Englisch.

Einen Text.
Mit einer Hand die drei Wochen kein Wort geschrieben hat oder anderweitig belastet wurde.
Das konnte ja nur einfach werden. Nicht!

Ich legte den Collageblock vor mich aka meine Mappe für alles, wenn ich zu faul war nach dem Unterricht alles einzuheften. Wenn ich ein Blatt nicht in der Mappe fand, in der sie sein sollte, besteht eine 99 Prozentige Chance, dieses Blatt in dem Block zu finden. Das übrige Prozent bezieht sich auf den Fall: aus unerklärlichen Gründen unauffindbar.

Mit dem Füller bewaffnet machte ich mich ans Werk.

Bereits in der Schule war mir aufgefallen, dass meine rechte Hand sich nach der Ruhigstellung erstmal wieder ans Schreiben gewöhnen musste.

Satz für Satz schreibe ich runter und musste ab und an absetzen, um meine Finger oder mein Handgelenk zu bewegen.
Dadurch zog sich die Fertigstellung in die Länge.

Irgendwann, laut Uhr eine Stunde später, hatte ich es endlich geschafft und ich musste nur noch Physik machen. Auf dem Arbeitsblatt ging es um das Thema Kräfte.
Dort musste ich nur zuordnen und nichts mit Formeln machen. Immerhin.

Nach Physik war ich fertig und konnte meinen Schulranzen für den nächsten Tag packen.

Sobald das erledigt war, schmiss ich mich wieder aufs Bett.

An diesem Tag standen nur noch Duschen, Abendessen und Ausruhen auf dem Plan.

Den Nachmittag des folgenden Tages meldete ich mich bei Mom ab, um nach draußen zu gehen.

Mein Ziel war der kleine Platz, den ich für mein Parkour Training entdeckt hatte.

Das erste Mal nach dem Unfall war ich wieder hier.

Ich schaute zu meinem rechten Handgelenk, dass beim letzten Training an diesem Ort ziemlich Leiden musste. Die Narbe der OP war noch deutlich zu erkennen.

»Aufs Ganze gehen sollte ich noch nicht. Weitere Verletzungen möchte ich nicht riskieren.«

Mit ein paar einfachen kleinen Sprüngen wärmte ich mich auf. Dabei sprang ich von Mauer für Mauer und konzentrierte mich auf jede Landung.
An die Präzisionssprünge traute ich mich noch nicht.

Um sicherzugehen, dass ich ohne Hemmungen das abrollen noch richtig ausführen konnte, machte ich auch das ein paar Mal.
Dabei rollte ich mich erstmal aus dem Stand ab, um darauffolgend auf eine leichte Erhöhung zu wechseln.

Sobald ich mir sicher war, dass das einwandfrei klappte, sprang ich ein wenig herum, wobei ich darauf verzichtete meinen rechten Arm zu belasten. Schränkte meine Auswahl von Sprüngen und anderen Elementen ein, aber ich wollte nichts riskieren.

Ich sprang auf die erste Mauer, rüber auf die zweite, von dort wieder rüber auf die erste und dann zurück auf den Boden.

Mir lief bereits der Schweiß die Stirn runter. Für September war es noch immer ziemlich warm. 25 Grad waren es an diesem Tag. Mit einer Hand wischte ich mir den Schweiß weg.
Dann ging es weiter.

Eineinhalb Stunden hielt ich durch, bis ich erschöpft auf dem Boden saß und der Durst sich bemerkbar machte. Das war mein Zeichen dafür den Heimweg anzutreten.

Wieder Zuhause war das erste, was ich tat, was zu trinken. Zwei volle Gläser gingen ohne Probleme runter.

»Luke?«, hörte Mom aus dem Wohnzimmer nach mir rufen.
»Ja?«, rief ich zurück.
»Kannst du den Geschirrspüler einmal ausräumen, wenn du schon in der Küche bist?«
Ein genervtes stöhnen entkam mir.
»Ich wollte jetzt duschen gehen«, versuchte ich mich noch von dieser nervigen Aufgabe zu befreien.
»Die fünf Minuten machen auch keinen Unterschied.«

Augenverdrehend stellte ich mein Glas ab und machte mich ans Werk. Teller in den ersten Schrank von oben unter dem Herd. Die Schüsseln auch. Töpfe in den zweiten Schrank von oben. Gläser in den Hängeschrank. Besteck in die Schublade.

Geschafft.

Mein Blick fiel auf das dreckige Geschirr in der Spüle.
Ausräumen bedeutete auch einräumen.
Da ich keinen Stress mit Mom wollte erledigte ich auch das schnell und verschwand im Anschluss ganz schnell nach oben, um duschen zu gehen, bevor sie noch weitere Aufgaben anhängen konnte.

Das lauwarme Wasser tat echt gut. Nach dem Duschen fühlte ich wieder um einiges frischer und weniger verklebt.

In meinem Zimmer hatte ich kaum fünf Minuten, bis es Zeit fürs Abendessen war.

»Die Zeit fliegt weg. Morgen ist bereits Freitag. Nach der Schule ist der erste Termin mit Damien. Hoffentlich geht das gut und er bleibt weiterhin vertrauenswürdig«, war mein Gedankengang auf dem Weg nach unten zum Abendessen.

Alle anderen waren schon da und warteten auf mich.

»Warst du trainieren?«, war es Akira die Frage. »Ja, ich hab aber ruhig gemacht und den Arm noch nicht eingesetzt. Das
Ist mir noch zu unsicher«, bejahte ich das und belegte mir meine Scheiben Brot mit Wurst. Sie nickte und wir aßen in Ruhe zu Abend.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt