- Kapitel 123 -

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Lukes Sicht

Sobald alle einen Platz gefunden haben wurde der Kuchen gebracht.

Ich ließ meinen Blick über die Auswahl schweifen. Pflaumenkuchen, einer mit Marzipan, einer der wie Käsekuchen aussah und den, der ganz am Ende stand konnte ich nicht zuordnen.
Ansprechen tat mich nichts wirklich. Konnte auch am fehlenden Appetit liegen.
Damien hatte sich derweil ein Stück von dem Pflaumenkuchen genommen und sich darauf ein bisschen Sahne gemacht.

»Habt ihr euch schon entschieden, was ihr wollt?«, richtete er die Frage an Akira und mich.
»Ich hab wirklich keinen Hunger«, beteuerte ich.
»Ich auch nicht«, schloss Akira sich mit an, obwohl es Marzipankuchen gab.
»Ihr esst bitte mindestens eins Stück. Also?« Er machte klar, dass wir keine andere Wahl hatten, was seltsam war, da ich bisher keine Erfahrung mit Damiens strenger Seite gemacht hatte.
Auf Stress mit ihm hatte ich keine Lust, weshalb ich mich für ein Stück Marzipankuchen entschied. Akira entschied sich für dasselbe, wie ich, was nicht überraschend war.

Appetitlos stocherte ich in der Marzipanmasse herum. Nach einer Weile fand der erste Happen seinen Weg in meinen Magen.

»Schmeckt gar nicht schlecht.«

Es folgte eine weitere Gabel und darauf noch eine.
Akira schien ihren Appetit ebenfalls wiedergefunden zu haben, denn ihr Küchenstück war fast aufgegessen. Sie ließ sich sogar noch ein zweites geben, sobald das erste vernichtet war.
Mir reichte eins. Mehr wollte in meinen Magen nicht reingehen.

Ich lehnte mich nach hinten an die Stuhllehne und schaute zu den beiden Rettungsdienstlern vor mir, die sich unterhielten.
Plötzlich schwebte ein Glas vor meiner Nase.
Irritiert folgte ich der Hand, die das Glas festhielt und landete bei Damien.
»Trink Mal bitte was«, bat er mich darum.

Er nahm seine Aufgabe als unsere Begleitperson echt ernst.

Ohne Widerworte nahm ich das Glas Wasser entgegen und trank daraus ein paar Schlucke. Auch Akira bekam ein Glas hingehalten und sie trank daraus.
Mein Glas stellte ich auf den Tisch.

So langsam wurde das verlangen nach Ruhe und meinem Bett größer.
Still saß ich da. Sagte kein Wort und wartete.
Keine Ahnung, wie lange ich warten musste. Es gab keine Uhr in meinem Blickfeld und mein Handy hatte ich Zuhause gelassen.

»Ich glaube es reicht für heute hm?«, kam es von Damien, der bemerkt zu haben schien, dass Akira und ich schon sprichwörtlich in den Seilen hingen.
Ich nickte zustimmend und Akira brummte.
»Ich gehe dann Mal tschüss sagen und dann bringe ich euch heim«, meinte er und stand auf.

Warte. Er brachte uns heim?

»Stimmt ja. Mom kann uns nicht holen, weil sie arbeiten ist und Dad darf nicht fahren und wenn er es dürfte, hätte er kein Auto da.«

Damien war derweil verschwunden um uns und sich zu verabschieden. Keine fünf Minuten später kam er wieder.
»Kommt. Wir gehen.« Mit einem Kopfnicken zeigte er Richtung Ausgang. Akira und ich standen auf und folgten ihm.
An der frischen Luft angekommen atmete ich einmal durch. Es nieselte leicht. Der Himmel schien mit uns um Marius zu trauern. Zum Glück war es während der Beerdigung trocken geblieben.

Wir gingen zu Damiens Auto. Wie zuvor setzten wir Zwillingsgeschwister uns auf die Rückbank und Damien fuhr.
Während der Fahrt nach Hause schaute ich aus dem Fenster.
Ich ließ die Beerdigung nochmal Revue passieren. Dachte an die Worte von Aylin und Chris. Wieder stiegen mir die Tränen in die Augen.

»Deinetwegen ist er tot! Deinetwegen hat Chris seinen Sohn verloren und Aylin ihren Neffen!«

Bitte nicht schon wieder …

Vor meinem inneren Auge tauchte Chris auf. Dieser leere ausdruckslose Blick.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.

»Er wollte dich sicher nicht da haben. Nicht den Mörder seines Sohnes!«

Wieso jetzt?
Wieso mussten sie mich ausgerechnet in diesem Moment überrennen?

Mir wurde schlecht. So schlecht, dass ich mir eine Hand auf den Mund legte, weil ich Angst hatte Damiens Auto vollzukotzen.
Die Tränen begannen zum wiederholten Mal an diesem Tag zu laufen.
Ich starrte auf die Kopfstütze des Fahrersitzes vor mir.

Die Gedanken rasten weiter in meinem Kopf umher. Wild durcheinander wie in einer Lostrommel.

Wie Sturzbäche liefen mir die Tränen über die Wangen. Die Hand hatte ich derweil von meinem Mund weggenommen, da ich das Gefühl hatte durch die Nase nicht genug Luft zu bekommen.

Das Auto hielt an und ein paar Sekunden später öffnete sich die Tür zu meiner linken. Frische Luft strömte ins Auto.

»Konzentriere dich aufs Atmen. Ein und wieder aus« Das war Damiens Stimme.

Mit dem Rest Selbstbeherrschung, was mir noch blieb, versuchte ich meinen Atemrhythmus wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dank Damiens Hilfe funktionierte das auch.

»I-ich hab Chris sicher die Beerdigung mit m-meiner Anwesenheit zerstört!«, brachte ich zitternd hervor, sobald ich wieder dazu in der Lage war zu reden.
»Wieso glaubst du das?«, halte der Psychiater nach.
»Er m-musste der Person in d-ie Augen sehen, die schuld an t-tot seines Sohnes i-ist«, stotterte ich.
»Du hast niemanden die Beerdigung versaut. Du hast sie selbst gebraucht, um das Ganze besser verarbeiten zu können. Jetzt kommen die ganzen Emotionen hoch, die du vorher versucht, hast du unterdrücken. Und das ist nicht schlimm. Du darfst weinen. Das solltest du sogar. Lass es einfach raus. Dir kann nichts passieren«, redete Damien ruhig auf mich ein.

Es rauslassen.
Konnte ich das einfach so vor ihm?

»Wenn nicht vor ihm, vor wem dann? Er hat es doch selbst gesagt, dass ich es rauslassen soll.«

Die Unsicherheit verhinderte, dass ich die Emotionen rausließ.

Plötzlich zog Damien mich in seine Arme.
Das war wie ein Schalter, der in mir umgelegt wurde. Die Unsicherheit wich und der ganze Schwall an Emotionen brach aus mir heraus.

Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, was er von mir denken könnte, ließ ich es raus. Klammerte in Damiens Armen und heulte wie ein kleines Kind.

Keine Ahnung wie lange das ging. Irgendwann war ich erschöpft vom Weinen und ließ Damiens Ruhe auf mich wirken.

Nach diesem Sturm der Gefühle, war in meinem Inneren eine seltsame ruhe eingetreten.

Mein Kopf lag an Damien, der mich aus dem Auto hob.

In diesem Moment dachte ich an nichts. Genoss einfach diese Ruhe in meinem Inneren und ließ Damiens ruhige Ausstrahlung auf mich wirken.
Leider hatte sie die Nebenwirkung, dass ich schläfrig wurde und mir die Augen zufielen.

Das Letzte, was ich mitbekam, war, dass ich auf was weichem abgelegt wurde, dann überkam mich die Müdigkeit und ich schlief ein.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt