- Kapitel 113 -

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Lukes Sicht

Der Rest des Sonntags verging wie immer. Ich war auf meinem Zimmer und war für mich alleine. Am Abend war ich noch duschen gegangen und sonst passierte nicht mehr viel.

Am nächsten Tag begann eine neue Schulwoche und am Tag darauf war es Dienstag. Bedeutete, dass ich wieder einen Termin bei Damien hatte.

Bevor es zur Klinik ging, hatte ich mich an meine Hausaufgaben gesetzt. Zumindest einen Teil hatte ich geschafft, ehe ich runterging und Schuhe anzog.

Mom war im Dienst. Deshalb konnte sie mich nicht bringen. Jules hatte ebenfalls Dienst und Dad durfte nicht fahren. Hieß, dass ich mit dem Bus fahren durfte.
Ja. Durfte. Schließlich lag meine Aktion mit dem abhauen vor dem Termin mit Damien noch nicht allzu lange zurück.

»Okay Luke. Reiß dich am Riemen! Du solltest es dir nicht verscherzen. Zeig ihnen, dass man dir vertrauen kann, dass du alleine dorthin fahren kannst!«, sagte ich zu mir selbst, stand auf und packte meinen Schlüssel ein.

Noch einmal durchgeatmet und ich meldete mich mit den Worten »Bin jetzt Weg!« in Richtung Wohnzimmer ab. Danach verschwand ich durch die Tür und machte mich auf den Weg zum Bus.

Lange musste ich nicht warten, stieg ein, zeigte mein Ticket vor und suchte mir einen Sitzplatz.
Die Fahrt verging schnell und ich stieg an der Klinik wieder aus.
Am üblichen Treffpunkt ließ ich mich auf der Bank nieder.

Warten war angesagt.

Ich schaute in den Himmel. Wolken in den verschiedensten Grautönen zogen über mir her. Ließen der Sonne keine Chance.
Ein Regentropfen traf mich im Gesicht. Darauf folgten weitere. Hinterließen dunkle Punkte auf meiner Jacke und am Boden.

Die Uhr zeigte fünf nach vier, als Damien sich zu mir gesellte.

»Hallo Luke«, begrüßte er mich.
»Hallo«, erwiderte ich das.
»Wollen wir in zur Wache verschwinden, bevor der Himmel seine Pforten endgültig öffnet und wir nass werden?«, schlug er vor.
Kurz überlegte ich.
Mom hatte Dienst. Das war eigentlich ein Grund, weshalb ich nicht dorthin wollte.

»Wer sagt, dass wir in den Aufenthaltsraum gehen?«, kam der Gedanke in mir auf.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mit mir vor seinen Kollegen sprechen wollte. Deshalb stimmte ich seinem Vorschlag zu und wir machten uns auf den Weg zum Stützpunkt der Rot Neongelben Fraktion.

Sobald wir durch die Tür nach drinnen gingen, begann der Regen stärker zu werden.

Damien ging vor, die Treppe nach oben. Dort kamen uns zwei Personen entgegen.

Mein Blick traf auf den der zweiten Person.
Chris.
Mit einem Schlag waren sie wieder da.
Die Schuldgefühle wegen Marius.
Er wandte seinen Blick ab und verschränkte die Arme.
Mir war nicht wohl in dieser Situation.

»Hey Damien. Hi Luke«, kam es von Chris Begleitperson. Ich kannte sie. Hatte sie schonmal gesehen. Wie hieß sie noch gleich?
»Hey Aylin. Moin Chris. Wie geht’s euch?«, erkundigte Damien sich bei den beiden.

»Stimmt! Das ist Aylin. Marius Tante.«

»Es geht. Gibt einiges zu tun«, antwortete sie auf Damiens Frage. Chris blieb still.
»Das glaube ich. Macht euch nicht zu viel Stress. Wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid«, bat der Psychiater neben mir den beiden seine Hilfe an.
»Danke für dein Angebot. Im Moment kommen wir zurecht. Ich behalte es aber im Hinterkopf«, meinte sie.
»Wir müssen jetzt leider los. Man sieht sich!«, verabschiedete sie sich und ging mit Chris zusammen die Treppe nach unten.

Er hatte mir keinen Blick mehr gewürdigt.
Ob er mir auch die Schuld an Marius tot gab?

Ich hatte den beiden nachgeschaut und blieb noch einige Sekunden mit Blickrichtung zur Treppe stehen.

»Luke? Alles in Ordnung?«, wollte Damien wissen, nachdem ich mich nickt vom Fleck weg bewegt hatte.
»Hm? Ja. Alles okay«, winkte ich ab und drehte mich wieder zu ihm um.
»War das gerade dein erstes Aufeinandertreffen mit Chris nach Marius tot?«
Ich nickte zustimmend und schaute auf den Boden.

Machte ich mir zu viele Gedanken?
Er musste erstmal selbst den Tod seines Sohnes verarbeiten. Natürlich war er im Moment nicht der glücklichste Mensch des Planeten!

»Komm. Wir gehen in eines der Büros« Mit einem Kopfnicken bedeutete er mir an, ihm zu folgen.
Ohne viel zu sagen, lief ich hinter ihm her. Die Büros waren offen. Deshalb konnten wir einfach reingehen.
Damien ließ mich zuerst den Raum betreten. Er folgte mir und schloss die Tür hinter uns.

Verloren stand ich in der Mitte des Büros.

»Dich beschäftigt was«, bemerkte Damien meine Nachdenklichkeit und holte den Schreibtischstuhl auf die andere Seite des Tisches, wo ein weiterer Stuhl stand. Diesen stellte Damien gegenüber des Bürostuhls.
»Setz dich«, forderte er mich auf und zeigte auf den Stuhl. Ich ließ mich plumpsend auf diesem nieder und legte den Kopf in den Nacken.

Damien hatte sich auf den Stuhl mir gegenüber gesetzt und sagte nichts. Schien darauf zu warten, dass ich von mir aus anfing zu erzählen.

Innerlich wägte ich ab, ob ich darüber reden sollte.
Waren meine Sorgen berechtigt? Oder dachte ich wieder einmal zu viel nach?

»Wie war denn dein restliches Wochenende? Hast du noch was gemacht?«, wechselte Damien das Thema.
»Ich war Sonntagvormittag trainieren. Das war Mom nicht ganz Recht, weil ich noch etwas am Husten bin«, erzählte ich ihm.
»Im Grunde genommen ist ihre Sorge verständlich. Sport zu machen, wenn man noch nicht ganz wieder fit ist, kann zu Komplikationen führen. Solange du es aber nicht übertreibst und nicht jeden Tag direkt auf hundert Prozent gehst, sollte das Risiko, dass was passiert, gering sein.«
»Ich hab’s langsam angehen lassen. Und mich vernünftig aufgewärmt. Eben damit nichts passiert. Will nicht schon wieder ne Sportsperre bekommen. Davon hatte ich die letzten drei Monate genug«, meinte ich.
»Das ist gut, dass du auf dich aufpasst«
Darauf nickte ich wieder leicht, wonach wieder die Stille das Büro dominierte.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt