- Kapitel 19 -

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Lukes Sicht

Mittwoch kehrte für mich etwas mehr normaler Alltag zurück. Die Operation war zwei Tage her. Jules hatte das Okay gegeben, dass ich wieder zur Schule durfte.

Das bedeutete früh aufstehen und wach werden. Mom gab mir Schmerzmittel mit. Für den Fall der Fälle. Den Zugang wurde ich auch endlich los. Wurde auch Zeit.

Wir verließen Pünktlich das Haus und gingen zum Bus. Akira "lief" mit ihren Krücken neben mir her. Bis zum Ende der Woche musste sie ihren Fuß noch schonen.

»Hat Mom dir gesagt, dass wir heute Physiotherapie haben nach der Schule?«, fragte sie, als wir an der Haltestelle angekommen waren. »Ne. Hat sie nicht. Wann nach der Schule?«. »15:30 Uhr. Sie kommt uns abholen, wonach es direkt zur Physio geht«, klärte sie mich auf. Nickend nahm ich das zur Kenntnis.

Durchaus machte es Sinn, dass wir Physiotherapie bekamen. Da hatte ich gar nicht dran gedacht.

Der Bus kam und wir fuhren zur Schule.

Vor dem Eingang warteten bereits Viola und Nick.
Als wir auf die beiden zu kamen, hörte ich Viola kichern.

»Was ist so lustig? Kann man mitlachen?«, wollte Akira wissen.
»Sorry! Ich wollte es mir wirklich verkneifen. Nehmt das jetzt bitte nicht falsch auf. Auslachen wollte ich euch nicht«, rechtfertigte sie sich.
»Entspann dich. Ich wollte nur wissen, was so lustig ist«.
Viola atmete aus. »Es ist halt irgendwie ein klein wenig lustig, dass du Akira einen Fuß kaputt hast und Luke einen Arm. Du hast uns ja nicht gesagt, was genau Luke hat«.

»Kommt. Lass uns zum Unterricht. Wir haben deutsch, oder?«, vergewisserte sie sich. »Richtig«, stimmte Viola zu und wir betraten das Schulgebäude.

»Du kannst mir nach Luke. Die Mädels nehmen den Aufzug«, kam von Nick. Diesen folgte ich zu unserem Klassenzimmer. Langsam aber sicher begann ich mich auszukennen in den Fluren. Zumindest in denen, wo Räume lagen, in welchen wir Unterricht hatten.

Viola und meine Zwillingsschwester brauchten zwei Minuten länger, bis sie da waren.

»Darf ich fragen, wie du dir den Arm verletzt hast?«, fragte Nick nach. »Das war nicht wirklich spektakulär. Ich hab trainiert. Präzisionssprünge um genau zu sein. Dabei hab ich mich bei einem nicht konzentriert, hab die Landung vermasselt, konnte mich nicht mehr ausbalancieren und bin ziemlich dämlich gefallen«, schilderte ich ihm die Geschichte, wie ich mir den Arm gebrochen hatte. Die Vorgeschichte dazu ließ ich aus.

»Ist der Bruch arg schlimm?«. »Beide Knochen sind durch. Waren sogar verschoben, weshalb die Ärzte das operieren wollten. Die OP war Montag«. Er zog scharf die Luft ein. »War die OP schlimm? Ich hatte noch nie eine«, war seine nächste Frage. »Keine Ahnung. Ich kann mich da nicht dran erinnern. Mir fehlt bereits einige Zeit davor die Erinnerung. Erst nach der Operation, als ich wach wurde, setzt meine Erinnerung wieder ein«. »Ich hoffe, dass du dich bald wieder erinnerst«, meinte er. Ich nickte.

Ob ich mich wirklich an den vergessenen Zeitraum vor der Operation erinnern wollte, da war ich mir unsicher. Vielleicht war es gut so wie es war, dass ich es nicht wusste.

Die Klingel ertönte und signalisierte, dass in Kürze der Unterricht begann.

Drei Minuten nach der zweiten Klingel kam Frau Kiel und ließ uns in den Klassenraum.

Nach der Doppelstunde, bzw dem Block deutsch ging es in die erste Pause des Schultages. Die Zeit etwas zu essen.

Wie üblich setzten wir uns unter den großen Baum und aßen zusammen.
Großartig Gespräche geführt wurden nicht. Alle vier, die wir da saßen wollten essen und in den 15 Minuten Pause damit fertig werden.

Erst in der zweiten Pause, nach Informatik, kamen die Gespräche ans rollen. Viola wollte auch erfahren, was mit meinem Arm passiert war. Deswegen erzählte ich die Geschichte zum zweiten Mal an diesem Tag.

Zwei weitere Blöcke später war der Schultag beendet. Bereits vor dem Gebäude verabschiedeten wir uns von Viola und Nick. Sie mussten dieses Mal alleine mit dem Bus fahren.

Auf dem Parkplatz wartete Mom bereits. Wir stiegen ein.

»Hey ihr beiden, wie war die Schule?«, erkundigte sie sich und fuhr los.
»Ganz gut. Was Besonderes passiert ist aber nicht«, meinte Akira.
»Und bei dir Luke? Was haben sich die Lehrer einfallen lassen, damit du mitmachen kannst?«, wollte Mom von mir wissen. Sie spielte darauf an, dass ich mit der Gipsschiene nicht schreiben konnte, da diese auch meine Hand in der Nutzung einschränke. Schreiben war eine Sache, die nicht ging.
»Ich hab von Frau Kiel ein Schultablet mit Tastatur bekommen. Damit kann ich versuchen zu tippen. Ich brauche meine Zeit für Arbeitsblätter, aber es geht«.
»Das klingt gut. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass du ein paar Wochen nicht gut mitarbeiten kannst«.

Die Fahrt zur Physiotherapie dauerte eine Viertelstunde. Wir waren sogar zu früh und mussten warten.
Etwas skeptisch war ich bezüglich meiner Angst. Ich wusste nicht, ob Physiotherapeuten auch ein Trigger waren. Rein logisch nicht. Sie hatten mit Medikamenten und co nichts am Hut.

So war es auch. Meine Angst blieb still und ich konnte mich darauf einlassen.

Da mein Unterarm noch nicht bereit war für Physio, wurde sich darauf konzentriert, dass mein restlicher rechter Arm nicht abbaute. Ergibt Sinn. Den rechten benutzte ich ja für kaum etwas, wodurch alle Muskeln betroffen waren.

Wieder zuhause hatten ich und Akira eine Liste an individuellen Übungen für uns, die wir täglich machen sollten.

Den Zettel klebte ich an meine Tür, damit ich es bloß nicht vergaß. Denn ich wusste, dass wenn ich es mir nicht offensichtlich irgendwo hinlegte oder hängte, dass das Thema bis zum nächsten Physiotherapietermin aus meinem Kopf verschwand.
Mit dem Zettel an der Tür sollte ich dieses Risiko minimiert haben. Zumindest hoffte ich das.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt