- Kapitel 109 -

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Lukes Sicht

Einige Zeit verging. In dieser Zeit hatte Damien keinen Einsatz. Die RTW Besatzungen hingegen schon.

Ein Teil von mir hoffte, dass Damien noch rausgeschickt wurde und ich der Konfrontation weiter ausweichen konnte.
Deswegen ging mein Blick auch ständig zur Uhr, um zu schauen, wie viel Zeit bereits vergangen war.
Kaum verging Mal mehr als zehn Minuten.
Wieso muss Zeit immer so quälend langsam vergehen, wenn man möchte, dass sie schnell vergeht und wenn man möchte, dass sie langsam vorbeigeht, rast sie davon?

Während ich still auf dem Sofa saß, unterhielt Damien sich mit seinem Kollegen.
Mein Blick lag auf dem stumm geschalteten Fernseher, auf dem irgendeine Serie lief.

»Luke?«, wurde ich irgendwann aus meinen Gedanken geholt und ich schaute in Damiens Richtung, da er es war, der mich angesprochen hatte.
»Meinst du, dass du soweit bist?«, wollte er wissen. Ich wusste, worauf er hinaus wollte.
War ich bereit?
Nicht wirklich und wäre ich nie.
Auf seine Frage zuckte ich nur mit den Schultern.
»Komm. Wir reden vor der Tür.« Er stand auf und ging vor zur Tür. Ich stand auch auf und folgte ihm nach draußen vor die Tür. Das Zittern hatte wieder eingesetzt.

»Wo liegst du mit deiner Angst gerade auf der Skala?«, fragte Damien mich und wir liefen nebeneinander den Gang entlang.
»Fünf bis sechs«, ordnete ich mich ein.
»Irgendwas Spezielles, was dir Angst macht?«
»Weiß nicht … Es ist einfach da und macht mich wahnsinnig«, sagte ich und spielte mit meinen Jackenärmeln herum.

Wir blieben vor dem Raum stehen, in dem ich bereits öfter als mir lieb war, drin gewesen war.
Nämlich den wacheigenen Behandlungsraum.

Mir war eiskalt und ich wich nach hinten an die Wand zurück. Da mir auch etwas schwindelig wurde, lies ich mich an der Wand Richtung Boden sinken.
Die Gedanken nahmen an Fahrt auf. Dabei waren nicht allein die angstmachenden Gedanken über das was bevorstand, sondern auch wieder die Schuldgefühle wegen Marius, den ich in diesem Raum zum letzten Mal gesehen hatte.

»Was geht dir gerade durch den Kopf?«, wollte der Psychiater von mir wissen.
Im Grunde wusste ich, was los war, das in die richtigen Worte zu fassen, wenn die Gedanken einem im Kopf herumflogen wie in einer Waschmaschine im Schleudergang, war gar nicht so einfach.

»Das ist doch M-mist! … Ich weiß doch, dass mir nichts passiert und trotzdem kommt die Angst und lässt mich glauben, dass mir weiß Gott was passieren kann. Und dann wieder die Schuldgefühle wegen Marius!«, schaffte ich es ihm zu erklären, was in mir vorging.
»Das ist noch ganz normal. Die Angst verschwindet nicht einfach. Leider. Man muss ihr immer und immer wieder zeigen, dass nichts passiert und die schlechten Erfahrungen mit guten „überschreiben“. Erst, wenn das passiert ist lässt sie Schritt für Schritt nach. Ja. Es kann frustrierend sein. Das weiß ich und das darf es auch. Besonders, wenn dir nicht nur die Angst durch den Kopf geht, sondern noch was obendrauf kommt. In deinem Fall die Schuldgefühle wegen Marius«, meinte Damien.

Tief atmete ich ein und aus.

»Reiß dich zusammen! Das, was heute passiert ist weniger schlimm, als die Blutabnahme vor ein paar Tagen«, redete ich mir gedanklich ein.
Die Zweifel daran, ob es wirklich weniger schlimm war, waren da. Diese versuchte ich jedoch zu ignorieren und stellte mich langsam wieder auf meine Beine.
Die ersten Sekunden stützte ich mich noch an der Wand ab, da ich meinen Beinen noch nicht ganz vertraute.

Ich schaute zu der Tür. Damien stand geduldig dort und wartete, bis ich so weit war.

Mit einem Nicken gab ich ihm zu verstehen, dass ich mich bereit genug fühlte rein zu gehen.
»Du kannst dir ruhig noch ein paar Minuten nehmen, wenn du die brauchst. Zwing dich nicht durch die Situation, weil du glaubst, dass du es musst«, meinte Damien und schaute mich dabei an.
»Ist schon okay«, versicherte ich ihm.

Ja. Ich musste mich nicht durchzwingen, aber ich hatte immer noch den Glaubenssatz im Kopf, dass ich keine Zeit verschwenden sollte.

Bevor er die Tür aufschloss, schaute er mich noch für eine Sekunde an.
Dann betraten wir den Raum, dessen Raumtemperatur gefühlt zehn Grad kälter war als der Rest der Wache.

Wie die letzten Male, die ich in diesem Raum war, setzte ich mich auf die Liege.

»Weißt du noch, was ich für heute geplant habe?«, fragte Damien mich.
»Dieses Schema Dings in leicht abgewandelter Form«, beantwortete ich ihm seine Frage.
»Richtig. Zumindest einen Teil davon. Ich werde dir alles erklären, was ich mache und du darfst jederzeit Stopp sagen, wenn es dir zu viel wird«, erklärte er und hielt dabei den Blickkontakt aufrecht. Darauf nickte ich.
»Gut. Wir hatten es ja so geplant, dass wir das Schema etwas durchmischen und nicht strickt die einzelnen Punkte runterrattern. Du kannst dir heute aussuchen, womit wir anfangen. Bei Punkt A, was Atemwege prüfen beinhaltet. Das kennst du vielleicht vom Kinderarzt damals. Das ist das mit dem ekeligen Holzspatel. Punkt B beinhaltet unter anderem Abhören, was du dir letzten Tage ja bereits über dich ergehen lassen musstest. Puls und Blutdruck messen stehen fest. Sofern dein Kopf dazu bereit ist, kommt das oder zumindest eins davon noch oben drauf«, fasste er einmal zusammen, was er genau vorhatte.

Bei der Erwähnung von diesem Holzspatel lief es mir eiskalt den Rücken runter.
Zwar war es bereits eine ganze Weile her, dass ich freiwillig beim Arzt war und das gemacht wurde. Trotzdem wusste ich wie eklig das gewesen war.
Deswegen fiel meine Entscheidung auch auf B. Das war nichts Neues.
Ich teilte Damien meine Entscheidung mit. Der nickte, holte ein Stethoskop aus dem Schrank und kam damit zu mir.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt