- Kapitel 96 -

261 32 3
                                    

Lukes Sicht

»Guten Morgen. Wie geht es meinem Privatpatienten?«, begrüßte er mich und hatte ein leichtes Grinsen im Gesicht.

Immerhin hatte er gute Laune.

»Guten Morgen«, brummte ich mehr als das ich wirklich sprach und legte mein Handy weg.
»Matschig fühle ich mich.«
»Wie war deine Nacht?«
Ich wiegte den Kopf leicht hin und her. »Geht so.«
»Hast du denn ein paar Stunden Schlaf bekommen?«, wollte er wissen und stellte seinen Rucksack ab. Wissen, was er dort alles drinnen hatte, wollte ich nicht.
Auf seine Frage nickte ich.
»Das ist gut«, sagte er darauf.

»Was macht der Husten? Besser oder schlimmer geworden?«, ging er wieder auf meinem Gesundheitszustand ein.
»Schlimmer«, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. Und als hätte er sich angesprochen gefühlt, musste ich wieder husten.
»Ja. Das hört man«. Er kramte in seinem Rucksack und holte das Stethoskop hervor.

Ich wusste, was er vorhatte, weshalb ich mein Hoodie wieder auszog und mich mit dem Rücken zu ihm drehte.
Darauf erhielt ich keinen Kommentar, worüber ich froh war. Nur die übliche Vorwarnung, dass es kalt wurde.

Das Abhören meiner Lunge wurde schnell über die Bühne gebracht.

»Man hört schon, dass da was im Argen ist, aber ist zum Glück nicht alarmierend. Trotzdem beobachten wir das weiter. Einfach zur Vorsicht.«
Er packte das Stethoskop wieder in den Rucksack.
Dann hielt er kurz inne. Schien nachzudenken.

»Weißt du … Ich weiß, dass du das absolut nicht magst, aber es muss sein, damit ich wirklich auf Nummer sicher gehen kann, dass du keine Lungenentzündung ausbrütest«, setzte er wieder zum Reden an und schaute zu mir. Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen. Wenn er schon so anfing, hatte das nichts Gutes zu bedeuten.

»Um Klartext zu sprechen. Ich möchte dir einmal Blut abnehmen, damit man im Labor schauen kann, wie hoch deine Entzündungswerte sind«, machte er klarer, worauf er hinaus wollte und am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte des weite gesucht. Leider hätte mir eine Flucht nur mehr Zeit eingebracht und nicht verhindert, dass ich mich früher oder später der Situation stellen musste.

»Muss das sein …?«, fragte ich leise, in der Hoffnung, dass er es sich noch einmal anders überlegte.
»So leid es mir tut, ja. Ich möchte einfach sichergehen, dass sich da nichts entwickelt. Je früher eine sich anbahnende Lungenentzündung festgestellt wird, desto eher kann man sie auch behandeln und verhindern, dass sie schlimmer wird«, erklärte er mir, wieso er es als nötig empfand Vampir zu spielen.

Ich sagte darauf nichts. Saß einfach auf meinem Bett, starrte die Bettdecke an, unter der ich vor lauter Anspannung wieder angefangen hatte an meinen Fingernägeln zu knibbeln.

»Ich bin wirklich vorsichtig«, versicherte er mir.

Er hatte mir schon mal eine Nadel unter die Haut geschoben. Mehrmals sogar. Trotzdem war mir nicht wohl dabei. Die Angst in mir ließ es nicht zu, dass ich ja sagte. Trotz, dass ich wusste, dass er sich Mühe gab mich nicht zu überfordern damit.

Den Geräuschen nach, bereitete er sich alles dafür vor mir Blut zu klauen.

»Ich bin sofort wieder da. Gehe mir kurz die Hände waschen«, kam es von meinem Onkel, der kurz darauf bereits mein Zimmer verließ.

Das wäre meine Chance gewesen zu flüchten, aber ich hatte mich genug unter Kontrolle um diesem Impuls nicht nachzukommen.

Wenig später kam Jules zurück und setzte sich wieder auf die Bettkante.

»Mach‘s dir bequem. Am besten legst du dich hin. So sollte es am angenehmsten sein«.
Obwohl ich wirklich nicht wollte, dass er mir mit einer Nadel zu nahe kam, kam ich seiner Empfehlung nach und legte mich hin.

Meinen Kopf drehte ich auf die linke Seite in Richtung Wand, damit ich nicht sehen musste, was er da machte.

»Soll ich dich wieder vorwarnen, wenn der Piecks kommt?«, fragte er mich, bevor er loslegte.
Nickend gab ich ihm das ja.

Das Stauband fand seinen Weg an meinen rechten Oberarm.
Mein Puls ging noch einmal eine Stufe höher und ich konnte jeden einzelnen Schlag meines Herzens spüren. Mir wurde noch heißer als sowieso schon.

Ich spürte Jules tastende Hände an meiner Ellenbeuge. Ungewöhnlich, da er sonst immer den Handrücken genommen hatte.

Mit all meiner Selbstbeherrschung, die ich hatte, versuchte ich mich zusammenreißen. Konzentrierte mich auf meine Atmung.
Einfach war das nicht, wenn einem gefühlt in Sekundenabstand Hitzeschauer durch den Körper schossen und das Herz einem gefühlt aus der Brust sprang.

Ich zuckte leicht zusammen, als das Desinfektionsmittel auf meine Haut traf. Gefühlt war es noch kälter als sonst.
Das wiederholte sich noch einmal und aus der Erfahrung der letzten Male, wusste ich, dass der schlimmste Part bevorstand.

Bereits vor Jules Vorwarnung hatte ich die Augen zusammen gekniffen und mich total angespannt.
Plötzlich begann mein ganzer Körper zu kribbeln, innerlich begann sich alles zu drehen und Lichtblitze erschienen vor meinem Auge.

Jules Vorwarnung kam und keine Sekunde später folgte der Stich in meiner Ellenbeuge. In derselben Sekunde begann es in meinen Ohren zu rauschen, mir brach der kalte Schweiß aus und dann war Stille.

Keine Stimmen, keine Berührungen, nichts.

Das Erste, was ich nach unbestimmter Zeit wieder wahrnahm, waren leichte Schläge gegen meine Wangen.

Irritiert blinzelte ich.

»Luke? Bist wieder da?«, hörte ich Jules fragen.

Zustimmend brummte ich und schloss meine Augen wieder.

Die Kopfschmerzen waren wieder da und es fühlte sich wieder mal so an, als würde mein Gehirn von einem Presslufthammer bearbeitet werden.

»Mach mal bitte die Augen auf«, forderte mein Onkel mich auf.
Mir war absolut nicht danach. Ich wollte einfach meine Ruhe.
»Ein Mal ganz kurz«, ging er mir weiter auf die Nerven.
Grummelnd öffnete ich leicht die Augen.
»War zu viel?«
»Mh-m«
»Tut mir leid. Jetzt hast du es aber überstanden und bist mich erstmal los. Damit du nach deinem kurzen Kreislaufabgang nicht alleine bist, bringe ich dich jetzt runter ins Wohnzimmer. Nicht erschrecken, ich nehme dich jetzt hoch!«

Eigentlich wäre ich lieber in meinem Bett geblieben, die Energie zum Diskutieren fehlte mir jedoch.

Wie vorgewarnt nahm Jules mich auf den Arm und brachte mich nach unten ins Wohnzimmer.

Die Augen hatte ich geschlossen, damit sich durch das Geschaukel vor meinen Augen nicht spontan die Pforten meines Magens öffneten.

»Hast du ein Auge auf ihn? Er ist beim Blutabnahmen gerade kurz mit dem Kreislauf abgerauscht. Mir ist es lieber, wenn er jetzt nicht alleine ist«
Das ging wohl an die Person im Wohnzimmer.
»Ja. Lass ihn ruhig hier. Schläft er?«, vernahm ich Dads Stimme. Ich würde aufs Sofa abgelegt.
»Ich gehe davon aus. Wenn was ist, gib Bescheid! Ich mache mich jetzt auf den Weg in die Klinik. Das Blut ins Labor geben«, verabschiedete mein Onkel sich.
»Mache ich«, versicherte Dad ihm noch, dass er ein Auge auf mich hatte.

Jules verließ laut Schritten den Raum und Mein Kopf wurde auf dem Schoß von Dad platziert.
Eine Hand fuhr mir durch die Haare.
Das kurbelte erneut meinen Schlaf an und ehe ich mich versah, war ich wieder einmal eingeschlafen.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt