- Kapitel 101 -

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Lukes Sicht

Einige Zeit saß ich einfach nur dort. An meiner Tür und überlegte, ob ich den Tod meines besten Freundes hätte verhindern können.

Irgendwann war ich in die Waagerechte gesunken und lag auf dem Boden. Mein Blick fixierte die Schublade meines Bettes. Durch meinen Kopf flogen die Gedanken und schienen kein Ende nehmen zu wollen.

Plötzlich klopfte es an meiner Tür. Ich gab keinen Mucks von mir. Vielleicht dachte die Person vor der Tür so, dass ich schlafe. Wobei das für die Uhrzeit ungewöhnlich gewesen wäre.

Als ich in meinem Rücken spürte, dass die Tür versucht wurde zu öffnen, schloss ich die Augen und stellte mich schlafend.

Die Tür schon mich etwas beiseite und ich hörte Schritte ins Zimmer kommen.

»Luke?«, wurde ich angesprochen. Der Stimme nach war es wieder Jules. Sagen tat ich nichts. Hielt an meinem Vorhaben mich schlafend zu stellen fest. Das war gar nicht so einfach, wenn man wusste, dass da ein sich im Dienst befindender Notarzt im Zimmer steht und die Angst wieder aus ihrem Loch gekrochen kam.

Möglichst ruhig und gleichmäßig versuchte ich ein und aus zu atmen. Das war gar nicht so einfach, wenn man beinahe kirre wurde, dadurch, dass man nicht sehen konnte, was die anwesende Person tat.

Als er nach meinem rechten Handgelenk griff, war es vorüber mit meiner Selbstbeherrschung. Ich öffnete die Augen, setzte mich auf, entzog ich mein Handgelenk und wich nach hinten zurück.

»Hey. Ich bin's nur. Wollte nur schauen, ob bei dir alles in Ordnung ist«, versuchte Jules zu beschwichtigen und hob die Hände.

»Ich möchte einfach meine Ruhe!«, äußerte ich mein Bedürfnis.
»Ich weiß, aber ich möchte doch ungern nach dieser Nachricht alleine lassen!«

Darauf sagte ich nichts. Schaute stattdessen zu meiner Zimmertür, die leicht offen stand.

Wieder dachte ich über Flucht nach.

Nur war es in diesem Moment die einzige Möglichkeit, wie ich sicher für ein bisschen Zeit meine Ruhe hatte.

Bevor Jules noch etwas sagen konnte, verließ ich eilig mein Zimmer. Schritte hinter mir ließen darauf schließen, dass er mir folgte.

Unten im Flur zog ich meine Schuhe an.

»Luke …«, setzte Jules an. Ich jedoch schnappte mir meinen Schlüssel und verließ das Haus noch bevor er ausreden konnte.

Schnellen Schrittes entfernte ich mich vom Haus.

»Wohin? In der Siedlung kann ich nicht bleiben und die typischen Stellen in der Stadt suchen sie sicher zuerst ab«, überlegte ich, wohin ich gehen sollte.

Mir kam eine Idee.
Und ich fragte mich, ob diese wirklich in Erwägung ziehen sollte.

Da das die wohl beste Idee war von all denen, die mir in den Sinn kamen, war, beschloss ich mich auf den Weg dorthin zu machen, bevor ich mir zu viele Gedanken darum machte und doch eine andere Möglichkeit in Erwägung zog.

Zu meinem Glück kam der Bus zeitnahe und ich stieg in diesen ein. Mein Schülerticket hatte ich in meiner Handyhülle dabei, weshalb das kein Problem darstellte.

Während der zehnminütigen Fahrt begann ich meine Entscheidung infrage zu stellen.

Und als ich ausgestiegen bin und vor dem Gelände stand, wurden die Zweifel noch einmal größer.

Ich schüttelte den Kopf und betrat das Gelände.

Meinen Blick hob ich in Richtung Himmel.

»Bist du wirklich tot?
Wir wollten uns doch heute in der Schule wiedersehen …
Wenn du dich bei mir angesteckt hast und deswegen gestorben bist, tut es mir leid! Ich hätte dich wegschicken müssen, damit das nicht passiert.
Vielleicht wärst du jetzt noch am Leben und wir hatten uns heute in der Schule gesehen …«

Wieder begannen die Tränen mir die Wangen runter zu laufen.

Es musste ein komisches Bild abgeben, wie ich dort stand, in den Himmel schaute und weinte.

Bevor ich noch von irgendwem angesprochen wurde, ging ich in den Klinikpark und ließ mich dort auf der Bank nieder, wo ich normalerweise dienstags auf Damien wartete.
Dort war ich zumindest nicht direkt im Sichtfeld der Personen, die aus den Fenstern der Gebäude schauten.

Mit meinen Hoodie Ärmel wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, was nicht viel brachte, da immer wieder welche nach kamen.

Meine Augen hatten irgendeinem Punkt in der Ferne fixiert.

Langsam aber sicher begann ich zu realisieren, dass es kein Traum war und Jules sicher nicht aus Spaß vorbeikam und uns diese Nachricht überbrachte.

Ein anderer Teil in meinem Kopf wollte es immer noch nicht wahrhaben.

Denn tot ist weg.
Der Tod ist nicht umkehrbar.
Wenn Marius also wirklich gestorben war, hatte ich keine Chance ihn wieder zu sehen.
Nie wieder.
Mein bester Freund, auch wenn wir uns nicht lange gekannt haben, war fort.
Die paar Wochen hatten uns zusammengeschweißt, als hätten wir uns Jahre gekannt.
Und nun sollte es vorbei sein?

Eine seltsame Leere breitete sich in mir aus. So als würde das Loch in meinem Herzen, was Marius hinterlassen hatte, besitzt von meiner Gefühlswelt ergreifen.

Kraftlos ließ ich mich in eine liegende Position gleiten und lag quer über der Bank. Da es auf der Seite zu unbequem war und die Holzbretter unangenehm drückten, drehte ich mich auf den Rücken und schaute den Wolken vergangenen Himmel an.

Noch immer flossen die Tränen.
Mein Körper hatte angefangen zu zittern.
Durch das Schluchzen wurde der Hustenreiz immer Mal wieder schlimmer, was ab und an einen kleineren Hustenanfall verursachte.

Nach einer Weile stoppten die Tränen.
Das Zittern blieb und mir fielen vor Erschöpfung die Augen zu.

Keine Ahnung, wie lange ich dort lag. Es war mir ehrlich gesagt auch egal.
Die Menschen um mich herum waren mir egal, die Kälte, die mich zum Zittern brachte, war mir egal.

»Hallo? Alles okay bei dir?«

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt