- Kapitel 102 -

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Lukes Sicht

Erschrocken darüber, dass mich jemand angesprochen hatte, öffnete ich die Augen und setzte mich ruckartig auf.

Vor mir stand eine Person in weißem Kittel und blauer Krankenhausuniform.

Sofort begann mein Herz schneller zu schlagen.

»Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken, nur nachschauen, ob alles in Ordnung ist«, entschuldigte sich der Weißkittel bei mir.

»Bei mir ist alles in Ordnung!«, versicherte ich ihm.
Mein verräterischer Körper meinte daraufhin mir einen nicht unterdrückbaren Hustenanfall zu bescheren.

»Wenn du erkältet bist solltest du nicht hier im Park auf einer Bank rumliegen«

Innerlich verdrehte ich die Augen.
Dass ich für die Temperaturen nicht ausreichend angezogen war, war mir klar.

»Wieso bist du überhaupt hier?«, fragte er nach dem Grund meiner Anwesenheit.
»Ist das wichtig?«, stellte ich die Gegenfrage und behielt ihn genauestens im Auge.
»Na ja. Niemand hält sich einfach so auf einem Klinikgelände auf.«

Was sollte ich darauf sagen?
Ich konnte ihm schlecht sagen, dass ich von Zuhause geflüchtet war und diesen Ort als mein „Versteck“ gewählt hatte.

Da ich ihm keinen Grund nennen konnte, zuckte ich mit den Schultern.

»Wie dem auch sei. Am besten du kommst mit rein und wärmst dich ein wenig auf. Deine Erkältung soll sich ja nicht noch verschlimmern«, meinte er und setzte zum Gehen an.
Er erwarte wohl von mir, dass ich ihm folgte. Das kam für mich jedoch nicht infrage, weshalb ich einfach auf der Bank sitzen blieb.

Dem Weißkittel schien schnell aufzufallen, dass ich keine Anstalten dazu machte mich von der Bank weg zu bewegen. Denn er blieb stehen und drehte sich zu mir um.
»Worauf wartest du?«, kam daraufhin die Frage.
Darauf sagte ich nichts. Schaute einfach auf den Boden. Wartete darauf, dass er die Biege machte und mich in Ruhe ließ.
»Du kannst hier schlecht sitzen bleiben.«

»Wie werde ich ihn jetzt los? Er wird sich da wahrscheinlich nicht weg bewegen, bevor ich ihm Folge. Das wird aber nicht passieren.«

Während ich mir eine Lösung überlegte, stand der mir unbekannte Arzt weiter an Ort und stellte und wartete darauf, dass ich mich in seine Richtung bewegte.

Einfach aufzustehen und zu gehen klappte nicht. Er hatte mich im Blick und wäre mir gefolgt.

»Ich konnte auch einfach ihm ein paar Meter folgen und dann heimlich mich davon machen. Die Frage ist nur, wohin?«

Da das die Idee war, die am besten war, stand ich auf und ging auf ihn zu.
Daraufhin setzte auch er sich in Bewegung und wir liefen auf das Hauptgebäude der Klinik zu.

Sobald wir aus dem Klinikpark raus waren, ließ ich mich zurückfallen und hoffte, dass er nicht nach hinten schaute.

Um aus seinem Blickfeld zu verschwinden, falls er sich doch nach mir umschauen sollte, zog ich mich in Richtung Wache zurück und ging hinter das Gebäude, wo der Hinterausgang und der Mitarbeiterplatz sind.

Dort ließ ich mich auf der kleinen Stufe nieder und schaute ein Auto an. Nicht weil es spannend war ein Auto anzuglotzen, sondern weil meine Augen irgendwas brauchten, was sie fixieren konnten, während ich wieder einmal in meine Gedankenwelt abgedriftet war.

Das Zittern meines Körpers nahm von Minute zu Minute zu. Es wurde sogar so stark, dass meine Zähne begannen zu klappern.
Außerdem schmerzten meine Hände vor Kälte. Und das, obwohl ich meine Ärmel bereits möglichst weit runtergezogen hatte.

»Das hab ich wohl davon, wenn ich Mal wieder unüberlegt flüchte«

Ich begann meine Entscheidung zu bereuen.
Nur war das meine einzige Möglichkeit, dass ich zumindest für kurze Zeit wirklich mal Ruhe hatte vor Erwachsenen, die sich Sorgen machten.
Den einen Arzt von vorhin ließ ich außen vor.

Zwar wollte Jules mir nichts Böses mit seinem Nachfragen, ob alles okay ist, aber irgendwie hatte mich die Frage in dem Augenblick einfach aufgeregt.
Es war einfach zu viel.

Die Nachricht von Marius tot.
Die Schuldgefühle, weil ich wahrscheinlich eine Mitschuld daran Trage.
Die Tatsache, dass Jules in Dienstkleidung bei uns Zuhause aufgetaucht war.

Das war eine Kombination, die meine Nerven sowieso schon enorm strapazierte.
Da brauchte ich nicht auch noch eine Person, die mich volllaberte. Für meinen Kopf war das einfach zu viel geworden.
System overload.
Ich musste einfach raus um mich sortieren zu können.

Dass ich dafür in der Kälte sitzen musste, war eine Konsequenz, mit der ich leben musste.

Um so wenig Körperwärme wie möglich zu verlieren, zog dich die Knie an und legte meine Arme drumherum.
Den Rücken lehnte ich an die Tür hinter mir und meinen Kopf legte ich seitlich auf meine Knie.

Plötzlich öffnete sich die Tür hinter mir, was zufolge hatte, dass ich meine Stütze, im Rücken verlor, und nach hinten kippte. Dabei hatte ich erschrocken Luft eingeatmet, wodurch ich husten musste.

»Was machst du denn hier?«, fragte mich die Person, die die Tür geöffnet hatte. Die Stimme kam mir bekannt vor.

Sobald ich mich ausgehustet hatte, schaute ich die Person an, die direkt bei mir stand.

Mir blieb gefühlt das Herz stehen, als ich sah, wer bei mir stand.
Hektisch versuchte ich auf die Beine zu kommen. Maik verhinderte das, indem er mich an den Schultern packte und in einer sitzenden Position auf dem Boden hielt.

»Ne. Du bleibst schön sitzen. Wieso bist du hier? Soweit ich weiß ich heute nicht Samstag«, fragte er mich erneut und hielt mich an Ort und Stelle mit seinem Griff.

Kein Wort verließ meinen Mund. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt nicht in Panik auszubrechen.
Was alles andere als einfach war, wenn mir alle möglichen Horrorszenarien und Gedanken durch den Kopf flogen, wie die Situation ausgehen konnte.
Dadurch war mein Zittern nicht gerade weniger geworden.

»Keine Antwort ist auch eine Antwort.«
Er nahm die Hände von meinen Schultern.
»Komm. Aufstehen. Aber langsam«, forderte er mich auf.

Dem nachkommen konnte ich nicht.
Die Angst verhinderte, dass mein Körper mir gehorchte.
Er war wie eingefroren.

»Maik? Was machst du da?«, ertönte die Stimme einer anderen Person. Eine Stimme, die ich heute bereits gehört hatte.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt