- Kapitel 77 -

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Lukes Sicht

»Marie. Tu mir einen Gefallen und geh wieder in die Küche oder geh nach Akira schauen. Deine Anwesenheit bringt hier gerade nichts. Ich verstehe, dass dich die Sache mit Markus stresst und, dass sich Lukes Situation nicht positiv auf dein Stresslevel auswirkt, aber Vorwürfe haben hier jetzt nichts zu suchen!«, sprach Jules ein Machtwort und schickte Mom weg.

Derweil versuchte ich mich aufzusetzen und aufzustehen, um noch rechtzeitig das Badezimmer zu erreichen. Meine Beine waren jedoch Wackelpudding und hielten nicht viel von der Idee mein Gewicht halten zu müssen.

»Luke? Was ist los?«, bemerkte mein Onkel meine hektischen Versuche aufzustehen.
Ich hielt mir eine Hand vor den Mund, in der Hoffnung, dass er verstand, was ich ihm damit sagen wollte.
»Musst du …?«, setzte er zur Frage an und ich nickte hastig bevor er überhaupt aussprechen konnte.
Darauf verlor er nicht viel Zeit, nahm mich hoch und brachte mich zum Gäste WC, was näher war als unser anderes Bad.

Dort setzte er mich vor dem Klo ab, wo ich unfreiwillig das Mittagessen wieder loswurde.
Mein Kopf explodierte gefühlt und ich wünschte mir in diesem Moment nichts mehr, als, dass auch meine Sinne einfach abschalteten und dieser Schmerz verschwand.

Jules blieb die ganze Zeit bei mir und strich mir über den Rücken.

Sobald mein Magen sich dazu entschieden hat, dass er fertig war mit seiner Entleerungsaktion, ließ ich meine Körperspannung fallen. Jules bemerkte das und nahm mich wieder hoch.

»Fertig?«, vergewisserte er sich, worauf ich leicht nickte.

Wir gingen zurück ins Wohnzimmer, wo er mich zurück aufs Sofa legte.
»Brauchst du was zu trinken?«.
Auf diese Frage schüttelte ich leicht den Kopf. Nicht, weil ich keinen Durst hatte oder den ekligen Geschmack im Mund ausspülen wollte, sondern weil ich die Befürchtung hatte, dass es nicht lange im Magen bleiben würde.

»Ungern möchte ich dir das Gefühl geben, dass ich dich zu etwas zwingen würde, aber möchtest du wirklich nichts gegen die Kopfschmerzen? Ich weiß, dass es dir schwerfällt diesbezüglich über deinen Schatten zu springen, doch was für einen Grund sollte ich haben, dir was anzutun mit den Mitteln, die ich habe als Arzt?«, wollte er von mir wissen.

Was für einen Grund?
Keine Ahnung.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Weißt du, ich würde meiner Familie doch nie was antun. Und zu meiner Familie zählt nicht nur meine Freundin Lauren. Auch ihr gehört dazu. Niemals könnte ich es übers Herz bringen euch zu schaden.«

Am liebsten hätte ich die Augen geöffnet und versucht anhand seiner Mimik zu erkennen, ob er diese Aussage wirklich ernst meinte.
Leider tolerierte mein Kopf kein Licht, weshalb ich darauf vertrauen musste, dass er die Wahrheit sagte.
Mir fiel spontan auch kein Grund ein, wieso er lügen sollte.

Deshalb nickte ich einmal, als Zeichen für ihn, dass ich seine Aussage wahrgenommen habe.

»Vertraust du mir? Wenn auch nur dieses eine Mal?«

Gute Frage. Schaffte ich das?
War ich in diesem Zustand dazu in der Lage mich ausreichend zusammenzureißen, um ihm zu vertrauen?
Schaffte ich das auch ohne Akira an meiner Seite? Ohne ihre Sicherheit?

In meinem Kopf gingen wieder tausend Sachen vor sich, was nicht gerade vorteilhaft war.

Letztendlich nickte ich einfach.

Wenn ich meinem Onkel vertrauen musste, damit ich diese mörderischen Kopfschmerzen loswurde, dann soll es so sein.
Hauptsache es hörte auf!

»Okay. Ich muss nur kurz die Sachen holen. Bleib einfach hier liegen, ich brauche nicht lange«, meinte Jules, stand auf und verließ das Wohnzimmer.

In meinem Kopf arbeiteten die Angstgedanken gegen mich.
Versuchten mit allen Mitteln, die sie hatten mich dazu zu bringen meine Meinung zu ändern.

»Sei doch einfach still …«

Während ich innerlich in einen Kampf mit meiner Angst verwickelt war, kam Jules wieder zurück und setzte sich wieder zu mir.

»An welche Hand darf ich?«, ließ er mir die Wahl.

»Gar keine!«, ertönte es in meinen Gedanken.
Darauf hören tat ich nicht und gab Jules meine linke Hand.

»Soll ich dir erklären, was ich mache, oder einfach machen?«, überließ er mir auch diese Entscheidung.
»Nur den Stich«, meinte ich.
»Okay. Mache ich«, nahm Jules das zur Kenntnis.

Dann tastete er auf meinem Handrücken der linken Hand nach einer passenden Vene, zog sich Handschuhe an, desinfizierte die Stelle zwei Mal, wonach eine kurze Zeit nichts passierte.

»Jetzt pickst es kurz«, kam meine gewünschte Vorwarnung und ich spannte mich an. Erwartete den kurzen Schmerz.
Der kam auch, war aber weniger schlimm als meine Kopfschmerzen.

»Und geschafft«, teilte Jules mir mit, dass das Schlimmste überstanden war. Ein Teil meiner Anspannung fiel von mir ab.

»Ich hänge dir jetzt die Infusion mit dem Schmerzmittel an. Dann versuchst du ein wenig zu schlafen, okay?«. Ich spürte, wie er an dem Zugang rumhantierte und ich nickte.

Bereits nach den ersten Minuten bemerkte ich, dass die Schmerzen langsam besser wurden. Erst dann bemerkte ich, wie sehr ich unter diesen Schmerzen gelitten hatte und ich hatte ein schlechtes Gewissen mir gegenüber, dass ich nicht vorher auf das Angebot mit dem Schmerzmittel eingegangen war.

»Wie geht’s ihm?«, hörte ich Mom fragen.
»Er hat Schmerzmittel bekommen. Laut Gesichtsausdruck hat das auch bereits angeschlagen. Hab ihm gesagt, dass er versuchen soll eine Runde zu schlafen«, klärte der Notarzt Mom auf.
»Hat er sich doch fürs Schmerzmittel entschieden?«
»Ja«
Moms Seufzen war zu hören und die leichte Bewegung des Sofas ließen darauf schließen, dass sie sich zu uns aufs Sofa gesetzt hatte.
»Ich hoffe, er nimmt mir nicht böse, was ich gesagt habe. War einfach ein bisschen viel gerade …«
Es hörte sich wirklich so an, als tat es ihr Leid. Änderte aber nichts an der Tatsache, dass es mich verletzt hatte.
»Ich verstehe, dass das jetzt nicht einfach ist. Insbesondere nachdem, was die letzten Wochen bereits passiert ist. Lass dir gesagt sein, dass du das nicht alleine durchstehen musst. Wenn du Hilfe brauchst, bin ich für dich da. Brauchst du mal einen Tag für dich, bin ich eben die Ansprechperson für Luke und Akira an diesem Tag. Vielleicht würde das den beiden auch helfen wieder mehr Vertrauen in mich zu fassen«, bot Jules ihr seine Hilfe an.

»Ist das nicht ein bisschen viel verlangt neben deiner Arbeit und deinem eigenen Leben?«, sprach Mom ihre Zweifel aus.
»Ich hab dir das Angebot gemacht, also passt das schon«, meinte unser Onkel darauf.
Darauf war nur ein »hm« von Mom zu hören.
»Überleg es dir.«

Von Mom kam darauf nichts. Zumindest hörte ich nichts.

»Wie sich wohl entscheidet?
Was, wenn sie ja sagt?
Zwar macht Jules Anwesenheit mir mittlerweile weniger aus, aber zu viel um mich herum haben, muss ich ihn nicht unbedingt. Und wenn es so kommt, würde es was an dem Vertrauensverhältnis zwischen uns ändern?«

Das ganze Denken machte mich noch müder.
Da die Schmerzen beinahe weg waren, war mein Körper wieder damit einverstanden, dass er mich schlafen ließ. Innerhalb von wenigen Minuten war ich eingeschlafen.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt