- Kapitel 121 -

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Triggerwarnung: Beerdigung

Lukes Sicht

»Luke? Bist du so weit? Wir müssen jeden Moment los!«, ertönte Moms Stimme von unten. Dad versuchte gerade noch mit das Hemd so in die Hose zu stopfen, dass ich nicht wie ein Gespenst aussah.
»Komme sofort!«, rief ich zurück.
»So sollte das passen.« Dad bestaunten noch einmal sein Werk, bevor er mich nach unten jagte.
Zu spät kommen wollte ich nicht. Deshalb beeilte ich mich und ging nach unten, wo ich mir Schuhe anzog.

Akira stand bereits in den Startlöchern. Am Tag zuvor hatte ich Damien noch schnell gefragt, ob Akira mitkommen könnte. Schließlich war sie auch mit Marius befreundet gewesen. Nicht so eng wie ich, trotzdem.

Fertig mit Schuhe anziehen, schnappte ich mir meine Jacke, warf Akira ihre zu und wir verließen das Haus. Mom folgte uns zum Auto.
Wie immer nahmen wir Zwillingsgeschwister die Rückbank in Beschlag und Mom fuhr.

Die Fahrt bis zur Kirche dauerte nicht lange und trotzdem musste ich mir immer wieder die schweißnässen Hände an meiner Hose abwischen.

»Wie reagiert Chris auf mich? Wenn Rettungsdienstler da sind, kann ich mich zusammenreißen?«

Schneller als mir lieb war, brachte Mom das Auto auf dem Parkplatz zum Stehen. Vor der Kirche warteten bereits ein paar Leute.

Wir stiegen aus und würden zum Abschied noch mal von Mom umarmt.

»Ich übernehme die beiden ab hier«, kam es plötzlich von hinter uns von einer Stimme, die mir sehr bekannt vorkam. Verwirrt drehte ich mich um und entdeckte einen in Jeanshose und Hemd gekleideten Damien.

»Was macht er denn hier?«

Ich hatte nicht damit gerechnet ihn an diesem Tag zu sehen. Unser Termin war ja abgesagt.
Akiras verwundetem Gesichtsausdruck nach, hatte sie ebenso wenig mit seiner Anwesenheit gerechnet.

»Danke, dass sie sich um die beiden kümmern«, bedankte Mom sich bei dem Psychiater.
»Kein Problem. Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Ich passe auf die beiden auf und die können guten Gewissens auf die Arbeit fahren«, meinte Damien darauf.
Mom nickte, wir verabschiedeten uns von ihr, wonach sie wieder ins Auto stieg und sich auf den Weg zur Wache machte.

»Und wir gesellen uns zu dem Rest«, kam es von Damien, der vor zu dem Rest der Beerdigungsgemeinschaft lief, die bereits vor der Kirche standen und warteten.
Akira und ich liefen ihm nach.

In meinem Magen hatte sich ein flaues Gefühl ausgebreitet und mein Herz schlug unangenehm schnell.
Um meine Nerven zu beruhigen, versuchte ich mich auf Damiens ruhige Ausstrahlung zu konzentrieren.
Währenddessen schaute ich, ob ich bekannte Gesichter Entdecken konnte. Aylin und Chris konnte ich sehen und ein paar Leute von der Wache. Der Rest war mir unbekannt.

Um Punkt zehn Uhr öffneten sich die Türen der Kirche und ein Pastor trat hervor. Er lief zielstrebig auf Aylin und Chris zu und schien etwas mit den beiden zu bereden.
Lange dauerte es nicht, bis sie fertig waren und wir gebeten wurden nach drinnen zu gehen.

Kaum hatten wir die Türschwelle übertreten, durchzog ein Kälteschauer meinen Körper und ließ mich erschaudern.
Akira hatte meine linke Hand geschnappt und Damien lief dieses Mal hinter uns her.

So überrascht ich von seiner Anwesenheit war, in dem Moment war ich wirklich froh, das er an unserer Seite war. Sonst hätte ich mich ziemlich verloren gefühlt.
Er leitete uns in eine Sitzreihe, wo wir uns ganz außen positionierten.
Auch der Rest der Gemeinschaft hatte ihre Plätze eingenommen.

Von meinem Platz aus schaute ich, wie es vorne aussah und war erstaunt.
Vorne auf der linken Seite stand der Sarg auf einer Erhöhung. Darauf hatte ein Bild von Marius seinen Platz gefunden, wo neben wohl eines seiner Kuscheltiere stand. Drumherum wurde das ganze Bild mit Blumen ausgeschmückt, damit es nicht zu trostlos aussah.

Kaum hatte ich mir den vorderen Bereich zu Ende angeschaut, begann der Pastor mit seiner Rede.
Nach ihm folgte Chris. Seine Stimme wackelte und man merkte ihm an, dass er mit den Tränen zu kämpfen hatte.
Nach Chris Rede kam Aylin nach vorne, die ebenfalls noch ein paar Worte zu sagen hatte:

»Liebe Familie, Freunde und Kollegen,

Auch von mir nochmal ein danke, dass ihr heute hergefunden habt, um Abschied von einem Jungen zu nehmen, der wohl bei uns allen ein Platz in unserem Herzen erlangt hat.

Egal ob als Sohn, Neffe, Freund oder einfach nur als Marius. Für jeden hier war er was Besonderes.

Trotz seiner nicht gerade einfachen Krankheitsgeschichte hatte er fast immer ein Lächeln auf den Lippen und hat uns gezeigt, dass man auch mit einem so schweren Schicksal das Leben noch genießen kann.

Dank ihm hab ich auf mein Herz gehört und mich dazu entschieden erst Medizin zu studieren und im Anschluss die Fachweiterbildung zur Kinderärztin zu machen, um Kindern wie ihm helfen zu können.
Leider wird er nicht mehr miterleben können, wie ich meine Ausbildung beende, aber ich werde immer an ihn denken und daran glauben, dass er von dort oben sieht, was ich dank seiner Hilfe geschafft habe.

Sicher wird es nicht nur mit so gehen. Ein paar von euch haben mit Sicherheit auch das ein oder andere mit Marius erlebt. Lass uns diese Erinnerungen wahren, damit er in unseren Herzen weiterleben kann.

Danke fürs Zuhören«

Inzwischen war der Wasserstand in meinen Augen bedrohlich angestiegen und drohte über die Ufer zu treten. Akira hielt weiterhin eine Hand von mir und schien sie nicht wieder loslassen zu wollen.

Nachdem Aylin sich wieder auf ihren Platz gesetzt hatte, wurde ein Lied gespielt. Vermutlich Marius Lieblingslied.
Währenddessen sagte niemand ein Wort. Bis auf das Lied herrschte Stille.
Meine Dämme waren bereits zu Beginn des Liedes gebrochen. Mit meinem Handrücken versuchte ich die Tränen wegzuwischen leider ohne Erfolg.

Das Lied kam zum Ende und der Pastor gab uns Zeit nach vorne zu kommen, damit jeder einzelne noch einmal die Chance hatte ein paar Worte zu Marius zu sagen.

Damien hatte uns dazu ermutigt ebenfalls nach vorne zu gehen.
Da Akira mich nicht loslassen wollte, was ich ebenso wenig wollte, gingen wir zusammen zu deinem Sarg, sobald wir dran waren.

Unsicher schaute ich zu meiner besseren Hälfte rüber. Ihre Augen waren gerötet und man konnte die Spuren der Tränen Sehen.

Innerlichen schüttelte ich den Kopf. Lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf den Sarg vor mir.

»Hey. Ich weiß gar nicht so wirklich, was ich dir sagen soll. Vieles bin ich schon in den beiden Briefen, die ich an dich geschrieben habe losgeworden. Trotzdem möchte ich dir Chance hier nutzen noch ein letztes Mal mit dir zu reden. Es ist wirklich seltsam ohne dich in der Schule. Du fehlst in den Pausen. Die Gespräche über das, was du auf der Wache alles schon erlebt hast und sowas.
Ich hab die letzten beiden Wochen viel darüber nachgedacht, ob man deinen Tod hätte verhindern können. Wäre es anders ausgegangen, wenn ich dich weggeschickt hätte, als du zu mir gekommen warst, als ich krank im Behandlungsraum der Wache saß? Leider werden wir es nie herausfinden können. Hoffentlich bist du mir nicht böse.«

Wieder liefen mir die Tränen unaufhaltsam die Wangen runter. Akira drückte meine Hand. Leistete mir stillen Bestand, bevor auch sie ein paar Worte an Marius richtete. Nachdem wir unsere letzten Worte an Marius gerichtet hatten, kehrten wir zu Damien zurück. Er zeigte auf eine der Sitzbänke. Eine wortlose Aufforderung uns hinzusetzen.
Weil ich nicht diskutieren wollte, setzte ich mich hin und Akira tat es mir gleich.
Warteten darauf, dass jeder seine letzten Worte losgeworden war.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt