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Ich versuchte es zu gut ich konnte, nicht im Wagen zu weinen. Nicht vor Violetta. Sie hat mich nie weinen gesehen, vielleicht gehört wenn ich über Diego nachgedacht habe, aber nie gesehen. Sie meinte mal zu mir, dass sie mich als Vorbild sieht. Mich, als eine starke, tapfere, junge Frau, die ihr Leben ganz einfach mit ihrer Tochter genießt. Weit weg von Problemen. Doch so einfach ist das Leben nicht.
Violetta summte auf dem Rücksitz zu dem Lied im Radio mit. Als wir an einer rotem Ampel hielten schaute ich vom Rückspiegel zu ihr und musste lächeln. Mit Tränen in den Augen lächelte ich meine kranke Tochter an, die einen Hirntumor hat. Das ist so krank! Warum sie? Warum jetzt? So viele Fragen und keine Antwort. Doch es gibt noch ein weiteres Problem. Wie soll ich 50.000 Pesos auftreiben?! Ich hab kaum noch Geld für mich und Violetta. Ich hab nichts! Ich hab kein Job oder keine Krankenversicherung in Buenos Aires. Ich bin am Ende!

Es ist zwar erst 18 Uhr, doch ich bestand drauf das sich Violetta ins Bett legte. Sie verstand meine Sorge und wehrte sich nicht. Ich sage ihr es mit dem Tumor noch nicht. Ich will sie nicht verunsichern, sie ist noch zu jung. Ich war im kleinen Wohnzimmer und wählte zitternd die Nummer meiner Mutter. Wir haben uns Jahre, seit Ilarias Hochzeit, nicht mehr gesehen oder gesprochen. Alles was ich mitbekommen hab ist, dass sie reich ist. Das ist etwas komisch wenn man bedenkt, dass wir eine arme Familie waren und uns sogar um ein Stück Brot gestritten haben. Und nun ist mein Vater Ingenieur geworden und hat meiner Mutter und ihm ein reiches Leben beschert. Es klingelte und nach dem zweiten Klingeln nahm sie ab.
"Hallo?", fragte sie.
"Mamá, hallo, hier ist Francesca."
"Was für eine Überraschung."
Ihre Stimme klang garnicht überrascht sondern eher arrogant.
"Ich wollte dich fragen wie es dir geht und-"
"Spar dir das, Francesca! Du rufst mich heute nach gefühlten 10 Jahren an, um zu fragen wie es mir geht? Ich bitte dich."
Ich schluckte und vergewisserte mich ob Violetta im Bett liegt und nicht bei mir im Wohnzimmer steht.
"Ich weiß, Mamá, und es tut mir leid."
"Pah, von wegen es tut dir leid. Jetzt sag schon warum dir auf einmal eingefallen ist, dass du eine Mutter hast."
Ich schloss wütend meine Augen und ballte meine Hand zur Faust.
"Ich brauche 50.000 Pesos.", gab ich zu ohne eine Pause zu setzen. Ich hörte nichts am anderen Ende.
"Mamá?"
"Wieso brauchst du so viel Geld?!"
"Wegen Violetta."
"Wer ist Violetta?"
"Meine Tochter."
"Du hast eine Tochter?!", schrie sie. "Jetzt sag mir nicht das du ohne deine Eltern geheiratet hast!"
"Nein, ich bin weder verheiratet noch hab ich einen Freund."
"Was? Kind, du verwirrst mich."
Sie seufzte.
"Mamá der Punkt ist, dass ich das Geld für Violettas Operation brauche! Ich hab nicht so viel und mein Job hab ich auch verloren. Bitte, Mamá. Violetta hat ein -"
"Es reicht, Francesca.", unterbrach sie mich ruhig. "Also zuerst einmal, schämst du dich denn nicht? Du rufst mich seit Jahren an und nur weil du Geld brauchst?"
"Ich weiß, es tut mir leid, aber es ist dringend. Es geht um meine Tochter! Mamá bitte, versteh das doch."
Ich klang so verzweifelt wie noch nie.

"Francesca ich bin nicht grad in der Verfassung dir irgendwas zu geben. Ich bin selber mit der Beerdigung deines ... Vaters beschäftigt."
"Papá ist tot?", flüsterte ich. Ich hatte das Gefühl das sich das ganze Zimmer dreht. Wieso sterben denn jetzt alle? Was ist bloß mit dieser Woche los?
"Letztes Jahr. Und weder du noch deine Schwester war bei uns!"
"Es gibt vielleicht ein Grund warum wir Papá aus dem Weg gehen? Das weißt du ganz genau."
Jetzt wurde ich sauer. Sie weiß von der Vergangenheit zwischen mein Vater und mir.
"Fang nicht damit an, junge Dame! Dein Vater war ein guter Mensch und du ein naives Kind, was keine Ahnung von Respekt hat."
"Es hatte kein Sinn dich um Hilfe zu bitten. Der ganze Reichtum und das Geld sind dir zu Kopf gestiegen, dass du nicht mal Menschen hilfst, die arm sind genauso wie du am Anfang. Schämen solltest du dich, Mutter."
Ich lag sofort auf und legte mein Handy weg. Ich weiß das mein Verhalten gegenüber meiner Mutter nicht in Ordnung war aber sie ist auch nicht grad ein Engel. Ich wusste das es dumm war diese Frau um Geld an zu betteln. Sie kann kein anderen helfen außer sich selbst, das war schon immer so. Und wenn ich ehrlich sein darf, auch wenn das hart klingen mag, ich bin nicht traurig das mein Vater gestorben ist. Nicht mal ein wenig. Ich fühle nichts. Er war für mich als Vater sowieso schon gestorben, als er mich in das Bett zerrte.

Mein Chef, seine Frau & ich ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt