Kapitel 1

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Ich stand im Lieblingsblumenbeet meiner Mutter zwischen Hortensien und Schnittlauch und starrte hoch zum angekippten Fenster meiner großen Schwester Petunia. Vermutlich nicht mein glorreichster Moment, aber man tat nun mal, was getan werden musste. In diesem Fall fühlte ich mich dazu verpflichtet, Petunia hinterher zu spionieren.
Genauer gesagt ihr und ihrem festen Freund Vernon Dursley.
Falls man diesen Wackelpudding von einem Freund überhaupt in die Kategorie Mensch stecken konnte (Gut, das war nicht sonderlich nett. Aber er war ja auch nicht sonderlich nett zu mir).

„Das hat doch nichts mit dir zutun, Vernon!", regte Petunia sich gerade auf. „Ich möchte dich ja auch so schnell wie möglich heiraten" - Moment. Heiraten? Die beiden waren doch noch nicht einmal verlobt. Und meine Schwester war gerade mal zwanzig Jahre alt, handelte sie nicht etwas überstürzt? Immerhin bestand eine große Chance für sie, noch etwas Besseres als diesen wandelnden Wackelpudding zu finden - „aber ich möchte einfach warten, bis Lily in ihrer ... freakigen Schule ist!"
Wie bitte?! Was hatte das denn mit mir zu tun?
Mit gerunzelter Stirn beugte ich mich noch näher an das Fenster. Vernon grummelte etwas, das ich nicht verstehen konnte (Vermutlich hielten seine vielen Doppelkinne die Schallwellen davon ab, bis an mein Ohr zu dringen), woraufhin Petunia seufzte.

„Natürlich liebe ich dich, Vernon" - plötzlicher Brechreiz meinerseits - „und gerade deswegen möchte ich ja, dass Lily nichts von unserer Hochzeit erfährt. Nichts und niemand soll unsere Eheschließung zerstören."
Ich schnappte nach Luft. Hieß das etwa...?
Vernons nun verständliche Antwort bestätigte meine Vermutung.
„Stimmt, deine seltsame Schwester und ihr ... Pack würden bestimmt irgendeine Abnormalität abziehen", schnaubte er erregt. Ich konnte förmlich sehen, wie sein Schnurrbart erbebte.

„Und ich kann es mir nun wirklich nicht leisten, vor meinen Kollegen als ... als... Verrückter dargestellt zu werden! Nein, mit deiner Schwester möchte ich absolut nicht in Verbindung gebracht werden!"
Ich schluckte schwer. Hatte ich das richtig verstanden? Meine eigene Schwester wollte mich von ihrer Hochzeit ausschließen, weil ihr zukünftiger Ehemann die Vorstellung nicht ertrug, vor seinen Bohrmaschinenfreunden als Schwager einer Hexe dazustehen?
Nur mit Mühe konnte ich die Tränen unterdrücken. Doch es kam noch schlimmer. Denn nun ergriff Tunia das Wort.

„Genau. Lily soll bei ihresgleichen bleiben, sie muss nichts davon mitbekommen, und wenn sie wiederkommt und ihren ach so tollen Schulabschluss gemacht hat, auf den Mum und Dad ach so stolz sein werden, wird sie feststellen, dass ich bis über alle Berge verschwunden bin. Vielleicht merkt sie dann endlich, was für eine schreckliche Person sie ist!", ereiferte sie sich.

Knirsch! Ein ganzer Strauch undefinierbarer Blumen brach ab, als ich rückwärts auf meinen Hintern plumpste.
Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Ich war immer noch ihre einzige Schwester! Ich wusste ja, wie sehr sie die magische Welt, in die ich gehörte, verabscheute, aber dass sie so weit ging ... und mich absichtlich von ihrer Hochzeit ausschloss...
Nur mit Mühe konnte ich ein Schluchzen unterdrücken.

„Was war das?", grunzte der Wackelpudding von drinnen.
Schnell wollte ich aus dem Blumenbeet krabbeln, doch es war zu spät. Petunias langer Hals streckte sich bereits über das Fensterbrett.
Für einen Moment starrten wir uns nur an, ich mit einem Hintern voller Erde, sie mit vor Schreck geweiteten Augen.
Konnte ich da etwa so etwas wie Schuldgefühle entdecken? Nein, sie verengte sofort die Augen zu Schlitzen und funkelte mich böse an.

„Was machst du da? Hast du uns etwa hinterher spioniert?!", kreischte sie mit ihrer schrillen Stimme los.
„Was kümmert es dich", fauchte ich zurück, da ich es unmöglich abstreiten konnte.
„Was es mich kümmert?! Hör endlich auf, deine Nase in meine Angelegenheiten zu stecken!", schrie Petunia.
„Das kann dir doch egal sein, wenn du erstmal mit deinem Haufen Speck von einem Freund durchgebrannt bist!", rief ich zurück. „Oder sollte ich besser Verlobter sagen? Ich kann es nicht glauben, dass du das vor mir geheim gehalten hast!"
„Du interessierst dich doch sowieso nicht für sie", mischte sich jetzt Mr Speck höchstpersönlich ein.
Ich wurde, wenn überhaut möglich, noch wütender.

„Ich interessiere mich nicht für sie?! Ich?! Wer war es denn dann, der seiner Schwester die ganze Schulzeit über Briefe geschrieben hat, um die Beziehung zu ihr aufrecht zu erhalten, wer hat beim Schuldirektor angefragt, ob sie nicht doch mit auf ihre Schule gehen kann, wer hat ihr jedes Jahr haufenweise Geschenke mitgebracht? Petunia ganz sicher nicht, das kann ich dir sagen!", zischte ich, mein Gesicht hochrot.
„Du wolltest mich doch nur neidisch machen, indem du mir dein wunderbares, einzigartiges Leben mit jedem Detail vorgehalten hast!", warf Petunia mir vor.
Erzürnt warf ich den Kopf in den Nacken.
„Ich wollte dich teilhaben lassen! Weil ich das Gefühl hatte, dass du einfach nur in meine Welt gehören wolltest", erwiderte ich, und wurde gegen Ende hin immer leiser. In diesen Worten lag mehr Bedauern, als sie vielleicht ahnte.

Vernon warf seiner Freundin einen verwirrten Blick zu. „Du wolltest zu diesen ... diesen... Aliens gehören?", fragte er, sichtlich angeekelt.
Kurz flimmerte Angst über Tunias Gesicht, doch gleich darauf hatte sie sich wieder voll im Griff.
„Natürlich nicht!", wehrte sie ab, wobei sich hektische rote Flecken auf ihrem Hals bildeten. „Und als ob es dich kümmern würde, wie ich mich fühle!", setzte sie noch hinzu.
Nun füllten meine Augen sich doch mit Tränen.

„Und ob es mich kümmert. Ich wollte doch nur, dass wir wieder Schwestern sein können, so wie früher", sagte ich, gefährlich leise. „Ich hätte mir denken können, dass du mich nicht zu deiner Brautjungfer machen würdest, wie wir es uns früher immer vorgestellt haben. Dafür ist es dir viel zu wichtig, was deine tollen neuen Freunde von dir denken."
Die Bitterkeit meiner Worte verschlug den beiden offensichtlich die Sprache.
Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging, so stolz wie man aus einem Blumenbeet gehen kann.
Dabei liefen mir die Tränen übers Gesicht.

Die Wunde zwischen Petunia und mir hatte schon lange bestanden, genauer gesagt, seit ich meinen Brief für Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei, erhalten hatte.
Aber heute war sie komplett aufgerissen.
Ich fragte mich, wie ich nur all die Jahre hatte glauben können, es gäbe wieder eine Zukunft für uns. Warum hatte ich mir überhaupt so viel Mühe gegeben?
„Ich muss total gutgläubig gewesen sein", dachte ich grimmig, während ich aus dem Fenster starrte. Die Häuser zogen schnell an mir vorbei, mit jeder Sekunde entfernte ich mich mehr von meinem Elternhaus.
Gleich nach dem Streit mit Petunia war ich in mein Zimmer gestürmt, hatte meine Sachen in den riesigen Hogwarts- Koffer geworfen und war ohne ein Wort des Abschieds gegangen.
Es waren zwar noch zwei Wochen bis zu meinem letzten Schuljahr in Hogwarts, aber was genug war, war genug.
Meine Schwester hatte es letztendlich doch noch geschafft, mich von meinem Zuhause zu vertreiben.

Wehmütig dachte ich an meine Eltern, die mein leeres Zimmer vorfinden würden, wenn sie nach Hause kamen. Ich hatte ihnen lediglich einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem ich Tunias und meinen Streit allerdings mit keiner Silbe erwähnte.
Meine Eltern würden denken, ich hätte mich mit dem Datum des Schulanfangs vertan und musste früher abreisen.

Sie konnten nicht wissen, dass ich jetzt in einem Bus für Zauberer saß, auf dem Weg zur Winkelgasse.
Der fahrende Ritter bog scharf in die nächste Kurve, sodass ich gegen die kühle Fensterscheibe knallte und aus meinen düsteren Gedanken gerüttelt wurde.
Nur noch ein paar Stationen, und der Tropfende Kessel würde in Sicht kommen.
Ich wusste nicht genau, wo ich den Rest meiner Ferien verbringen sollte. Meine wenigen Freundinnen waren alle verreist, und ich war zu schüchtern, meinen Kumpel Remus um Hilfe zu bitten.

Erstmal wollte ich einfach nur in meine Welt. Die Welt der Hexen und Zauberer, in die ich gehörte. Ich war sogar eine sehr gute Hexe, wie ich mit Stolz behaupten konnte.
Auch in dieser Welt wurde ich nicht vorbehaltlos akzeptiert, da ich muggelstämmig war, aber davon ließ ich mich nicht unterkriegen. Den Reinblütern konnte ich es heimzahlen, allein schon, indem ich Jahrgangsbeste war.

Petunia dagegen ... Stopp. Ich würde keinen Gedanken mehr an diese miese, grausame Person verschwenden. Ich musste meine Schwester endlich loslassen.
Und ihr den Rücken zuzukehren, war schonmal ein guter Anfang.
Tatsächlich fühlte ich mich plötzlich stark und unabhängig, als ich wenig später im englischen Nieselregen mit Koffer und Zauberstab in der Hand vor dem Eingang des Tropfenden Kessels stand.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt