Kapitel 60

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Am späten Abend zog ich allein zu einer Patrouille durch das Schloss los.
James war noch beim Quidditchtraining, sonst hätte er vermutlich ewig versucht, mich zu überreden, ihn mitkommen zu lassen.
Ich wusste, dass es ihm nicht behagte, mich auf mich selbst gestellt zurückzulassen, und irgendein kleiner Teil in mir jubelte bei dem Gedanken, dass er sich Sorgen um mich machte, laut auf.
Doch genau dieser Teil machte mir Angst, und so war ich froh, einer Diskussion mit Herr- ich- bin- ja- so- toll- Schulsprecher aus dem Weg zu gehen.
Ich hatte daran gedacht, in James' Zimmer nach der Karte des Rumtreibers zu suchen, hatte die Idee aber wieder verworfen.
Wie sollte ich ihm erklären, dass ich einfach so in seinen Raum gelangt war? Die „Du hast deine Tür offengelassen"- Ausrede nutzte sich allmählich ab.
Also wanderte ich gegen zehn Uhr abends ohne jegliche Hilfsmittel – vom Zauberstab mal abgesehen- durch die düsteren Gänge Hogwarts'.
Es ging auf Dezember zu und die übereifrigen Hauselfen hatten schon jetzt hier und da etwas Weihnachtsschmuck auftauchen lassen. Der Duft nach Zimt und Tannennadeln hing bereits in der Luft und unwillkürlich musste ich an Zuhause denken.
Genauso hatte es bei uns in der Küche immer gerochen, wenn meine Mutter Zimtschnecken gebacken hatte.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und drängte heftig blinzelnd die Tränen zurück.
Ich musste einen klaren Kopf bewahren.
Falls wieder ein paar Slytherins auf die Idee kamen, ihre Aggressionen an einem leichten Ziel auszulassen.
Seufzend verbannte ich alle persönlichen Gedanken aus meinem Kopf und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe.
Eine Weile lang passierte gar nichts, das einzige Geräusch weit und breit waren meine eigenen Schritte, die von den Mauern widerhallten und mir eine Gänsehaut bescherten.
So schön Hogwarts tagsüber war, so angsteinflößend war es im Dunkeln.
Kein Wunder, dass ich vor Schreck heftig zusammenzuckte, als ein gespenstisches Kichern die nächtliche Ruhe durchbrach.
Slytherins? Peeves?
Ich rieb mir über die Arme, um die Gänsehaut zu verdrängen. Warum konnte ich das mulmige Gefühl in der Magengegend nicht auch einfach so wegreiben?
Ich zwang mich, stehenzubleiben und auf das Geräusch zu lauschen.
Stimmen, ein gedämpftes Gespräch. Es hörte sich nicht nach Slytherins an, dazu klangen die Personen zu unbeschwert.
Allerdings wusste man nie. Das konnte genauso gut eine Falle sein.
Eine Falle? Warum sollten meine Mitschüler mir eine Falle stellen?
Himmel, Lily, sei nicht so paranoid!, ermahnte ich mich selbst. Sie waren vielleicht Slytherins, aber immer noch Schüler.
Keine Todesser.
Oder etwa doch?
Ich schüttelte meine Handgelenke aus und fasste den Zauberstab fester. Ich hatte mich selbst in diesen Mist hineingeritten, als ich dumm genug gewesen war, darauf zu bestehen, diese Rundgänge in Zukunft allein zu machen.
Also sollte ich mir jetzt auch nicht ins Höschen machen.
Immerhin war das doch die Aufgabe hier, Störenfriede ins Bett zu schicken.
Egal, wer es war.
Tief Luft holend machte ich die letzten Schritte bis zum Ende des Ganges und bog anschließend erhobenen Hauptes um die Ecke.
Meine Zauberstabspitze leuchtete einem Pärchen in meinem Alter direkt ins Gesicht. Das Mädchen kreischte auf und warf sich in die Arme des Jungen, bevor beide in hysterisches Gekicher ausbrachen.
Erleichtert atmete ich auf. Keine Slytherins.
Ich erlangte meine Fassung zurück und setzte meine strenge Schulsprechermiene auf.
„Euch ist klar, dass wir uns schon in einem Zeitraum nach der Sperrstunde befinden?", fragte ich die beiden nüchtern.
Der Junge, er trug die blaue Krawatte eines Ravenclaws, flüsterte dem Mädchen, einer Hufflepuff, etwas ins Ohr, und beide brachen augenblicklich wieder in Gelächter aus.
Das ungute Gefühl, ausgelacht zu werden, ließ mich wütend werden.
Ich musterte das Pärchen ausdruckslos.
Den Jungen kannte ich nur vom Sehen, obwohl er in meiner Jahrgangstufe war. Das Mädchen war wahnsinnig hübsch, mit langen, glatten braunen Haaren und großen blauen Augen grinste sie mich neckisch an.
Irgendwoher kannte ich sie. Ich kniff die Augen zusammen.
Holly. Die Hufflepuff, mit der James letztes Jahr für ein paar Monate gegangen war.
Die beiden waren ein attraktives Paar gewesen und jeder hatte davon geredet, wie gut sie zusammenpassten. Und wie froh man doch sein konnte, dass James endlich von der unscheinbaren Lily Evans weggekommen war.
Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, dieses schöne Mädchen im Kerker der Slytherins einzusperren.
„Sorry", sagte sie von oben herab, „aber ich wüsste nicht, was es dich interessieren sollte, was wir hier machen."
Wenn ich eins hasste, dann war es Überheblichkeit.
Vor allem, weil mein Selbstbewusstsein gerade sowieso einen harten Knacks zu verkraften hatte.
Kein Wunder, dass James seit der sechsten Klasse nicht ein einziges Mal mehr nach einem Date mit mir gefragt hatte. Vermutlich war ihm aufgefallen, dass ich nichts im Vergleich zu Mädchen wie Holly war.
Mein Blick glitt über ihre langen, braun gebrannten Beine, die schönen Kurven, das hübsche Gesicht und das seidige Haar.
Sie war um einiges größer als ich, schlanker, aber dennoch femininer gebaut.
Und soweit ich wusste, hatte sie reines Blut.
So jemand passte zu Jungen wie James Potter.
Solche Mädchen, die schöne Kleider trugen und mit auf irgendwelche Wohltätigkeitsbälle gingen, die sich am Tisch zu benehmen wussten und nicht mit Essen um sich warfen – und es erst recht nicht auskotzten, wenn sie auf einen Besen stiegen.
Solche Mädchen hatten das Recht, mich von oben herab zu behandeln.
Tränen brannten in meinen Augen, ob vor Wut oder Scham, wusste ich nicht.
„Tja", sagte ich gefährlich leise, „zufälligerweise bin ich Schulsprecherin. Und es hat mich zu interessieren, wer hier gegen die Regeln verstößt."
Holly schenkte mir ein süßes Lächeln, wobei sie gerade weiße Zähne entblößte.
So viel Perfektion war einfach nur unfair.
„Schade. James hat es nie gekümmert, dass wir nachts noch ein bisschen spazieren gehen, stimmt's, Loui?" Sie zwinkerte ihrem Begleiter zu.
Er konnte seine Augen nicht von ihr nehmen, und nickte nur schwach.
Ich knirschte mit den Zähnen. Das dringende Bedürfnis, ihr das falsche Grinsen vom Gesicht zu wischen, wuchs immer weiter an.
„Schön. Ich bin aber nicht James- und mich kriegst du nicht mit einem Augenaufschlag rum", zischte ich.
Holly lächelte wieder. „Wenn du willst, bringe ich dir bei, wie das geht."
Eingebildete, blöde Kuh.
„Vielleicht zeigt James dann ja mal wieder Interesse an dir", sprach sie sanft weiter. „Na ja, vielleicht auch nicht, er hat wohl endlich gemerkt, wie unscheinbar du bist, nachdem er mit mir zusammen war."
Dumme Schnepfe.
„Ach ja? Und wieso hat er dann mit dir Schluss gemacht?", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
Himmel, was tat ich hier eigentlich? War ich wirklich eifersüchtig auf ein Mädchen wie Holly?!
Wegen ... James?
Ja, anscheinend. Scheiße. Ich sollte damit aufhören.
Dennoch verspürte ich ein kleines Gefühl des Triumphes, als Hollys Lächeln für einen kurzen Moment verrutschte.
„Nicht er hat mit mir Schluss gemacht, sondern ich mit ihm", erklärte sie kalt.
Hmm, ja. Ist klar.
Ich zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. „Das ist mir herzlich egal. Wie du dich vielleicht erinnerst, war James derjenige, der mir hinterhergelaufen ist, und nicht andersrum. Und jetzt ab auf eure Schlafsäle, oder ich ziehe euch Punkte ab."
Hollys Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie löste sich von ihrem Freund und trat näher an mich heran. Ich wich instinktiv einen Schritt zurück, als ihr warmer Atem auf mein Gesicht traf.
„Wenn das so ist, wieso nennst du ihn dann auf einmal beim Vornamen? Wieso bist du jetzt diejenige, die ihn mit den Augen verfolgt? Sieh es ein, Evans. Die Dinge haben sich geändert, und nicht James ist der Regelbrecher, sondern du. Jeder, der Augen im Kopf hat, sieht, dass du Interesse entwickelst ... aber ich fürchte, es ist zu spät."
Wir starrten uns an.
Verdammt. Sie hatte recht.
Ich drehte mich auf dem Absatz um.
Über die Schulter rief ich noch: „Jeweils 20 Punkte Abzug für Hufflepuff und Ravenclaw!", bevor ich schnellen Schrittes den Rückzug antrat.

Ähm. Hi. Ich hoffe, ihr überlebt die nächste Woche ✌🏽 danke an alle meine fleißigen Leser, ihr seid toooooll 😎

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt