Kapitel 37

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Bevor Sirius auch nur ein Wort sagen konnte, fuhr ich ihn an: „Black! Was fällt dir eigentlich ein, mich einfach so hier rein zu zerren?! Fünf Punkte Abzug für Gryffindor!"
„Ich bin hier nicht derjenige, dem man Punkte abziehen sollte, Evans", gab Sirius scharf zurück. Ich musste schlucken, als er ebenso meinen Nachnamen verwendete. Eigentlich hatten wir beide seit den Sommerferien damit aufgehört, und wir waren auch bei den Vornamen geblieben, als James wieder zu „Evans" zurückgekehrt war.
Aber dass Sirius das nun tat, war wohl meine Schuld.
Mal wieder. Konnte eigentlich irgendwann mal wieder etwas passieren, das nicht meine Schuld war?! Es machte viel mehr Spaß, wütend auf andere sein zu dürfen, als selbst derjenige zu sein, der sich zu entschuldigen hatte.
„Was willst du, Sirius?", fragte ich resigniert. Es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden.
Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Das weißt du ganz genau."
Ich stellte mich dumm. „Keine Ahnung, wovon du redest."
Ich richtete mich ein bisschen auf und reckte trotzig mein Kinn in die Höhe.
Sirius verdrehte die Augen und fuhr sich genervt mit seinen Händen durchs Haar. Mir fiel auf, dass er leicht zitterte und tiefe Schatten unter seinen Augen lagen.
Bestimmt hatte er letzte Nacht keinen Schlaf mehr bekommen.
„Lily, ich habe keine Lust auf deine Spielchen. Ich war eben bei James im Krankenflügel und er hat mir alles erzählt."
„Was, alles?", hakte ich nach, während ich meine Fingernägel betrachtete. Es war zwar keine gute Idee, Sirius zu reizen, doch ich wusste einfach nicht, wie ich sonst mit Konfliktsituationen umgehen sollte. Ich war provokant, und das schon so lange, dass ich es nicht mehr besser wusste.
„Du bist uns gestern gefolgt", begann Sirius leise, „und du hast Dinge gesehen, die du nicht hättest sehen sollen."
„Was denn? Dass Remus ein Werwolf ist? Es macht mir nichts aus, Sirius", sprudelte ich hervor, weil ich unbedingt loswerden wollte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, dass ich das Ganze akzeptierte.
„Pschschscht!", machte Sirius entsetzt und sprang vor Schreck ein bisschen auf mich zu. Seine Hand zuckte, als wolle er sie wieder auf meinen Mund legen, doch dann sagte er nur: „Nicht so laut!"
„Also, sein Geheimnis ist bei mir sicher", fügte ich etwas leiser hinzu. „Ich mag Remus. Er ist mein Freund."
Argwöhnisch beäugte Sirius mich. Sein Kiefer mahlte und seine linke Augenbraue zuckte ein wenig. Seine Anspannung war nicht zu übersehen.
„Und ... und was ist mit...?" Er ließ den Satz in der Luft hängen und starrte mich nur weiter bedeutungsvoll an.
„Dass ihr Animagi seid?" Ich kräuselte ein wenig missbilligend meine Augenbrauen. „Ist euch eigentlich klar, wie gefährlich das alles ist? Ihr rennt nachts mit einem Werwolf rum! Und wie viel bei einer solchen Verwandlung schiefgehen könnte! Wie habt ihr das überhaupt geschafft? Wann? Warum?"
All die unbeantworteten Fragen strömten nur so aus mir heraus. Mir war klar, dass Sirius eigentlich hier war, um mir Vorwürfe zu machen und mich zu nötigen, ihr Geheimnis zu wahren, doch wenn er schon hier war konnte er auch etwas für mich tun.
Er stöhnte resigniert auf und rieb sich mit den Händen über das Gesicht.
„Das geht dich wirklich überhaupt nichts an."
„Falsch. Es ging mich vielleicht nichts an, als ich es noch nicht wusste, doch jetzt weiß ich Bescheid und ihr seid in Gefahr. Was, wenn ich euer kleines Geheimnis verrate?" Sirius' erschrockenes Aufkeuchen unterbrach mich kurz und er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich hob den Zeigefinger und fuhr fort. „Wie gesagt, ich werde nichts über Remus' Dasein als Werwolf verraten, denn er ist mein Freund. Aber wie das um euere Verwandlung steht, weiß ich noch nicht. An deiner Stelle würde ich mir die gesamte Geschichte jetzt lieber erklären, und wenn du mir Gründe lieferst, die gut genug sind, werde ich schweigen."
Erwartungsvoll verschränkte ich die Arme vor der Brust.
„Also. Fang an."
Sirius starrte mich fassungslos an.
Dann schüttelte er den Kopf.
„Wie kann man nur so klein und niedlich aussehen und so ein gerissenes Biest sein? Du bekommst wirklich immer was du willst, oder, Evans?"
Ich grinste. „Vielleicht."
Wieder ein Kopfschütteln. Eine Weile herrschte Schweigen. Schließlich räusperte Sirius sich und begann mit einem vorwurfsvollen Blick auf mich zu sprechen.
„Es fing alles in der zweiten Klasse an. Wir Rumtreiber waren schon damals sehr gute Freunde, auch wenn wir uns noch nicht so nannten. James und mir fiel früher oder später auf, dass Remus sich zu bestimmten Zeiten nachts rausschlich. Wir waren neugierig und folgten ihm und Miss Pomfrey nach draußen. Wir sahen ihn nicht direkt in seiner Gestalt, nur, wie er unter der Peitschenden Weide verschwand. Am nächsten Tag stellten wir ihn zur Rede, und natürlich bekamen wir die Sache früher oder später raus, du kennst uns ja. Remus hatte Angst gehabt, es uns zu erzählen, wir waren seine ersten richtigen Freunde und er wollte uns nicht verlieren. Wir hatten keine Angst vor ihm und dachten auch gar nicht daran, ihn im Stich zu lassen. Stattdessen fingen wir drei an, über Werwölfe zu recherchieren, um Remus zu helfen, und fanden heraus, dass sie sich Tieren gegenüber weitaus weniger angriffslustig verhielten. Von da an saß uns nur noch ein Gedanke im Kopf: Wir wollten unsere Gestalt ändern und Remus in seinen schlimmsten Nächten begleiten können. Er war natürlich nicht allzu begeistert von der Idee und versuchte sie uns auszureden, aber wir waren nicht davon abzubringen. In der fünften Klasse schafften wir es schließlich, uns in Animagi zu verwandeln. Peter brauchte anfangs noch ein bisschen Hilfe, aber sonst ging alles gut. Seitdem begleiten wir Remus jede Vollmondnacht. Meistens beruhigt ihn unsere Anwesenheit ein wenig und es hält ihn davon ab, sich selbst zu verletzen.
Manchmal kommt es aber auch zu kleineren Unfällen ..." Sirius seufzte. „Und ganz selten zu größeren, wie gestern."
Er schaute mich an, mit einer Mischung aus Missbilligung und Bewunderung im Blick. „Hör zu, Krümel, ich bin absolut nicht einverstanden, mit dem, was du getan hast. James tobt vor Wut, Remus wird in nächster Zeit wohl zu ängstlich sein, um mit dir zu reden. Aber ich bin dir trotzdem dankbar, dass du James da rausgeholt hast. Ohne dich hätten wir das wahrscheinlich nicht geschafft. Eigentlich ist das Peters Job, er ist der Kleinste von uns und entwischt Remus deswegen am schnellsten, aber er war irgendwie ... abgelenkt."
Ich schluckte und versuchte, das eben Gesagte zu verarbeiten.
Ich hatte schon immer gewusst, dass die Rumtreiber eine besonders tiefe Freundschaft verband, und jetzt wusste ich auch, wieso. Sie würden einfach alles füreinander tun.
Und ich bewunderte sie zutiefst dafür.
„Also?", fragte Sirius leise. „Wirst du uns verraten?"
Ich räusperte mich. „Nein. Natürlich nicht. Und ... tut mir leid, dass ich euch gefolgt bin." Gegen Ende hin murmelte ich nur noch.
„Das sollte es auch." Sirius' Stimme war hart und unerbittlich. „Tu das nie wieder, Lily. Es ist viel zu gefährlich. Steck deine Nase nicht in unsere Angelegenheiten, okay?"
Wortlos zog ich ein Stück Pergament aus der Tasche meines Rocks und hielt es ihm hin. Es war die Karte.
Ich hatte sie seit gestern weiterhin mit mir rumgetragen. Jetzt wollte ich sie nur noch loswerden.
Sirius starrte erst die Karte und dann mich an.
„Das erklärt einiges", murmelte er, und ich wusste nicht, wie ich seinen Tonfall deuten sollte. Er steckte das Pergament ein, warf mir noch einen letzten flüchtigen Blick zu und verließ dann den kleinen Durchgang.






Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt