Kapitel 53

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„Du hast bei James Potter gewohnt und es uns nicht erzählt?! James Potter! Und Sirius Black! Black! DER Mädchenschwarm schlechthin und mein Exfreund! Du hättest es mir erzählen müssen!"
Marlene war immer noch komplett fassungslos. Ich hatte mich beim Mittagessen mit den beiden an ein ruhiges Ende des Gryffindortischs gesetzt und ihnen alles nacheinander erzählt. Beim Tod meiner Eltern hatte ich kurz gestockt- doch es war mir schon leichter gefallen, die Worte auszusprechen. Und das sogar ohne einen Tränenausbruch.
Na ja, zumindest fast.
Als die beiden mich in eine feste Gruppenumarmung geschlossen hatten, hatte ich schließlich doch ein bisschen weinen müssen.
Ganz sicher war ich mir nicht, ob Marlene das Thema wieder auf die Sommerferien gebracht hatte, um mich abzulenken oder weil es sie wirklich aufregte.
Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
„Marls, ich hätte wochenlang keine Ruhe von deinen dämlichen Kommentaren gehabt. Von wegen dass James und ich ja so ein süßes Paar wären. Ich finde, ich hatte schon meine Beweggründe."
„Jaja." Sie wischte mein Argument mit einer Handbewegung beiseite. „Ich versteh ja auch, dass du nicht drüber reden wolltest wegen dieser ganzen Tagebuch- Geschichte. Ich wusste ja, dass du James nicht wirklich ausstehen konntest, aber Lily, eine Hassliste? Ist das nicht ein wenig ... drastisch?"
„Danke, das weiß ich jetzt auch. Die Liste ist uralt. Die alte Lily war eben etwas, nun ... dramatisch."
Marlene prustete. „Nicht nur die alte Lily."
Das brachte ihr einen Rippenstoß ein. „Aua!"
Gemeinsam liefen wir drei durch die Schlossgänge, auf dem Weg zum Porträt der Fetten Dame. Am liebsten wären wir rausgegangen, aber das Wetter war nasskalt, und so war uns eher nach einem gemütlichen Nachmittag am Kamin zumute.
Es tat gut, normal mit meinen Freundinnen herum zu diskutieren. Dabei musste ich wenigstens nicht über tiefgründige Dinge nachdenken. Wenn wir nur das Thema nun von Potter wegbringen könnten...
Doch das war natürlich nicht so einfach. Dorcas und Marlene waren schließlich auch nicht blind. Vielleicht nicht so feinfühlig wie Mary, aber immerhin hatten sie gesehen, wie ich mit James von der Beerdigung gekommen war.
Prompt fragte Dorcas: „Und was ist jetzt mit euch beiden? Ich meine, bis vor kurzem hat James dir hasserfüllte Blicke zugeworfen und du ihn ignoriert, und jetzt?"
„Ja, wir ... Moment, hasserfüllte Blicke?"
„Nicht hasserfüllt", sagte Marlene ungeduldig. „Eher enttäuscht und verletzt. Jetzt erzähl weiter."
Ich seufzte. Das tat ich in letzter Zeit irgendwie oft. Hoffentlich wurde das nicht zu einer blöden Angewohnheit.
„Leute, ich weiß doch selbst nicht, was das alles ist. Ich hab mir da auch noch keine Gedanken drüber gemacht. Wenn ihr das versteht."
Marlene legte mir einen Arm um die Schulter.
„Klar. Lass dir mit James so viel Zeit wie du willst."
Sie kicherte. „Aber komm besser zu 'nem Entschluss, bevor ihr zu alt für Babys seid."
Ein weiterer Stoß zwischen die Rippen.
„Aua!"

„Ich meine ja nur, eure Babys würden sehr süß aussehen."
„Marls, noch ein Wort davon, und du bekommst meine Ausgabe Zaubertränke für Fortgeschrittene auf den Kopf."
Wir saßen seit einiger Zeit im Gemeinschaftsraum der Gryffindors vor dem urigen Kamin und lernten. Besonders ich hatte Schulstoff nachzuholen, was ich auch versuchte, doch Marlene konnte es nicht lassen, ständig von der Lily- hat- bei- James- gewohnt- Geschichte anzufangen.
„Dir ist schon klar, dass sie uns das genau aus diesem Grund nicht schon eher erzählt hat?", bemerkte Dorcas, die kurz von ihrem Aufsatz für Verwandlung aufblickte, um Marlene vielsagend anzusehen.
„Ach kommt schon", beschwerte Marlene sich. „Die Story ist doch wirklich bahnbrechend. Ich muss einfach darauf herumreiten."
Ich zuckte nur mit den Schultern und widmete mich wieder meiner Lektüre. Für mich war der Sommerurlaub im Anwesen der Potters schon wieder eine gefühlte Ewigkeit her. Es war so viel passiert...
Eine Weile schafften wir es, stumm vor uns hinzuarbeiten. Sogar Marlene kritzelte ein bisschen auf ihrem Pergamentstück herum.
Als sie wieder zu sprechen anfing, hatte ich beinahe alle Notizen abgeschrieben, die Dorcas sich in den Stunden, die ich verpasst hatte, gemacht hatte.
„Sie könnten große braune Augen und widerspenstiges rotes Haar haben."
Verwirrt hob ich den Kopf. „Was?"
„Na, du weißt schon. Eure Babys!"
Bevor ich nach meinem Exemplar Zaubertränke für Fortgeschrittene greifen konnte, tauchte jemand hinter Marlene auf und schaute belustigt in unsere Runde.
„Wessen Babys?", fragte Remus interessiert.
Ich starrte meine Freundin böse an. „Schweig", befahl ich ihr dramatisch.
Marlene grinste. „Keine Babys, tut mir leid, Remus. Hättest du denn gern welche?"
Der Rumtreiber runzelte verdutzt die Stirn. „Ähm, nein, im Moment habe ich andere Probleme."
Automatisch fragte ich mich, ob seine „anderen Probleme" wirklich nur im Moment existierten.
„Echt? Welche denn? Hast du etwa Liebeskummer?" Und schon hatte Marlene Remus in ein sehr einseitiges Gespräch verwickelt. Genauer gesagt hielt sie ihm einen Vortrag über die Heilmethoden für gebrochene Herzen.
Dorcas und ich tauschten einen Blick und verdrehten die Augen.
Manchmal konnte Marlene sehr ... nervtötend sein.
Immerhin war sie jetzt abgelenkt. Wir nutzten diese Chance, um ungestört weiterzuarbeiten.
Allerdings redete Marlene so laut, dass ich nicht umhinkam, doch mit einem halben Ohr zuzuhören.
„...oder Umarmungen! Glaub mir, die Dinger besitzen irgendwelche Heilkräfte oder so. Es ist einfach so ein schönes, geborgenes Gefühl, von jemanden gehalten zu werden. Damit wird quasi vermittelt, dass der Jemand, der dich umarmt, stark genug ist, um dich und deine Sorgen zu halten, verstehst du?"
„Ähm...ja. Klar. Kenn ich. Reicht nicht auch einfach Schokolade?" Remus klang nicht überzeugt.
Ich jedoch erwischte mich dabei, wie ich Marlene im Stillen recht gab und unwillkürlich an James denken musste. Wie oft hatte ich ihn in letzter Zeit umarmt?
Bei Merlin, ich hatte in seinem Bett geschlafen!
Heilkräfte ... ja, irgendwas war da dran. Umarmungen besaßen tatsächlich Heilkräfte.
Irgendwie musste ich lächeln. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder dem Pergamentblatt vor mir zu. Heimlich spitzte ich die Ohren, damit ich weiter das Gespräch zwischen den beiden verfolgen konnte.
„Na ja, Schokolade ist keine schlechte Möglichkeit", räumte Marlene ein. „Allerdings ist es keine Dauerlösung. Wenn du also lange an Liebeskummer leidest, wirst du nur fett."
„Warum leide ich nochmal an Liebeskummer?"
„Hast du das nicht vorhin gesagt?"
„Nein, das hast du gesagt."
„Stimmt gar nicht, ich habe dich gefragt und du hast nicht widersprochen."
„Ja, weil du so schnell redest, dass man dich nicht unterbrechen kann."
„Ich würde eher sagen, dass du zu höflich bist, irgendwen zu unterbrechen", meinte Marlene. „Und das ist wahrscheinlich auch dein Problem mit Mädchen: Du kommst wie der liebe, nette, schüchterne Junge von nebenan rüber. Keiner bemerkt dich!"
„Der liebe, nette, schüchterne Junge von nebenan? Na, hör mal..."
Ich schaltete ab. Nein, da würden keine Weisheiten mehr von Marlene kommen.
Seltsamerweise fand ich das fast schade.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt