Kapitel 111

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Marlene und ich mussten unsere morgendliche Joggingrunde aufgrund eines akuten Heulkrampfes abbrechen.
Marlene hatte sich die einzige Matschpfütze, die noch von einer letzten Aprillaune übriggeblieben war, ausgesucht und wälzte sich nun des dramatischen Effekts wegen schluchzend darin herum.
Ich stand mit verschränkten Armen daneben und rollte alle paar Sekunden mit den Augen.
Anfangs hatte ich noch versucht, ihr letztes bisschen Würde zu retten, doch Marlene war und blieb eine Dramaqueen.

„Denkst du wirklich, Hugo kommt zu dir zurück, wenn du dich verhältst wie ein Schwein?", fragte ich meine Freundin irgendwann.
„So passen wir wenigstens zusammen", schnaubte Marlene.
Ich nickte. Das ergab Sinn.
„Aber nur weil er ein mieses Schwein ist, musst du dich nicht auf dieses Niveau herablassen", meinte ich.
„Lils, geh einfach weg und lass mich leiden, okay?"
„Ich bin deine beste Freundin. Ich kann nicht zulassen, dass du dich ewig in deinem Elend suhlst. Oder in einer Schlammpfütze. Außerdem haben wir schon die ersten beiden Unterrichtsstunden verpasst."
„Ich werde den ganzen Tag nicht in den Unterricht gehen", stellte Marlene klar.
„Süße, du hast schon unfassbar viele Fehlstunden. Noch ein paar mehr, und du wirst nicht zu den Prüfungen zugelassen."
Marlene jaulte gequält auf.

Sie rollte sich auf den Bauch und trommelte wütend mit den Fäusten auf den Boden, wobei haufenweise Dreck durch die Luft flog.
Ich wich ein Stückchen zurück.
Es reichte, wenn eine von uns beiden ein Schlammbad nahm.
„Das liegt alles nur an deinem beschissenen Freund und seinem beschissenen Extratraining! Ich hasse James! Ich hasse Hugo! Ich hasse alle Jungs! Man sollte jedem männlichen Wesen seine verdammten Eier abschneiden!"
„Das ist dann vielleicht doch etwas drastisch", murmelte ich.
„AAAAAAAH!", machte Marlene.

Irgendwie schaffte ich es, Marlene buchstäblich aus ihrem Loch zu holen und zurück zum Schloss zu bewegen.
Vorher schickte ich sie allerdings noch ins Schulsprecherbad und zwang sie, ihre Schuluniform anzulegen.
Während sie ein Bad nahm, wartete ich ungeduldig vor der Tür.
Mit der Fußspitze tippte ich einen wilden Rhythmus auf den Boden.
Wir waren schon viel zu spät zu einer Doppelstunde Verteidigung gegen die dunklen Künste dran – ein Fach, das ich nur ungern verpasste, besonders in diesen dunklen Zeiten.
Doch Marlene ließ sich Zeit dabei, ihre eigenen dunklen Zeiten wortwörtlich auszubaden.
Als sie das Badezimmer endlich verließ, quoll eine riesige Dampfwolke hinter ihr aus der Tür. Immerhin sah sie nicht mehr wie eine Mischung aus Zombie und Ferkel aus, sondern glich wieder der Marlene, die ich kannte.

Ohne ein weiteres Wort packte ich ihre Hand – die von dem ganzen Wasser ganz schrumpelig geworden war- und zog sie den Gang hinunter.
„Lilyyyy", meckerte Marlene, „jetzt stress nicht so!"
„Wir kommen zu spät!", gab ich ungnädig zurück.
„10 Minuten! Das wird dich nicht umbringen."
„Eine Viertelstunde!", betonte ich.

Wir bogen um eine Ecke und fanden uns unweit des großen Treppenhauses wieder.
Eine Gruppe Slytherins versperrte uns den Weg.
„Und gleich wahrscheinlich noch ein bisschen mehr", knurrte ich, schritt aber mit finsterer Miene weiter auf meine muggelhassenden Mitschüler zu.
Ein dunkelhaariges Mädchen entdeckte uns zuerst und stupste ihren breitschultrigen Kumpel an.
Dieser drehte sich um und entpuppte sich als Mulciber.
Ich straffte die Schultern und festigte meinen Griff um Marlenes Hand.
Sie war ganz still geworden und murrte nicht mehr über das schnelle Tempo, das ich an den Tag legte.
„Evans", rief Mulciber mir breit grinsend zu, als wir nur noch einige Meter von ihm entfernt waren. „Heute ganz ohne deinen Beschützer-Potter?"
„Mulciber", gab ich zurück, „heute ganz ohne Schlangenbisse?"

Mulciber verzog bei der Erinnerung an meinen Rachezug für eine Millisekunde das Gesicht, bevor er wieder sein überhebliches Grinsen aufsetzte.
„Die Beißerchen deiner hübschen Kreationen konnten sich durch meinen steinharten Bizeps nicht so leicht durchbohren. Es sind nicht einmal Narben übrig. Ich muss sagen, ich war enttäuscht von dir, Streber–Evans."
Einige Mädchen aus Mulcibers Gang seufzten leise auf.
Ich rümpfte angewidert die Nase. Ich hasste schmachtende Mädchen.
„Bessere Beleidigungen haben wir heute nicht drauf? Was ist denn aus dem ach so kreativen Schlammblut geworden?"
Mulciber öffnete den Mund zu einer schlagfertigen Antwort, doch ich hob die Hand.
„Spar dir deine sicher wahnsinnig geistreiche Bemerkung, Mulci. Streber- Evans kommt zu spät zum Unterricht."

Der große Slytherin machte einen demonstrativen Schritt zur Seite und bedeutete mir hämisch grinsend, vorbeizugehen.
Mir war klar, dass er mir, sobald ich vorbeigehen würde, ein Bein stellen oder mich zur Seite schubsen würde, aber im Moment wollte ich einfach nur in dieses verflixte Klassenzimmer.
Also zerrte ich Marlene hinter mir her und gab Mulciber die Möglichkeit, mich heftig anzurempeln.

Meine Tasche, die ich mir nur eilig über eine Schulter geworfen hatte, rutschte herunter und haufenweise sorgfältig beschriebene Pergamentrollen segelten zu Boden.
Mulcibers Gruppe brüllte vor Lachen.
Ich konnte über so wenig Einfallsreichtum nur die Augen verdrehen.
Bei diesem erbärmlichen Verhalten konnte ich mir manchmal einfach nicht vorstellen, dass diese Jungs wirklich Todesser werden wollten.
Da konnten sie ihr verdammtes Dunkles Mal noch so stolz herumzeigen.
Voldemort hatte sich ein paar Lachnummern herausgepickt.

„Huch!" Mulciber tat unschuldig. „Das tut mir aber leid. Soll ich dir helfen?"
Er bückte sich und grabschte nach meinen Sachen, doch ich verpasste ihm einen gezielten Tritt mit meinen spitzen Lackschuhen.
„Finger weg von meinen Sachen", zischte ich, wobei meine Gesichtsfarbe vermutlich meinen Haaren glich.
Hallo, wo blieben eigentlich die schönen Ereignisse dieses Tages?
Ich hatte wirklich die Nase voll von nervenreizenden Begegnungen.

Bevor Mulciber sich noch an einem meiner Aufsätze vergreifen konnte, kniete ich mich auf den Boden und raffte eilig mein Zeug zusammen.
Marlene setzte sich wortlos zu mir und half mir, alles zurück in die Tasche zu stopfen.
Mulciber dagegen richtete sich wieder auf und klopfte sich den Staub von seiner Hose.
„Na gut, dann lassen wir das Schlammblut und die Blutsverräterin mal lieber alleine."
Er bedeutete seinen Freunden, zu gehen.
Einige ließen es sich nicht nehmen, uns im Vorbeigehen noch ein paar mehr oder weniger harmlose Tritte zu verpassen, bevor sie am Ende des Ganges um die Ecke verschwanden.

„Merlin sei Dank", seufzte Marlene. „Das ist ja verhältnismäßig ruhig ausgegangen."
„Freu dich nicht zu früh." Ich starrte stirnrunzelnd in die Richtung, in die die Slytherins verschwunden waren. „Irgendwas stimmt hier nicht. Mulciber wäre nie so schnell abgezogen, wenn er nicht irgendwas Besseres zum Draufrumhacken gefunden hätte."
„Meinst du?" Marlene klang so müde, wie ich mich fühlte. „Hast du denn alle deine Sachen beisammen?"
Ich zählte die Pergamentrollen und ging meinen Krimskramks durch.
Es war alles da.
„Keine peinlichen Tampons oder irgendwelche Verhütungstränke, die er gegen dich verwenden könnte?"
Ich verdrehte die Augen. „Nein, und bitte hör auf so frech zu grinsen."
„Ihr verhütet also nicht?"
„Marlene!"
„Ich meine ja nur..."

Ich verpasste ihr einen Schlag auf den Oberarm. „James und ich sind jetzt ein knappes halbes Jahr zusammen. Ich muss doch nicht gleich mit ihm in die Kiste springen."
„Na ja, Hugo und ich ..."
Marlene brach mitten im Satz ab und biss sich auf die Lippe.
„Hmm", machte sie. „Vergiss es."
Ich warf ihr einen mitleidigen Seitenblick zu, doch Marlene wischte sich energisch über die Augen und reckte das Kinn.
„Schau mich bitte nicht so besorgt an. Die Heulphase ist vorbei. Jetzt kommt die Schau- was- du- verpasst- Phase."
Sie unterstrich ihre Aussage, indem sie sich das blonde Haar über die Schulter warf und mit langen Modelschritten zum Treppenabsatz stolzierte.
„Oh yeah, Baby, weiter so", lachte ich, und war glücklich, meine Marlene wieder zu haben.

Bin ein bisschen spät dran ...
Huch, tut mir leid 🌚

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt