Kapitel 82

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Nach Marlenes unerwartet tiefgründigem Besuch blieb es erstmal ruhig in der Schulsprecherwohnung.
Ich nutzte diese Zeit für ein langes Nickerchen, nachdem die Krämpfe endlich ein wenig nachgelassen hatten.
Zumindest soweit, dass ich mich wieder ohne ständige Flüche bewegen konnte.
Gerade als ich den Tag mit der Nase in einem dicken Buch beenden wollte, klopfte es zaghaft an der Tür.
„Ähm, Lily? Darf ich reinkommen?"
Oh, Merlin.
Das war James.
Ich schaute an meiner Erscheinung hinab.
Meine Haare konnte ich zwar nicht sehen, aber ich wusste, dass sie nach dem Waschen und dem anschließenden Herumgewälze im Bett einer Explosion gleichkommen mussten.
Mein Tanktop war uralt und einfach nur langweilig hellgrün, während meine graue Jogginghose ausgebeult war und ziemlich schlabberte.
„Ist gerade sehr schlecht", beschloss ich daher.
„Komm schon, ich weiß, dass du nicht sonderlich aufgestylt sein kannst, aber das macht doch nichts."
Was war dieser Junge? Ein Hellseher?
Vielleicht sollte ich ihn mal unauffällig nach seinen Noten in Wahrsagen fragen.
Ich brach in hysterisches Gelächter aus. „Das macht nichts? Du Glücklicher hast mich noch nicht gesehen."
Ein Seufzer, gefolgt von einem gemurmeltem „Mädchen!" drang durch die Tür.
„Das habe ich gehört!"
Ertapptes Schweigen folgte.

Dann: „Komm schon, Lily. Ich habe dich auch schon in deinem Schlafanzug gesehen."
„Du wirst mich nicht in Ruhe lassen, oder?"
Sein Grinsen konnte ich quasi hören. „Exakt."
Frustriert quälte ich mich aus dem Bett und riss ohne Vorwarnung die Zimmertür auf.
James fuhr erschrocken zurück, ob nun aufgrund meiner Erscheinung oder der plötzlichen Geste sei dahingestellt.
So cool wie es in einer Jogginghose und mit zerzausten Haaren eben ging, lehnte ich mich gegen den Türrahmen.
„Was gibt's?"
Merlin, warum hatte ich mir nicht wenigstens schnell eine ordentliche Hose angezogen?
James stand hier in Jeans und T-Shirt vor mir und sah einfach umwerfend aus.
Ich versuchte, mich auf seine großen, braunen Augen zu konzentrieren, aber mein Blick wanderte unwillkürlich über das unfassbar sexy zerstrubbelte Haar, das leichte Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte, zu seinen breiten Schultern bis hin zu seiner schmalen Taille.
Okay, Hilfe, ich war verliebt in diesen blöden Idioten.
„Deine Haare stehen mehr ab als meine!", platzte es glücklich aus James heraus.
„Was? Das kann nicht sein!"

Alarmiert rannte ich an ihm vorbei ins Badezimmer und stellte mich auf Zehenspitzen, um in den Spiegel sehen zu können.
Was ich sah, war tatsächlich bedenklich.
Meine Haare schienen jeglichen Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen. Es wäre beinahe beeindruckend gewesen, hätte es nicht so furchtbar ausgesehen.
James, der mir gefolgt war, bekam sein Grinsen jedenfalls nicht mehr aus dem Gesicht.
„Haarbürste!", verlangte ich scharf.
James schien zu verstehen, dass er mich besser nicht noch mehr reizen sollte, jedenfalls legte er mir gehorsam das verlangte Utensil in die Hand.
Nach einigen brutalen Angriffen auf meine rote Mähne waren jegliche Knoten aus meinem Haar beseitigt und es legte sich wieder einigermaßen ansehnlich um mein Gesicht.
Dennoch band ich es wie so oft zu einem Pferdeschwanz zusammen, bevor ich mich zu James umdrehte, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Nochmal von vorne. Was willst du?"
James' Augen begannen in kindischer Vorfreude zu leuchten. „Dich ausführen!"
Ich wollte ihm wirklich nicht den Spaß an der Sache verderben und ich fand die Geste auch durchaus süß, aber trotz allem war das Erste, was meinen Mund verließ: „Wie bitte?! Es ist halb elf und ich will schlafen!"
Auf die Enttäuschung in James' Miene hin fügte ich noch schnell hinzu: „Aber zu jeder anderen Zeit gerne. Nur nicht jetzt und nicht wenn ... nicht heute."
„Du meinst, nicht wenn du deine Tage hast?"
„Ja, ich meine, wie bitte, was, wer hat dir das gesagt?", kreischte ich empört. Augenblicklich stieg mir wieder die Röte ins Gesicht. Gut, inzwischen waren wir in einem Zeitalter angelangt, indem man durchaus über solche Dinge reden konnte, aber musste James das so herumschreien wie Marlene heute noch das Wort ... ähm, das Wort mit X?
Moment ... „Marlene!", schrie ich aufgebracht.
Schnell legte James mir eine Hand auf den Mund.
„Beruhige dich, Krümel, ist doch kein Problem." Er lächelte mich so lieb und entspannt an, wie es neben einem menstruierenden Mädchen eigentlich nicht möglich sein sollte.
Falls er dachte, dass er damit meine Aggressionen besänftigen konnte, hatte er sich allerdings getäuscht.
Ich verschränkte angriffslustig die Arme vor der Brust.
„Und wieso besitzt du trotz dieses Wissens die Frechheit, mich arme leidende Person aus dem Bett zu quälen und hältst es für eine gute Idee, in diesem Zustand mit mir auszugehen?!"
Ich konnte nichts dagegen machen, meine Stimme wurde gegen Ende hin ein bisschen weinerlich.
Ehrlich mal, es gab nichts Peinlicheres als mit einem Jungen über seine Regel zu reden. Vor allem, wenn man das nicht mal freiwillig tat!
Ich würde Marlene den Hals umdrehen, so viel stand fest.
James kniete sich vor mir nieder und legte wie selbstverständlich die Hände um meine Taille. Dann guckte er aus treuherzigen Augen zu mir hoch.
Immer noch überraschend sanft erklärte er: „Na ja, ich habe gehört, dass ihr Mädchen gerne Schokolade esst, wenn ihr ... Schmerzen habt. Und da wollte ich dir bei der Gelegenheit den Geheimgang zum Honigtopf zeigen."
Oh.
Na gut. Das war süß.
Sehr süß sogar.
Meine emotionale Seite wollte ihn dafür abknutschen.
Stattdessen beherrschte ich mich und sagte deutlich besänftigt: „Das ist eine sehr liebe Idee, allerdings esse ich eigentlich zu jeder Zeit gerne Schokolade. Dazu musst du dir keinen Tag aussuchen, an dem ich unglaubliche Stimmungsschwankungen habe."
James grinste und sah mich wachsam an, als wüsste er schon, dass er auf den nächsten Satz keine positive Reaktion bekommen würde.
„Die Stimmungsschwankungen hast du doch so auch immer."
Zum Glück hatte ich die Haarbürste noch in der Hand.
So war es mir ein Leichtes, ihm einen deftigen Klaps auf den Hinterkopf zu verpassen.
„Autsch", beschwerte James sich halbherzig.
„Also, was ist jetzt, wollen wir?" Erwartungsvoll guckte er zu mir auf.
Ich seufzte.
Merlin, es war einfach zu niedlich, wie er dahockte und mich quasi anbettelte, Schokolade kaufen zu gehen. So süß zu sein sollte verboten werden. Und der Hundeblick gleich dazu.
„Na gut", gab ich nach. „Aber nur, wenn du mich trägst."
Das brachte James kurz aus dem Konzept. „Warum sollte ich dich tragen?"
„Weil Laufen wehtut."
Er blinzelte. „Hm. Okay. Dann trage ich dich eben."
„Sehr gut. Oh, und, ich möchte nicht dabei erwischt werden, wie wir die Regeln brechen, ist das klar?"
Prompt war James' Lächeln wieder da. „Oh, Lils, jeder hat mitbekommen, wie du die größte Hogwarts-Regel überhaupt gebrochen hast."
Irritiert blinzelte ich. „Welche denn?"
„Na, die Evans-hasst-Potter-Regel!"
„Ich wäre mir mal nicht so sicher, dass die gebrochen ist. Ich hasse dich immer noch", teilte ich ihm ernst mit.
„Aber du gehst mit mir Schokolade kaufen."
„Ja, wegen dem Teil mit der Schokolade."
Er schmollte.
Ich fuhr ihm durch sein dichtes schwarzes Haar (Oh, Merlin bewahre mich vor einem Fangirltod, warum hatte er so weiches Haar?!) und grinste ihn lieb an.
„Na gut, ich habe die Regel gebrochen."

Lul.
Heute mal extra für lydiasusanne✌🏽❤️

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt