Kapitel 96

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Wie jedes Jahr leerte sich das Schloss in den Weihnachtsferien beträchtlich: Mary, Dorcas, Marlene, Remus und Peter verbrachten den Weihnachtstag zwar noch mit uns, reisten am 26. Dezember aber schließlich auch ab.
Ich hatte ohne die Unterstützung meiner anderen Freunde ziemlich mit Sirius und James zu kämpfen, die die ausgestorbenen Gänge des Schlosses für allerhand Blödsinn nutzten (McGonagall bekam beinahe einen Herzinfarkt, als die beiden auf ihren Matratzen kniend ein Wettrutschen die sich bewegenden Treppen hinunter machten und James über eine 3 Meter breite Schlucht hinwegspringen musste, da sein Treppenabsatz gerade beschlossen hatte, die Richtung zu ändern).

Kein Wunder, dass Sirius nicht besonders begeistert war, als er erfuhr, dass James und ich meine Schwester besuchen würden.
Tatsächlich maulte er herum wie ein kleines Kind, als wir am Morgen des 27. ein paar Sachen zusammenpackten und über die Ländereien Richtung Hogsmeade gingen, um apparieren zu können.
„Könnt ihr nicht so tun, als wäre ich euer Haustier? Als hättet ihr beschlossen, euch einen Hund anzuschaffen? Das würde doch gar nicht auffallen! Ich würde einfach nur ruhig unter eurem Tisch liegen und zuhören. Und eventuell mal jemanden beißen. Natürlich ganz aus Versehen."
Ich schüttelte energisch den Kopf.
„Erstens dachte ich, du willst nicht als Haustier betrachtet werden, und wo wir schon bei Haustieren sind muss sich zweitens irgendwer um Ve kümmern. Drittens hasst meine Schwester Tiere und viertens möchtest du meine Schwester sicherlich nicht kennenlernen", erklärte ich Sirius zum wiederholten Male geduldig die Sachlage.

Mittlerweile hatten wir die Grenze des Schlossgeländes beinahe erreicht und Sirius beeilte sich, um vor mich und James zu treten.
Während er rückwärts vor uns herging, warf er mir einen flehenden Blick zu.
„Ihr könnt mich doch nicht allein zurücklassen!"
„Sirius, es sind höchstens zwei Tage, die wir weg sind!"
Ich verdrehte die Augen und schaute hilfesuchend zu James.
Der allerdings tauschte gerade einen wehleidigen Blick mit seinem besten Freund und schien ohne Worte mit ihm zu kommunizieren.
Empört stieß ich James meinen Ellbogen in die Rippen. „Hallo? James? Willst du auch mal was sagen?"

Betreten senkte James den Blick und murmelte: „Du musst verstehen, dass Sirius und ich seit der fünften Klasse keinen Tag ohne einander verbracht haben."
„Bei Merlins Unterhose!", rief ich verzweifelt aus. „Es sind zwei Tage!"
Sirius seufzte dramatisch auf.
„Ja. Zwei ganze Tage. Ich wusste immer, dass eines Tages ein rothaariges kleines Wesen unsere innige Beziehung ruinieren würde", sagte er dann Richtung James.
Dieser legte sich feierlich die Hand auf die Brust.
„Du weißt, dass meine brüderliche Liebe dir auf Ewigkeit gebührt."
„Das will ich doch hoffen. Ich habe mit einem Stück Schokoladentorte in der Hand eine Trefferquote von 99,9 Prozent auf vierzig Meter. Du solltest dich in Acht nehmen, wenn du es wagst, mein Herz zu brechen", erwiderte Sirius todernst.
James nickte bedächtig und zog seinen „Bruder" in eine Umarmung, die etwas zu lang war, als dass sie noch als brüderlich hätte durchgehen können.

Ich räusperte mich übertrieben.
„Wenn ihr euer Gesülze beendet habt, gebt Bescheid. Dann kann ich wieder hinsehen."
Mit diesen Worten drehte ich mich von den beiden weg und imitierte laut Würgegeräusche.
„Du bist so kindisch, Krümel", grummelte Sirius.
Ich drehte mich wieder um und grinste ihn an. „Wenigstens ist mein Plan aufgegangen", sagte ich, wobei ich mit einer Handbewegung auf den guten Meter Abstand, der jetzt zwischen den Jungs herrschte, hinwies.
„Glaub mir, seelisch sind wir immer noch fest miteinander verbunden", versicherte Sirius mir.
Ich hob eine Augenbraue. „Ohne Zweifel."

Sirius lachte und schloss mich kurz in seine Arme. Ich quietschte erschrocken auf, als ich an seine feste Brust gedrückt wurde und er mir durchs Haar wuschelte.
„Pass auf dich auf, neue beste Freundin", murmelte Sirius, bevor er mich losließ.
Ich brachte stirnrunzelnd meine Haare wieder in Ordnung.
Seit wann umarmte Sirius Black mich?
Gar keine schlechte Sache. Es fühlte sich komplett anders an, als von James umarmt zu werden, bei dem ich immer nervös wurde und mein Herz anfing verrückt zu spielen.
Doch Sirius' Umarmung war auf einer freundschaftlichen Ebene liebevoll gewesen.
Irgendwie süß. Aber dennoch musste ich mich da erst noch dran gewöhnen.

„Ähm, ja. Du auch auf dich."
„Mach ich doch immer. Ich geh erstmal in die Küche und versuche meinen Liebeskummer mit einer riesigen Schokoladentorte zu überspielen."
Mit einem letzten Winken verschwand Sirius wieder in Richtung Schloss.
„Ihr seid solche Dramaqueens. Noch mehr als Marlene!", warf ich James vor.
Er griff nach meiner Hand und grinste zu mir herunter.
„Autsch, Lily, das verletzt mich zutiefst."
Ich schnaubte, während ich versuchte, mich nicht in seinen warmen, braunen Augen zu verlieren.
„Tut mir leid, ich wollte nicht auf deinem Ego herumtrampeln."
James lachte leise. „Ach ja? Du tust doch seit Jahren nichts anderes."
Ich erwiderte sein Grinsen frech. „Irgendwer muss ja dafür sorgen, dass du auf dem Boden der Tatsachen bleibst."
James lachte und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Na komm, lass uns apparieren, bevor Sirius doch nochmal zurückkommt."
„Ha!", rief ich aus. „Du bist also doch froh, dass er gegangen ist."
„Nein, aber wenn er zurückkommt, fürchte ich, dass ich mich nicht mehr von ihm losreißen kann."
Dieser Satz brachte James einen weiteren heftigen Stoß in die Rippen ein.
„Und ich dachte, du bist mit mir in einer Beziehung", schnaubte ich.
„Und ich dachte, du hättest nichts gegen Dreiecksbeziehungen?", konterte James unschuldig.
„James!"
Lachend schlang James die Arme um mich. „Ich mach doch nur Spaß, Lily-Schatz. Aber jetzt wirklich mal los. Ich möchte nur ungern zu spät zu einem Treffen mit deiner Schwester kommen."
Ich seufzte. „Am liebsten möchte ich gar nicht kommen."

Leider entsprach das der Wahrheit.
Gestern Nacht hatte ich kein Auge zubekommen, weil ich im Geiste all die schrecklichen Szenarien durchgegangen war, die bei einem Treffen mit Petunia wohl unausweichlich waren.
Ich hatte mich erst beruhigt, als James im Schlaf meinen Namen gemurmelt hatte und ganz fest seine Arme um mich gelegt hatte.
Doch selbst danach war es mir nicht möglich gewesen, einzuschlafen.
Wieso hatte ich überhaupt zugestimmt, mich mit Petunia zu treffen?
Im Endeffekt war mir doch klar, dass unsere Beziehung nicht mehr zu retten war.
Doch Tunia war alles, was mir von meiner Familie noch geblieben war.

„Hey."
James legte einen Finger unter mein Kinn und zwang mich so, ihn anzusehen.
„Komm schon. Schau nicht so traurig. Es wird schon alles gut gehen. Und wenn nicht, bin ich ja da. Oder wir holen Sirius, damit er in Vernons saftiges Fleisch beißen kann."
Wider Willen musste ich lachen. „Hast du Vernon gerade als saftig bezeichnet?"
James grinste, während er mir mit den Fingern durchs Haar fuhr und schließlich wieder nach meiner Hand griff.
„Vielleicht. Bist du bereit?"
Ich holte tief Luft und packte die Tasche mit meinen Sachen fester.
„Nein, aber es kann losgehen."
„Ich bin da", versprach James.
Wir drehten uns auf dem Absatz um und ließen das Schlossgelände hinter uns.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt