Kapitel 58

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Am nächsten Morgen fiel es sogar mir, als offiziell anerkannte Streberin, unglaublich schwer aus dem Bett zu kommen.
James hatte recht gehabt: Ich hatte Stunden für den Schulsprecherkrams gebraucht. Niemals hätte ich gedacht, dass das so viel Arbeit sein könnte, und wenn dazu noch Hausaufgaben und Lernen für die anstehenden Examen kam... Ich war völlig übermüdet, zumal mich diese Gedanken an James Potter einfach nur quälten.
Alles war viel leichter gewesen, als ich ihn gehasst hatte.
Nur konnte ich zu diesem Stadium nicht mehr zurückgehen, denn meine Meinung zu James hatte sich geändert. James hatte sich geändert.
Na toll, wir hatten sieben Uhr morgens und schon wieder dachte ich an diesen blöden schwarzhaarigen Jungen von nebenan.
Trotzig schob ich den Gedanken beiseite und wankte verschlafen aus dem Zimmer.
James schien noch nicht wach zu sein, er stand meistens später auf als ich (es sei denn, ich mutierte gerade zu einem heulenden Waschlappen und gammelte nur noch im Bett rum), und ich nutzte die ruhigen Minuten, um Ve eine ausführliche Streicheleinheit zu gönnen.
Ich hatte die arme kleine Katze ziemlich vernachlässigt. Man sollte wohl über seine eigenen Probleme, so groß sie auch sein mochten, die anderen kleinen Alltagsgeschenke nicht vergessen.
Irgendwann wurde Ve das Gekuschel zu viel und sie verlangte laut miauend nach Nahrung. Ich kam ihrem Befehl nach, bevor ich weiter ins Bad schlurfte.
Himmel, sah ich mal wieder beschissen aus.
Die weitere beinahe schlaflose Nacht hatte mir wohl nicht gutgetan, die dunklen Schatten unter meinen Augen sahen aus wie mit Edding aufgemalt und meine Haare waren strohig und standen fast so wirr ab wie die von James.
Nur, dass ihm dieser Look stand.
Was sollte denn ein reicher Reinblüter wie er von einer grauen Maus wie dir wollen?
Ich schüttelte vehement den Kopf, als könnte ich dadurch Snapes Stimme aus meinen Gedanken vertreiben. Es klappte nicht, seine ölige Stimme verfolgte mich bis unter die Dusche.
Wieso konnte ich seine Worte nicht einfach nur vergessen? Sonst kümmerte es mich doch auch nicht weiter, wenn er mich beleidigte und als wertlos betitelte.
Aber hierbei geht es um James, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.
Gedanklich fauchte ich sie an, still zu sein.
Aber es stimmt doch ... du denkst total viel an ihn...
Ich biss fest die Zähne zusammen, während ich mir so aggressiv Shampoo ins Haar einmassierte, dass meine Kopfhaut begann zu brennen.
Es stört dich, dass er das Interesse an dir verloren zu haben scheint...
„Halt die Klappe", knurrte ich mich selbst an und drehte ruckartig das Wasser ab.
Die Stimme in meinem Kopf schien mich auszulachen. Snape hat recht ... Wie sollte jemand wie er Interesse an dir haben?!
Frustriert lehnte ich meinen Kopf mit geschlossenen Augen an die beschlagene Glasscheibe der Dusche.
Da hatten wir den Salat.
Ich war dabei, immer öfter an James Potter zu denken ... und zwar ausgerechnet zu der Zeit, in der er beschlossen hatte, Freunde sein zu wollen.
„Bei Merlin", murmelte ich durch zusammengebissene Zähne und ballte kurz beide Hände zu Fäusten. Dann öffnete ich die Augen wieder und starrte durch die beschlagene Duschwand in den Spiegel.
Nur verschwommen konnte ich mein Gesicht erkennen, die leuchtend grünen Augen und das dunkelrote Haar.
Na gut, ich hatte angefangen James Potter zu mögen.
Aber mögen war ja auch okay ... immerhin wollten wir Freunde sein.
Jetzt musste ich nur verhindern, dass aus diesem „Mögen" ein „mehr als Mögen" wurde. Ich hatte null Chancen bei jemanden wie James.
Und ich hatte meinen Stolz.
Ich würde mich nicht in James Potter verlieben.
Auf gar keinen Fall. Das würde ich zu verhindern wissen, egal mit welchen Mitteln.
Ich würde diese ungeschriebene Hogwarts- Regel nicht brechen, und erst recht nicht so kurz vor meinem Schulaustritt.
Entschlossen stieg ich aus der Dusche.

Gerade wollte ich mit gepackter Tasche und einigermaßen lebendig wirkender Aufmachung aus der Schulsprecherwohnung verschwinden, als James gähnend aus seinem Zimmer trat.
Als er mich entdeckte, hielt er mit in einer Streck- Bewegung inne.
„Oh. Hi Lily. Gut geschlafen?"
Er lächelte mich so lieb an, dass ein kleiner Teil in meinem Gehirn, den ich demnächst auf dem Scheiterhaufen hinrichten lassen würde, sehr verzückt aufseufzte.
Stopp, Lily. Potter ist nicht süß.
Ich verbot mir darüber nachzudenken, dass er kein T-Shirt anhatte, und erst recht untersagte ich es mir, zu überprüfen ob seine Bauchmuskeln noch da waren.
Was war nur mit mir los? Ich verhielt mich sowas von bescheuert.
„Ähm ... Lily?" James runzelte leicht befremdet die Stirn.
Oh, hatte ich ihm nicht geantwortet?
„Ganz gut, danke. Und du?", murmelte ich, wobei ich großes Interesse an meinen roten Chucks entwickelte.
„Ganz fantastisch." Er grinste breit, als hätte er einen Witz gemacht, den ich nicht verstehen könnte. Augenblicklich fragte ich mich, was seinen Schlaf so wundervoll gemacht hatte, doch ich verkniff es mir, etwas dazu zu sagen.
„Schön", antwortete ich stattdessen einsilbig.
„Jap." James war schon auf dem Weg ins Badezimmer, als ihm plötzlich etwas einzufallen schien.
„Du, Lily?"
Ich hob kurz den Blick und sah, wie er mich über die Schulter anblickte. Ich legte fragend den Kopf schief.
„Was meintest du jetzt gestern in Zaubertränke mit diesem Angriff?"
Verdammt, er hatte es also doch nicht vergessen, wie ich gehofft hatte.
„Nichts", beteuerte ich schnell. „Es ging nur um einen dummen Scherz mit Stinkbomben... die Slytherins hatten es auf ein paar Erstklässler abgesehen."
Nicht ganz überzeugt nickte James langsam. „Okay... aber pass auf, ja? Du weißt, wie sie in ihren verdrehten Köpfen denken und du wärst vermutlich so ziemlich ihr erstes Angriffsziel."
Ich lachte gespielt auf, während mir gleichzeitig mulmig zumute wurde. „James, wir sind hier in Hogwarts. Die Todesser sind da draußen."
„Hoffentlich", murmelte er, dann zog er die Tür zum Badezimmer zu.
Ich blieb noch kurz benommen stehen und versuchte angestrengt, meine Gedanken wieder unter Kontrolle zu kriegen.
Was nicht einfach war, wenn bedachte, dass nun das Rauschen des Duschwassers zu hören war und ich mir unwillkürlich vorstellte, wie James unter die Dusche trat.
Himmel! Das war ja nicht mehr jugendfrei.
Wie war das mit dem Regelbrechen?
Scheiße, ich musste hier raus, bevor ich noch wahnsinnig wurde von diesem Hin und Her.
Also kletterte ich durch das Porträtloch und machte mich schnellen Schrittes auf in die Große Halle.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt