Kapitel 63

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„Hast du schon mitbekommen, dass Sirius sich ein Motorrad zulegen will?!"
Marys Gesicht drückte abgrundtiefes Entsetzen aus, als sie am Abend vor dem Porträtloch zu unserer Schulsprecherwohnung stand.
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. „Ja, verrückt, oder? Irgendwie passt das aber zu ihm."
Mary schnaubte. „Ich denke eher, er macht das, um die Mädchen zu beeindrucken. Er weiß ganz genau, wie sexy er auf so einer Maschine aussehen würde."
Kichernd zog ich sie in James' und meinen Gemeinschaftsraum. „Pssst, das muss er ja nicht unbedingt auch noch hören. Ich glaube, er besucht gerade James."
Ein lauter Knall aus James' Zimmer bestätigte meine Aussage.
„Merlin, Prongs, pass doch auf!"
„Was kann ich dafür, wenn du deine Fettmassen überall ausbreitest?!"
Kopfschüttelnd starrte Mary die Tür, die James' Namen trug, an.
„Werden die eigentlich jemals erwachsen?"
„Ich bezweifle es stark. Aber egal, weshalb bist du hier?"
„Mir ist nicht entgangen, dass du heute ziemlich abwesend warst. Deshalb hab ich dir den ganzen Stoff nochmal abgeschrieben. Lils, ich weiß, Jungs sind süß und das alles, aber es bringt dich nicht weiter, wenn du dich jetzt an dem Thema festbeißt, okay?"
In mir wuchs das große Bedürfnis, Mary zu umarmen und nie wieder loszulassen. Womit hatte ich diesen Engel zur Freundin verdient?!
Augenblicklich fiel ich ihr um den Hals. „Danke, Mary! Du bist echt ein Schatz."
Sie grinste und erwiderte meine Umarmung kurz, bevor sie mich wieder von sich schob. „Ich weiß."
Mit einem dumpfen Laut landete ein Stapel Pergament auf dem Couchtisch.
„Versprich mir, dass du das Zeug heute Abend nachholst. Du bist Lily Evans, die Jahrgangsbeste, vergiss das nicht!"
Gehorsam nickte ich und drückte mir den Stapel an die Brust.
„Danke, Mary."
„Keine Ursache. Ich geh jetzt mal lieber, bevor die Schulsprecher mich außerhalb der Sperrstunde in den Gängen finden."
Sie zwinkerte mir zu, bevor sie wieder durch das Porträtloch verschwand.
Oh Mann, die Patrouille musste ich ja auch noch übernehmen.
Schon seltsam, ich hatte mich jahrelang auf diesen Job gefreut, und nun war er doch relativ lästig. Natürlich machte es Spaß, aber es war eben auch viel Verantwortung.
Und ich musste mir eine Wohnung mit James Potter teilen.
Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich das gut oder schlecht finden sollte.
Einerseits wollte ich ihn sehen, andererseits überkam mich jedes Mal, wenn ich ihn erblickte, das Gefühl, neben ihm einfach nichts zu sein.
Und das war wirklich nicht gut für mein Selbstwertgefühl.
„Wie bitte?! Du möchtest einen Siruptortenbunker in meinem Zimmer anlegen?! Vergiss es, mich nimmt auch so schon niemand als Schulsprecher ernst!", ertönte James' Stimme schrill durch die geschlossene Tür.
Nun ja. Wenigstens hatte ich die intelligenteren Freunde.

Ich hatte beschlossen, meinen abendlichen Rundgang einfach mit dem Lernen zu verknüpfen.
So war ich zuerst durch die Schlossgänge gewandert –die heute zu meiner Freude wie ausgestorben waren-, um mich danach im Schulsprecherbad einzusperren.
Ich war erst ein oder zwei Mal hier gewesen, aber ein Besuch lohnte sich wirklich: Das Bad überbot das der Vertrauensschüler nochmal um einiges, und dieses war schon umwerfend.
Während ich also im warmen, von Blubberblasen bedeckten Wasser vor mich hintrieb, las ich mir die Notizen von Mary durch, bearbeitete meine Hausaufgaben und paukte einige Zauberformeln.
Nach einer Stunde im Whirpool und ohne einen einzigen Gedanken an meine möglichen Gefühle für James zu verschwenden, fühlte ich mich unendlich entspannt und machte mich erfrischt wieder auf den Weg zur Schulsprecherwohnung.
Da ich mir nicht die Mühe machen wollte, mich nochmal komplett anzuziehen, warf ich einfach nur einen Bademantel über und behielt meinen Bikini drunter an.
Zurück in der Wohnung würde ich mir dann gleich meine Schlafsachen anziehen.
Summend spazierte ich durch die düsteren Gänge.
Nach einer Weile kam ich ins Frösteln, mein Weg führte mich nämlich durch die Kerker und hier war es eiskalt.
Zumindest, wenn man eben noch in einem heißen Becken gelegen hatte.
Zitternd wickelte ich mich noch fester in den Bademantel ein.
Ich war so sehr auf Gedanken wie „Mir ist so kalt" oder „Vielleicht sollte ich mir in der Küche noch einen heißen Kakao holen" fokussiert, dass mir gar nicht auffiel, dass die Kerker das Zuhause der Slytherins waren.
Bis ich Schritte hörte.
Abrupt blieb ich stehen.
Oh, scheiße.
Bitte, bitte, lass es nicht Mulciber oder Avery sein, bitte, bitte...
Vielleicht war es ja auch nur der Hausmeister Argus Filch?
Verdammt, ich hätte mir doch etwas Ordentliches anziehen sollen.
Ich zwang meine Füße, den Weg fortzusetzten, den fremden Schritten entgegen.
Die erleuchtete Spitze meines Zauberstabs ließ nach und nach ihre Silhouetten erkennen, es waren drei Slytherins, in meinem Alter.
Ich musste schlucken, als ich ihre Gesichter erkannte.
Mulciber. Avery. Und... Snape.
Okay, Lily. Jetzt keine Panik.
„Es ist Sperrstunde. Ab auf eure Schlafsäle."
Ich zwang meine Stimme, nicht zu zittern und hob den Kopf ein bisschen.
Snape, der mit dem Rücken zu mir gestanden hatte, fuhr herum. Seine pechschwarzen Augen bohrten sich in meine, dann glitt sein Blick an meiner Erscheinung herab und blieb an meinen nackten Beinen hängen.
Oh, was hätte ich jetzt für eine Jeans gegeben.
Mulciber grinste mich dreckig an. „Sperrstunde, sagtest du? Na, dann sollte dir aber klar sein, dass es ziemlich gefährlich ist in einer solchen Aufmachung hier rumzulaufen. Wir wollen doch nicht, dass jemand auf dumme Gedanken kommt, oder, Evans?"
Am liebsten hätte ich ihm die Augen ausgestochen.
Es war einfach nur eklig, wie er mich ansah. Als wäre ich ein rohes Stück Fleisch oder so.
Ich beschloss, auf das Beste zu hoffen und überging seinen Kommentar einfach.
„Wenn ihr sofort geht, verzichte ich darauf, euch Punkte abzuziehen."
Hoffentlich sahen sie nicht, wie sehr meine Hände zitterten.
Ihre Gesichter, nur spärlich von dem Licht meines Zauberstabs erleuchtet, wirkten dunkel und furchteinflößend. Averys mächtige Statur warf einen riesigen Schatten an die Felswand hinter ihm, und gab mir das Gefühl, chancenlos zu sein.
„Ich muss schon sagen, Evans", raunte Mulciber, der mir immer nähergekommen war, „für ein Schlammblut bist du gar nicht schlecht bestückt. Vielleicht fehlt es dir etwas an Oberweite, aber an sich... nein, gar nicht schlecht."
Sein schlechter Atem schlug mir ins Gesicht. Ich drehte den Kopf weg und versuchte meinen rasenden Puls zu beruhigen.
Seine riesige Gestalt ragte drohend über mir auf.
„Fass mich bloß nicht an, du widerlicher Bastard", zischte ich.
Er packte mein Kinn mit einer Hand und zwang mich so, ihn anzusehen.
„Was hast du gesagt?", flüsterte er. Er war mir nun so nah, dass ich die Farbe seiner Augen erkennen konnte. Ein ganz dunkles Blau.
„Fass mich nicht an!", wiederholte ich, diesmal lauter, und schlug ihm mit meiner freien Hand ins Gesicht.
Das Klatschen hallte von den Wänden wider.
Für einen kurzen Moment herrschte Stille.
Avery bewegte sich langsam auf uns zu, Snape folgte zögernd. Er vermied es, mir in die Augen zu blicken.
Mulciber presste für einen kurzen Moment die Augen zusammen, ließ mich aber keine Sekunde lang los.
Mein Kiefer begann allmählich zu schmerzen.
„Hast du mich gerade geschlagen, Evans?"
Seine Stimme war ganz leise, bedrohlich.
Ich zitterte unkontrolliert.
„Hast du es wirklich gewagt, mich mit deinen Schlammblut- Händen zu beschmutzen?" Nun schrie er fast, und ich zuckte zusammen, als Spucketröpfchen auf meine Nase trafen.
Ich antwortete nicht.
„Das zahl ich dir heim, Evans", flüsterte er, die Lippen ganz nah bei meinem Ohr. Seine Wange streifte meine, und ich konnte nicht anders, als ein ängstliches Wimmern auszustoßen. „Das zahl ich dir heim."
Seine schwielige Hand fuhr unter meinen Bademantel und ertastete meinen Bauch.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Avery Anstalten machte, mich festzuhalten.
Mein ganzer Körper wurde geschüttelt von Ekel, als Mulcibers Finger langsam höher strichen. Sein Atem ging stoßweise gegen meine Wange.
Avery streckte eine Hand nach meinem Arm aus.
Jetzt oder nie, dachte ich, und rammte Mulciber mein Knie zwischen die Beine.
Augenblicklich verschwand seine Hand und sein widerlicher Atem von mir, er krümmte sich mit einem unterdrückten Aufschrei zusammen.
Ich wartete nicht, bis Avery eine Gelegenheit dazu hatte, mich zu packen, sondern drehte mich um und rannte los.
Tränen strömten über mein Gesicht.
„100 Punkte Abzug für Slytherin", flüsterte ich, nachdem ich einige Gänge weiter gerannt war.

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt