"Das kann nicht euer Ernst sein."
Hier stand ich, Lily Evans, vor den zwei größten Clowns der Schule, die mir tatsächlich anboten, mir Nachhilfe zugeben.
Nachhilfe! Mir! Der Jahrgangsbesten, dem Mädchen, das mehr Zeit in der Bibliothek verbrachte als in ihrem Bett!
„In was wollt ihr mir denn bitte Nachhilfe geben?", schnaubte ich verächtlich und starrte hoch in die Gesichter besagter Clowns.
Mal ehrlich, ich war mir nicht mal sicher, ob die beiden wussten, wo die Bibliothek sich befand. Geschweige denn überhaupt lesen konnten.
„Na, im Quidditch, was denn sonst?", beantwortete Pot – ach nein, James, meine Frage, als wäre das das Normalste der Welt.
„Verstehe." Ich gab mir große Mühe, nicht beleidigt zu klingen, doch das war ich leider. Ich hasste es, von anderen belehrt zu werden. Lieber verbrachte ich Stunden mit Lernen als mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauchte.
Und da man Quidditch nun mal nicht aus Büchern herauslesen konnte, hatte ich mich seit der ersten Klasse geweigert, je wieder einen Fuß auf das Quidditchfeld zu setzten – genauer gesagt hatte ich mich komplett geweigert, irgendein Körperteil meinerseits auch nur in die Nähe eines Besens zu lassen.
„Und?", fragte Bla- oh verdammt, Sirius-, und schaute mich mit einem hoffnungsvollen Hundeblick an. Ich musste zugeben, dass es wirklich niedlich aussah. Bah.
Ich schüttelte den Kopf. „Das könnt ihr sowas von vergessen. Mein Hintern auf einem Besen ist so unmöglich wie Dumbledore ohne Bart."
James legte einen Finger an sein Kinn und schaute gespielt nachdenklich nach oben. „Hmm, aber Dumbledore hatte als Baby keinen Bart. Also doch nicht so unmöglich!" Ehe ich mich versah, hatten die beiden mich an den Handgelenken gepackt und nach draußen gezogen.
„Komm schon, Lily! Das wird lustig!"
Ich konnte noch so viel grummeln, dass die Körperbehaarung schon immer vorhanden gewesen war, nur eben nicht so ausgeprägt, am Ende stand ich doch vor einem Besen und beäugte diesen misstrauisch.
„Das ist ein Silberpfeil", erklärte Pott - James mir stolz. „Die Entwicklung wurde eingestellt, die Dinger sind also echt schwer zu kriegen. Der ist von meinem Dad", fügte er hinzu.
Tsss, also wirklich. Erst zerrten sie mich zum Fliegen nach draußen und dann wollten sie mich mit dem Besen eines -Verzeihung, Fleamont- alten Mannes abspeisen?!
Nein, nicht mit mir!
Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust und reckte hochnäsig mein Kinn in die Höhe, bis ich Potter (auch bekannt als James. Bei Merlin, ich würde es nie lernen) in die Augen schauen konnte.
„Mit sowas fliege ich nicht. Nur der neueste und schnellste Besen" – hier warf ich einen vielsagenden Blick in Richtung James' Nimbus 1000- „verdient es, meinen wohlgeformten Hintern zu tragen", erklärte ich James und Sirius bestimmt.
„Dein wohlgeformter Hintern?" Sirius hatte eine Augenbraue in die Höhe gezogen. „Also ich habe schon bessere-" Er verstummte jäh, als James' Ellbogen in seiner Magengrube landete. „Na gut, Lily", sagte James, wobei er meinen Vornamen überdeutlich betonte, „du kannst meinen Nimbus benutzen, aber nur, weil du eine komplette Anfängerin bist." Ich widerstand der Versuchung, ihm die Zunge rauszustrecken. Immerhin hatte ich meinen Willen bekommen.
„Wow, Lily!" Sirius hatte gespielt respektvoll auch noch die andere Augenbraue gehoben. „Diesen Besen darf absolut niemand auch nur in die Hand nehmen, geschweige denn darauf fliegen. Fühl dich geehrt."
„Ich fühle mich total geehrt, danke." Ich warf Potters idiotischem besten Freund (machen wir uns nichts vor, er wird immer „Black" für mich bleiben) einen gönnerhaften Blick zu, dann schnappte ich mir James' Besen und schwang elegant ein Bein hinüber. Erwartungsvoll schaute ich zu Pott – aargh, James! – hoch.
Er schaute genauso erwartungsvoll zurück.
Ich seufzte. Wie konnte er nur denken, wir wären füreinander bestimmt, wenn er nicht mal einfachen Blickkontakt verstand?
„Potter", knurrte ich genervt, „du sollst mir sagen, wie es weitergeht!"
„Du wirst dich jawohl noch an die Grundlagen erinnern, Evans."
Bei Merlin, dieses Vornamen- Ding machte mich fertig.
„Nein, James", fauchte ich zurück. „Denn im Gegensatz zu deinem Leben besteht meins nicht nur aus Quidditch!"
James seufzte resigniert. Während er mir half, den Besen richtig zu halten und eine geeignete Körperstellung einzunehmen, huschte sein Blick immer dann, wenn er dachte, ich würde es nicht bemerken, zu Sirius, der über uns schon juchzend seine Kreise zog. Leider musste ich zugeben, dass es mir ein bisschen peinlich war, seinen Unterricht zu benötigen und es tat mir leid, dass ich ihm vom Fliegen abhielt (auch wenn ich das niemals, niemals laut ausgesprochen hätte!).
„Okay, den Rest schaff' ich alleine. Jetzt geh, flieg schon", befahl ich ihm daher barsch, den Blick fest auf den Besenstiel vor mir gerichtet.
„Nein, ich sollte dich bei deiner Höhenangst nicht alleine...", begann er, doch ich hatte die Sehnsucht in seinem Blick gesehen.
„Beweg deinen Hintern, Potter", bestimmte ich, und schob ihn an der Schulter weg. Seinen Nachnamen gebrauchte ich diesmal mit Absicht.
„Bist du sicher?" James musterte zweifelnd meine verkrampften Hände, die sich an den Besen klammerten. Unwillkürlich lockerte ich meinen Griff.
„Jaa- ha, und jetzt nerv nicht!" Endlich setzte er sich in Bewegung. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie er völlig mühelos auf den Silberpeil stieg und sich in die Lüfte erhob. Seufzend widmete ich mich wieder meinen eigenen Problemen.
So schwer konnte das ja nicht sein.
Okay, Lily. Füße richten uuund... abstoßen!
Anscheinend wollte der Besen nicht so wie ich wollte, also hüpfte ich erstmal eine Weile lang wie ein durchgeknalltes Kaninchen über die Wiese, bis ich irgendwann doch noch abhob. Ich muss sagen, ich war ziemlich stolz auf mich, auch wenn sich sofort ein mulmiges Gefühl in meinem Magen ausbreitete, wie immer, wenn ich keinen festen Boden unter den Füßen hatte. Meine Hände verkrampften sich sofort wieder.
Der Nimbus, der auf jede noch so kleine Berührung zu reagieren schien, nahm das blöderweise als Zeichen zum Anstieg, und ich schwebte noch etwas höher.
„Oh, scheiße, scheiße, scheiße", quietschte ich panisch. Schnellstens kniff ich beide Augen zusammen und klammerte mich ganz fest an den Besen.
Oh mein Gott, stieg ich etwa immer noch in die Höhe?
Was, wenn ich jetzt fiel? Verdammt, ich mochte meine Körperteile und wollte ganz sicher keins verlieren...
Ich versuchte, tief durchzuatmen. Kein Drama, Lily, kein Drama. Wahrscheinlich war ich gerade mal einen Meter vom Erdboden entfernt, und es fühlte sich einfach nur an wie hundert.
Vorsichtig öffnete ich ein Auge. Und starrte in zwei andere, warme braune Augen hinter Brillengläsern, nur Zentimeter von meinen entfernt.
Mir entfuhr ein entsetzter Aufschrei. Vor Schreck ließ ich den Besen los, wodurch ich prompt auf meinem Hintern landete.
„Lily, was soll das denn?", prustete Potter. „Ich wollte doch nur sehen, ob alles in Ordnung ist!" Ich musste ihn nicht anschauen, um zu wissen, dass er kurz vor einem Facepalm stand, aber ehrlich gesagt war mir das in diesem Moment egal.
„Oh nein", sagte ich zu mir selbst. „Nein, nein, nein, nein."
Pot- James weiter ignorierend richtete ich mich auf und klopfte mir mein Hinterteil ab. „Nein, nein. Nein. Ich steige nie wieder auf dieses Dings. Nie wieder."
Herausfordernd schob ich mein Kinn vor.
Klappernd landete James' Besen neben meinem, als er abstieg und sich in genauso provozierender Körperstellung wie ich vor mir aufbaute.
Natürlich musste es bei ihm mal wieder viel protziger rüberkommen (Blöde Quidditchspieler mit ihren breiten Schultern).
"Ernsthaft? Du bist nicht mal 30 Zentimeter gefallen", seufzte James.
30 Zentimeter? Okay, das war wirklich peinlich.
„Ich hatte Angst", beharrte ich trotzig. Eine Weile lang lieferten wir uns ein Blickduell, bis James erneut seufzte. Ein kleines Funkeln trat in seine Augen, und ich wusste: Es drohte Böses.
„Dann, liebe Miss Evans, bleibt Ihnen keine andere Wahl, als mit mir einen Besen zu teilen." Na, was hab ich euch gesagt? War doch klar, dass Potter wieder mit so einem idiotischen Einfall daherkommen musste.
„Als ob ich freiwillig mit dir auf einen Besen steige", schnaubte ich. Also bitte.
„Waffenstillstand, du erinnerst dich?", erinnerte Potter mich mit einem schadenfrohen Grinsen im Gesicht. Oh, verflucht seien seine und meine Einfälle.
So kam es tatsächlich, dass Lily Evans und James Potter sich einen Besenstiel teilten. Ja, ernsthaft, mein Rücken lehnte quasi an seiner Brust.
Merlin, das war definitiv zu viel Körperkontakt, und das nun schon zum zweiten Mal! Zu meinem größten Bedauern musste ich allerdings zugeben, dass es sich ganz und gar nicht schlecht anfühlte. Eher im Gegenteil: Zum ersten Mal in meinem Leben schaffte ich es, höher als einen Meter in der Luft zu hängen, ohne eine Panikattacke zu erleiden.
Ich starrte auf Pot- James' Hände, die vor meinen den Besenstiel hielten. Seine Arme berührten meine kurz vor der Schulter und ich konnte seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren. Hilfe!
Wir stiegen immer höher und so langsam kam die Angst wieder in mir hoch, begabter Flieger hinter mir hin oder her. Doch ich biss die Zähne zusammen, und schaffte es tatsächlich, Ruhe zu bewahren, bis wir gut sechs Meter über dem Gras waren.
„Alles okay?", flüsterte James überraschend sanft in mein Ohr.
Ich nickte nur stumm, weil ich befürchtete, meine Stimme könnte vor Angst quietschen, wenn ich etwas sagte.
„Okay, dann fliegen wir jetzt mal richtig", verkündete James. Wie bitte, das war noch gar nicht alles?! Mein Herz machte einen erschrockenen Hüpfer, doch da hatte James sich schon vorgebeugt, sodass ich seine Brust deutlich durch den dünnen Stoff meines T-Shirts spüren konnte. Durch die Gewichtsverlagerung schossen wir nach vorne, jagten durch die Luft und das alles in der Höhe von sechs Metern.
Sechs Meter.
Mir wurde schlecht. Ich konnte nur entgeistert nach unten starren, wo das Gras viel zu schnell unter uns vorbeizischte. Meine Handflächen begannen zu schwitzen.
James jubelte leise, dann riss er den Besen plötzlich in eine Kurve, indem er sich elegant zur Seite lehnte. Vermutlich brauche ich nicht zu erwähnen, dass ich überhaupt nicht elegant in die Kurve kam.
Viel mehr fühlte ich mich, als hätte man mir meinen Körper plötzlich weggerissen und Sekunden später an eine andere Stelle gepflanzt. Das machte mein Magen nicht mit.
Scheiße, mir war einfach nur schlecht.
Meine Atmung wurde immer flacher, während meine Panik immer weiterwuchs. Aus dieser Höhe zu fallen bei dieser Geschwindigkeit ... konnte man sich da das Genick brechen? Würde Potter mich schnell genug wieder einfangen, wenn ich vom Besen kippen würde? Würde ich vom Besen kippen?
Oh mein Gott. Ich musste aufhören zu denken. Aus purer Verzweiflung begann ich jede Verwandlungsformel, die ich auswendig konnte, aufzusagen, und kniff die Augen wieder ganz fest zusammen.
Irgendwann – es kam mir vor wie eine Ewigkeit – setzten wir wieder auf dem Boden auf. James zog mir den Besen unter den Füßen weg und strahlte mich an.
„Das war doch toll, oder?" Er grinste. Dann betrachtete er mich genauer, und das Grinsen erlosch. „Lily, ist alles in Ordnung?"
Das war der Moment, in dem ich ihm vor die Füße kotzte.
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Die Regel - Lily& James Ff ✔️
FanfictionABGESCHLOSSEN Seit Jahren besteht diese eine Regel: Evans hasst Potter, Potter mag Evans. Wenn es nach Lily Evans, Einserschülerin und absoluter Lehrerliebling, geht, wird diese Regel auch niemals gebrochen werden. Doch da hat sie ihre Rechnung ohne...