Kapitel 52

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James und ich sahen Petunia und ihrem Freund, dem Wackelpudding, hinterher, wie sie schnellen Schrittes davoneilten. Vernons Fettmassen gerieten dabei beträchtlich ins Wogen.
Ich seufzte und rieb mir müde über die Augen.
Am liebsten wäre ich in mein Bett gefallen und hätte den Rest des Tages einfach verschlafen.
James musterte mich von der Seite. „Lily, bist du sicher, dass du dich mit ihr treffen willst?" Er klang ernst und ehrlich besorgt. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass er meine Schwester so heruntergeputzt hatte. Sogar ich hatte ein kleines bisschen Angst gehabt, offen gestanden.
Vermutlich war das der Auror in ihm, der da zum Vorschein gekommen war.
„Ja", erwiderte ich mit fester Stimme, auch wenn ich mir dabei mit geschlossenen Augen die Schläfen massierte. Meine Güte, hatte ich Kopfweh.
„Aber –", setzte James an, doch ich unterbrach ihn.
„James, sie ist alles, was von meiner Familie noch übrig ist. Lass es bitte... Lass uns einfach nicht weiter drüber sprechen, okay?"
Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte James noch etwas sagen, aber dann klappte er den Mund wieder zu und nickte stumm.
Mir entfuhr ein weiterer Seufzer. „Komm, wir gehen zurück nach Hogwarts."
Ich richtete mich gerade auf und zog meinen Zauberstab aus dem Bund meiner Jeans. Erwartungsvoll blickte ich zu James hoch, bis er meinem Beispiel folgte.
„Fertig?", fragte ich. Er nickte und wir drehten uns einmal auf dem Absatz um.
Mich überkam das typische unangenehme Gefühl, durch einen engen Schlauch gepresst zu werden, aber noch bevor mir schlecht werden konnte, hatte ich schon wieder festen Boden unter den Füßen.
Ich sah mich um; wir standen am Ortseingang von Hogsmeade. Perfekt.
Allerdings war es hier verdammt kalt.
Automatisch schlang ich meinen dunklen Mantel fester um mich. „Merlin, warum muss es denn so schnell Winter werden? Los, lass uns schnell hoch zum Schloss, es ist eiskalt", sagte ich barsch zu James, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen.
Ich machte Anstalten, Richtung Hogwarts zu stapfen. Eine sanfte Berührung am Ellbogen hielt mich auf.
Mit zusammengezogenen Brauen drehte ich mich zurück zu James.
Seine braunen Augen funkelten hinter der Brille, und seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen. Er hatte einen besorgten Ausdruck im Gesicht.
„Lily, ist alles in Ordnung?" Sein durchdringender Blick verschlug mir fast den Atem.
Ich räusperte mich. „Ja. Natürlich. Können wir jetzt gehen?"
Es klang harscher, als es beabsichtigt war, aber ich hatte Angst, losweinen zu müssen, sobald ich ihm eine ehrliche Antwort gab.
Natürlich war bei mir nichts okay.
Doch ich hatte in letzter Zeit schon oft genug den Schwächling heraushängen lassen.
„Lily. Du musste jetzt nicht einen auf unverletzbar machen. Du warst eben auf der Beerdigung deiner Eltern. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Warum musst du dich jetzt wieder hinter deiner Mauer verkriechen?"
Betreten senkte ich den Kopf. „Ich verkrieche mich nicht hinter einer Mauer", murmelte ich.
„Doch, verdammt!" Plötzlich wurde James wieder laut. Erschrocken zuckte ich zusammen, hob aber nicht den Kopf. „Tut mir leid", sagte er, wieder mit sanfterer Stimme. „Aber das macht mich einfach fertig. Du versuchst immer, deine Gefühle zu verstecken, du trägst ständig diese Maske, vom großen, starken Mädchen. Ich weiß, dass du stark bist, Lily, doch in dieser Situation wäre es keiner."
„James." Ich hob den Kopf und sah ihn direkt an.
Er musste Luft holen, so intensiv war mein Blick.
„James, ich bin muggelstämmig und allein. Ich habe meine Familie verloren und auch kein Zuhause mehr, in das ich zurückkehren könnte. Fürs erste bin ich noch sicher, doch nach Hogwarts ... Was ich sagen will, ist, auf Leute wie mich machen die Todesser Jagd. Ich weiß nicht, ob ich nicht eigentlich sogar froh sein kann, dass meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, und nicht von Voldemorts Schergen ermordet wurden! In diesen Zeiten können Leute wie ich es sich nicht leisten, schwach zu sein."
„Das weiß ich." Zu meiner Überraschung hob James seine Hand und legte sie an meine Wange. Seine Hand war so groß, dass die Fingerspitzen meinen Haaransatz berührten.
„Alles, was ich dir zu sagen versuche, ist, dass du dich zumindest vor mir nicht verstellen musst."
Ich holte tief Luft und starrte ihn an. Mir kamen schon wieder die Tränen.
„Komm, dir war doch kalt."
Mit diesen Worten löste er seine warme Hand von meinem Gesicht, drehte sich um und ging langsam Richtung Schloss.
Etwas benommen folgte ich.

Im Schloss herrschte rege Betriebsamkeit. Die meisten Schüler strömten in die Große Halle, um dort ihr Mittagessen einzunehmen.
Ich bemerkte James' sehnsüchtigen Blick. Wir hatten nicht gefrühstückt und wie ich ihn kannte, starb er vor Hunger.
Doch er sagte nichts, sondern ging einfach an meiner Seite weiter. Das ließ ich ihm nicht durchgehen. Mit verschränkten Armen blieb ich stehen und baute mich vor ihm auf. Da ich ziemlich viel kleiner war als er, wirkte es wohl nicht ganz so imposant, aber es reichte, um James zum Stehenbleiben zu zwingen.
„James Potter, beweg deinen Hintern in die Große Halle", befahl ich ihm.
„Ganz sicher nicht." Er versuchte mich beiseite zu schieben.
„Du hast Hunger. Ich bin weder blind noch blöd. Außerdem – oh, ist da gerade Sirius in die Halle gegangen?"
Unwillkürlich schaute James über seine Schulter. Tatsächlich standen seine Freunde am Eingang zum Essensbereich und winkten ihm zu.
„Na los, geh schon." Ich verpasste ihm einen kleinen Schubser. Oder ich versuchte es. Genauso gut hätte ich eine Wand schubsen können, James bewegte sich keinen Millimeter. Blöde Quidditchmuskeln.
„Bist du sicher? Möchtest du nichts essen?" Wieder diese Besorgnis in seiner Stimme und in seinen Augen. Es wärmte mir das Herz.
„Ja. Ich komme schon klar. Jetzt mach schon."
Widerstrebend drehte James sich um und ging mit langsamen Schritten auf die anderen Rumtreiber zu.
„Ey, Prongs, beweg deinen Hintern ein bisschen schneller, sonst ist die Siruptorte weg, bevor wir mit dem Hauptgang angefangen haben!", rief Sirius ihm zu.
Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Irgendwo mochte ich sie ja doch, diese Jungs.
Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter.
Als ich mich umdrehte, standen Marlene und Dorcas vor mir, beide mit einem vorsichtigen Lächeln im Gesicht.
„Hey, Lils. Lust auf Siruptorte?", fragte Marlene.
Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
Es wurde Zeit, meinen Freundinnen alles nochmal ordentlich zu erzählen.
Und zwar von Anfang an.
Also hakte ich mich bei den beiden unter und grinste sie an.
„Ich bin für Schokokuchen."

Ich wollte es nicht bei diesem traurigen Kapitel stehenlassen... Also hier bitteschön, ein Samstags-Kapitel😁

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt