Extrakapitel número siete

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September 1979

„Verdammt", zischte ich, rannte zum Wasserhahn und hielt meinen frisch verbrannten Finger unter kaltes Wasser.
„Au, au, au", jammerte ich lautstark herum, und starrte, gefangen in Selbstmitleid, auf die kleine Brandblase, die sich auf meinem Zeigefinger bildete.
Zwar hätte ich mein Wehwehchen in null Komma nichts mit einer schnellen Zauberstabbewegung heilen können, doch ich wollte mich lieber später bei James darüber ausheulen wie unfähig ich in der Küche war, damit wir einen Anlass dafür haben würden, einfach mal wieder zwei ganz normale Menschen zu sein.
Und keine Kriegsmaschinen.

Seit der Orden des Phönix ins Leben gerufen worden war, hatten wir nämlich kaum eine ruhige Minute für uns gehabt – meist wurden James und ich auf getrennte Missionen geschickt, damit keiner von uns ins Messer lief, um den jeweiligen anderen zu retten, und wenn wir – meist spät in der Nacht oder gar erst nach ein paar Tagen – in unser frisch bezogenes Haus zurückkehrten, fielen wir völlig übermüdet in unser riesiges Doppelbett, ohne nochmal ein paar Worte zu wechseln.

 Abgesehen von der körperlichen Erschöpfung, die diese Mischung aus harten Kämpfen und wenig Schlaf mit sich brachte, wuchs die seelische Belastung, die James' und meine wenige Zweisamkeit hervorrief, immer schneller: ich hatte das Gefühl, wenn ich nicht bald mal wieder ein richtiges Gespräch mit James führen konnte, in seinen Armen einschlafen oder irgendeine Kleinigkeit mit ihm unternehmen konnte, würde ich schlichtweg den Verstand verlieren.
Gerade fühlte ich mich sehr kurz davor – denn James und Sirius (der in einem schleichenden und seeeehr clever eingefädelten Prozess irgendwie doch bei uns eingezogen war) waren mal wieder an irgendeinen Ort beordert worden, um gegen irgendjemanden zu kämpfen. Genauere Infos hatte ich nicht, da ich sonst in Versuchung kommen könnte, den beiden hinterher zu apparieren.
Eine Vorsichtsmaßnahme, die wohl zu Recht ergriffen worden war, denn ich bekam alle fünf Minuten einen akuten Anfall großer Sorgen und wäre vermutlich schon 100 Mal zu James und Sirius appariert, wenn ich die Chance dazu gehabt hätte.

 In meinem Wahn hatte ich beschlossen, mir etwas richtig, richtig Gesundes zu essen zu kochen, einerseits, um mich selbst zu beschäftigen, andererseits, weil ich viel zu sehr abgenommen hatte.
Leider hatte ich in meinem Eifer den Fakt übersprungen, dass ich außer Nudeln nicht viel fertigbrachte.
Aber wenigstens funktionierte der Teil, der meiner Ablenkung dienen sollte so halbwegs: Ich hatte schon fast zehn Minuten nicht an James gedachte.
Als ich wenig später mein etwas angekokeltes, aber dennoch vergleichsweise nährstoffreiches Mittagessen heruntergeschlungen hatte, überkamen mich meine Ängste und Sorgen dafür wieder mit einer umso größeren Wucht.

 Für einen kurzen Moment war ich wie erstarrt und blickte mit leeren Augen in meinen ebenso leeren Teller, bis meine Augen zu tränen anfingen.
Abwesend schob ich mein Geschirr zur Seite und barg verzweifelt meinen Kopf in den Händen, die Ellbogen auf der Tischplatte aufgestützt.
Wie lange waren die Jungs diesmal schon weg? Waren sie heute Morgen verschwunden oder war es bereits gestern gewesen?
Ich hatte vollkommen den Überblick über die Zeit verloren.
Es war so viel einfacher, selbst gegen die Todesser zu kämpfen, als meine Freunde in dieser Gefahr zu wissen.
Ich vermisste James so schrecklich, dass es wehtat.

„Lils, aufwachen, sofort!"
Marys aufgeregte Stimme riss mich unsanft aus dem Schlaf. Erschrocken fuhr ich hoch und starrte meine beste Freundin verwirrt an.
„Mary? Was ist los?"
Als ich die schwarze, enganliegende Schutzkleidung sah, die sie unter einem ebenso schwarzen Umhang trug, verschwand meine Müdigkeit mit einem Schlag und ich sprang alarmiert auf.
„Wo schicken sie uns hin?", fragte ich, bevor Mary überhaupt auf meine erste Frage reagieren konnte. Ich wartete nicht auf ihre Antwort, sondern stürmte die Treppe zu James' und meinem Schlafzimmer hinauf, um mein eigenes Kleiderset, identisch zu Marys, anzulegen.
Mary folgte mir mit langen Schritten. „Sie schicken uns James, Sirius und Remus nach, soweit ich das verstanden habe. Die Lage ist außer Kontrolle geraten und immer mehr Todesser kommen aus allen Ecken Londons dazu."
„London?", hakte ich nach, wobei mein Kopf noch in dem Oberteil feststeckte, das ich gerade überzustreifen versuchte.
„Ja, nur ein paar Seitenstraßen von der Winkelgasse entfernt." Mary machte eine kurze Pause. „Wenn das so weitergeht, haben sie bald die gesamten Zauberergassen eingenommen."
Ich fluchte, und setzte mich gleichzeitig auf den Boden, um mir feste schwarze Boots an die Füße zu schnüren.
Als ich fertig war, sprang ich adrenalingeladen auf, zog meinen Zauberstab hervor und warf Mary einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Können wir?"
„Auf geht's", erwiderte sie grimmig.

Nur Sekunden später stolperten wir über Londoner Pflaster, und versuchten, so schnell wie möglich unsere Balance wiederzufinden. Es nieselte leicht und der Himmel war grau und wolkenverhangen, was die Stimmung automatisch düster und bedrohlich wirken ließ.
„Perfektes Wetter für ein bisschen Blutvergießen", murmelte ich grimmig vor mich hin, während Mary und ich hastig die Gasse, in der wir gelandet waren, entlang rannten, um Deckung hinter ein paar Häusern zu suchen.
Sie und ich wurden meist in eine gemeinsame Schicht eingeteilt, und da sich die Aufträge in letzter Zeit häuften, waren wir ein eingespieltes Team geworden.
Ohne ein Wort zu wechseln einigten wir uns darauf, wo wir das Zentrum der heutigen Schlacht vermuteten, und setzten uns gleichzeitig in Bewegung, um uns in den Kampf zu werfen.
Alle meine Muskeln waren zum Zerreißen angespannt und so langsam leerte sich mein Kopf, bis nur noch strategische Züge in meinen Gedanken durchgeplant wurden ... Kluge Schachzüge und der Gedanke an James.
Er musste hier irgendwo sein. Und auch wenn ich es zu unterdrücken versuchte: Ich hatte das dringende Bedürfnis, ihn zu sehen. Wenn es ging bitte lebend.

Marys Schrei riss mich aus meinen unaufmerksamen Gedanken.
Ich wirbelte zu ihr herum und sah drei kapuzenverhüllte Männer auf uns zukommen, einer von ihnen hatte Mary mit einem üblen Spruch erwischt; Blut lief über ihren linken Arm. Sie verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse, hielt allerdings ihre rechte Hand hoch erhoben, um gnadenlos zurück zu feuern.
Jetzt schaltete mein Kopf wirklich in den Kampfmodus: Mühelos verfiel ich in ein in den letzten Monaten antrainiertes Zusammenspiel aus Konzentration und Zauberei; Mary und ich bildeten eine Einheit gegen die vermummten Gestalten, die mit so vehementen Widerstand anscheinend nicht gerechnet hatten.

Nach wenigen Minuten hatten wir sie überwältigt. Als auch der letzte bewusstlos auf dem Boden zusammensackte, meinte Mary schnippisch: „Wir müssen noch in den Außenbezirken sein. Sonst hätten sie hier nicht solche Lappen positioniert."
„Ich würde unser Glück nicht herausfordern", meinte ich, und im nächsten Moment tauchten schon die nächsten Todesser am Ende der Gasse auf.
Mary und ich wechselten einen Blick. „Wir können uns nicht hier mit den Kleinigkeiten herumschlagen, wir werden in der Kampfmitte gebraucht", flüsterte ich eindringlich. Mary nickte. „Ich weiß. Wir müssen uns trennen. Geh du vor- ich komme nach so schnell es geht."
„Bist du sicher?" Ich musterte Mary zweifelnd. Mir war gar nicht wohl dabei, sie allein zurückzulassen. Sie legte den Kopf schief. „Du bist besser im Kampfgetümmel, ich auf dem leeren Feld. Außerdem könnte James in Schwierigkeiten sein..."
Für einen Moment starrte ich sie noch unentschlossen an, dann nickte ich.
„Sei vorsichtig." „Immer doch."
Und während Mary ihr Feuer eröffnete, verschwand ich um den nächsten Häuserblock.

Fortsetzung folgt...

Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt